Georges Cuviers Wanderung über die Schwäbische Alb – Tag 4

Von Münsingen nach Pfullingen

von Eva Rincke

Zum Abschluss seiner Schulzeit auf der Hohen Carlsschule wanderte Georges Cuvier, der später in Paris Karriere als Naturforscher machte, mit zwei Mitschülern eine Woche lang über die Schwäbische Alb. Lesen Sie hier wie es ihnen ergangen ist.

Der raue Albwind unter Schloss Grafeneck, Zeichnung von Georges Cuvier, 1788
Der raue Albwind unter Schloss Grafeneck, Zeichnung von Georges Cuvier, 1788 [Quelle: Bibliothèque de l’Institut, Ms 3312: Papiers et correspondance du baron Georges Cuvier. Planches relatives à un voyage à pied fait dans les Alpes würtembergeoises du 20 au 28 avril 1788 par Cuvier, Copyright: ©Bibliothèque de l’Institut de France]

Am 24. April, dem vierten Tag der Wanderung, machte sich die Wandergruppe um Georges Cuvier von Münsingen aus zunächst auf den Weg zum Schloss Grafeneck: „Hart an der Stadt sind Aecker, durch welche wir zu meinem höchsten Leidwesen ziemlich lange gehen mußten. Was meine Noth verursachte, war der Albwind, den ich hier zuerst in seiner ganzen Stärke empfand. Ohren und Nase litten ueberaus davon und er ist ganz unverläßig, daß es wohl die größte Unbequemlichkeit dieser Gegend ausmacht.“[1] Den Schulkameraden gefiel die Kälte genau so wenig, Cuvier übertrieb es aber offenbar derart mit seinen Versuchen, sich vor der Kälte zu schützen, indem er keinen Zoll seiner Haut der kalten Luft aussetzen wollte, dass sie sich köstlich über ihn amüsierten.

Nach den Äckern wanderten die jungen Männer und ihr Begleiter durch einen Buchenwald, der Cuviers Einschätzung nach im Sommer, ohne Wind, ein angenehmer Aufenthaltsort hätte sein können. Schließlich erreichten sie Grafeneck, das alte Jagdschloss der württembergischen Herzöge. Der gegenwärtige Herzog Carl Eugen hatte das Schlösschen erweitern lassen: Zusätzlich zum Hauptgebäude waren dort 20 Pavillons errichtet worden, um den Hof unterzubringen. In einem der Pavillons entdeckten Cuvier und seine Freunde ein schönes Theater, in dem bei Anwesenheit des Herzogs französische Komödien aufgeführt wurden. Nach Einschätzung Cuviers konnte dies aber höchstens an sechs Wochen im Jahr der Fall sein, „denn diese Gegend ist nicht länger bewohnbar“. [2]

Für eine Frostbeule wie Cuvier war die Lage von Schloss Grafeneck „nichts weniger als angenehm“. [3] Auch das Innere, das sie besichtigen durften, überzeugte ihn nicht vollständig: „Das Hauptapartement, so im neuen Schloß ist, hat einen schönen Sallon und auf beyden Seiten mehrere sehr gut meublirte piece. Die uebrigen Zimmer aber sind klein und mit einer fast lächerlichen Sparsamkeit eingerichtet.“ [4]

Während die Aussicht auf das Lautertal durchaus ihren Reiz hatte, blieb Cuvier insgesamt skeptisch: „Alles macht eine sehr schöne Landschaft, wo wilde Natur und Kunst einander im wahren Verhältniß das Gleichgewicht halten, aber lasset unkluge Wanderer euch durch den Anschein nicht verführen. In diesem so schönen Thal herrscht der Abscheulichste aller Winde die ich je empfunden, in Eolus Höhle kann es unmöglich ärger seyn.“ [5]

Endlich erreichten sie das Gestüt Marbach. Nach einigen Überlegungen zum Thema, dass die Alb mit ihrem rauen Klima für die Pferdehaltung sehr angemessen sei, da die Pferde ja ursprünglich in den kalten Steppen der „Tartarey“, also in Zentralasien, zuhause seien, äußerte sich Cuvier lobend über die große Aufmerksamkeit, die man der Pferdezucht in Württemberg schenke. Bei einer Führung durch das Gestüt erfuhren die Wanderer, dass die Bauern in Württemberg verpflichtet waren, ihre Stuten in Marbach decken zu lassen, wodurch die Qualität der Pferde im ganzen Land verbessert werden sollte.

