Krawalle um Wallfahrten und Prozessionen. Zwistigkeiten im religiösen Alltag

Karte des Gebiets der Reichsstadt Schwäbisch Hall (mit Großallmerspann oben rechts und dem Einkorn unten links), 1762. Vorlage: Landesarchiv BW HStAS N 100 Nr. 100
Karte des Gebiets der Reichsstadt Schwäbisch Hall (mit Großallmerspann oben rechts und dem Einkorn unten links), 1762. Vorlage: Landesarchiv BW HStAS N 100 Nr. 100

Wer sich mit den konfessionellen Streitigkeiten nach der Reformation beschäftigt, hat dabei meist die großen politischen Auseinandersetzungen vor Augen, die im Dreißigjährigen Krieg ihren Höhepunkt fanden. Dass das Nebeneinander von Katholiken und Protestanten angesichts der territorialen Gemengelage insbesondere im deutschen Südwesten auch im Alltag zu mancherlei Problemen führte, gerät dabei leicht aus dem Blick, obwohl die Akten in den Archiven voll von solchen Konflikten sind.

Besonders dramatische Formen konnten die Auseinandersetzungen annehmen, wenn der Vollzug bestimmter liturgischer Aktivitäten die territorialen Rechte benachbarter Herrschaften tangierte. Das kam häufig bei Prozessionen und Wallfahrten vor, die durch aneinandergrenzende Territorien führten. Die sich daraus ergebenden Konflikte beschäftigten nicht nur die Amtsstuben der betroffenen Herrschaften viele Jahre, sondern häufig auch die Reichsgerichte.

Wie heftig so ein Streit ausfallen konnte, das dokumentieren beispielsweise Akten aus den Beständen der Reichsstadt Schwäbisch Hall und des Stifts Comburg im Staatsarchiv Ludwigsburg. Da dieser Konflikt am Ende vor dem Reichskammergericht ausgetragen wurde, existiert zudem eine Akte des Gerichts im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Anlass für den Konflikt war die jährliche Wallfahrt von Hintersassen des Stifts Comburg auf den Einkorn südlich von Schwäbisch Hall, wo das Stift 1681 eine Kapelle eigens für die Wallfahrt gebaut hatte. Diese wurde von Katholiken in dem nördlich von Schwäbisch Hall gelegenen Großallmerspann, heute Ilshofen, jährlich am Sonntag Exaudi – dem 6. Sonntag nach Ostern – durchgeführt. Der etwa 20 Kilometer lange Weg, den die Prozession von Großallmerspann aus zu nehmen hatte, führte durch das Territorium der protestantischen Stadt Schwäbisch Hall. Viele Jahre hielten sich die Katholiken während des Durchquerens dieses Gebiets mit Gesängen zurück und präsentierten auch nicht die mitgeführten Fahnen und das Kruzifix. In den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts kam es dann aber wiederholt zu Misshelligkeiten, die vermutlich einigen Eiferern auf beiden Seiten zu verdanken waren.

Im Jahr 1773 gipfelte der Streit in Gewalttätigkeiten, als der Gruppe von Wallfahrern Soldaten aus Hall sowie zahlreiche Schaulustige kurz vor dem Ziel auf hellischem Territorium entgegentraten. Wechselseitige verbale Provokationen folgten; schließlich versuchten die Soldaten, die Wallfahrer mit Gewalt am Aufrichten der Fahnen und des Kruzifixes zu hindern. Bei den sich anschließenden Tumulten gab es eine Reihe von Verletzten. Die Empörung aufseiten Comburgs war selbstverständlich groß. Es kam zur Einschaltung des Reichskammergerichts, wo die Reichsstadt und das Stift auch wegen einer Reihe anderer religiös motivierter Konflikte Prozesse führten. Minutiös versuchte man nun zu rekonstruieren, wie sich die Wallfahrer auf den verschiedenen Abschnitten ihres Wegs verhalten hatten und wer für die Eskalation des Streits verantwortlich war. Das Recht zu solchen Prozessionen konnte Comburg am Ende behaupten. Die umfangreichen Akten, die diese und ähnliche andere Auseinandersetzungen hinterlassen haben, bezeugen bis heute, wie sehr der konfessionelle Gegensatz den Alltag der Menschen in der frühen Neuzeit prägte und wie wenig friedlich man auch noch Jahrzehnte, nachdem im Westfälischen Frieden das konfessionelle Miteinander geregelt worden war, miteinander umgegangen ist.

 Peter Müller

Quelle: Archivnachrichten 54 (2017), S.28-29.

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