Weiter ging es in Richtung Offenhausen. Da das Tal sie vor dem Wind schützte, fühlte sich Cuvier hier schon etwas besser. Sie aßen beim Hofmeister des ehemaligen Klosters von Offenhausen zu Mittag. Der Garten mit der Lauterquelle gefiel Cuvier sehr gut. Sie kamen an einer Mühle und am Stutenhof vorbei, wo die jungen Stuten aufgezogen wurden, bevor sie nach Marbach kamen. Der Sohn des Klosterhofmeisters begleitete die Wanderer bis Kohlstetten. Von dort führte sie ein Bauer nach Holzelfingen: „In diesem ziemlich langen Weg war nichts merkwürdiges zu sehn. Immer Albklima, Albäcker, Albbäume und öfters, als ich gewünscht hätte, Albwind.“ [6]

Doch glücklicherweise ging es nach Holzelfingen wieder bergab und die Wanderer kamen beim Abstieg in Richtung Pfullingen „in ein ganz wildes Thal von einer fürchterlichen Schönheit“. [7] Ruinen von alten Schlössern, die steilen Hänge und das dichte Gebüsch machten auf Cuvier einen märchenhaften Eindruck. Je tiefer sie kamen, desto milder wurde das Klima und endlich waren wieder Obstbäume und Weinberge zu sehen.

Ein Wetterumschwung verhinderte jedoch, dass die jungen Männer die angenehmeren klimatischen Bedingungen genießen konnten: „Ein Regen, der dazukam, jagte uns so schnell wir laufen konnten nach Pfullingen, aber die Leute schienen sich verabredet haben. Wie weit ist Pfullingen, fragten wir jemand. 1 Stunde. Nach 1/4 Stunde eines schnellen Marsches, fragten wir einen andern. 1 Stunde war die Antwort. Eine 1/4 Stunde nachher antwortete man wieder, das nehmliche und so noch zwey Mal. Es gieng dieser Stadt wie deren Feenschlößern, welche vor denen, die sie suchen, fliehen. Endlich aber sahen wir es und wir konnten bey einem starken Feuer uns trocknen und erwarmen und in guten Betten erhohlen.“ [8]

Nun war der vierte Tag der Wanderung vorbei. Wie es weiterging erzählen wir bald im nächsten Beitrag: Georges Cuviers Wanderung über die Schwäbische Alb – Tag 5.

Ziele zum Nachwandern:

Anmerkungen

[1] Reise, S. 323. Alle Zitate wurden ohne redaktionelle Eingriffe aus der Transkription von Cuviers Reisebericht im Artikel Georges Cuviers „Reise auf die Württembergische Alb“ – ein zeit- und wissenschaftsgeschichtliches Dokument übernommen.

[2] Reise, S. 323

[3] Reise, S. 323

[4] Reise, S. 323

[5] Reise, S. 324

[6] Reise, S. 325

[7] Reise, S. 325

[8] Reise, S. 325

Hinweis zum lateinischen Zitat auf der Zeichnung: Hier zitiert Cuvier den römischen Dichter Vergil, der in der Aeneis, Buch I, Vers 53-54 schreibt: „Hic [vasto rex Aeolus antro/]luctantes ventos tempestatesque sonoras/imperio premit [ac vinclis et carcere frenat.]“ Dabei geht es um Aeolus, den König der Winde, der in einer Höhle zerstörerische Winde und Stürme bändigt.

Literatur

  • Taquet, Philippe, Les premiers pas d'un naturaliste sur les sentiers du Wurtemberg: récit inédit d'un jeune étudiant nommé Georges Cuvier, in: Geodiversitas 20 (2), S. 285-318.
  • Wörz, Arno/Oettler, Gitta/Engelhardt, Martin, Georges Cuviers „Reise auf die Württembergische Alb“ – ein zeit- und wissenschaftsgeschichtliches Dokument, in: Jahreshefte der Gesellschaft für Naturkunde in Württemberg 165/1 (2009), S. 301-336.

 

Zitierhinweis: Eva Rincke, Georges Cuviers Wanderung über die Schwäbische Alb – Tag 4, in: Reisebeschreibungen, URL: […], Stand: 17.04.2024