Eubigheim

Die fünf Söhne des Lehrers Emanuel Wertheimer, die im Ersten Weltkrieg im Einsatz waren. Anselm fand im März 1918 den Tod. Willi arbeitete als Lehrer in Eubigheim und Buchen, 1938 emigrierte er mit Frau und Tochter in die USA. Die anderen Mitglieder der Familie Wertheimer wurden Opfer der NS-Verfolgung. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 692]
Die fünf Söhne des Lehrers Emanuel Wertheimer, die im Ersten Weltkrieg im Einsatz waren. Anselm fand im März 1918 den Tod. Willi arbeitete als Lehrer in Eubigheim und Buchen, 1938 emigrierte er mit Frau und Tochter in die USA. Die anderen Mitglieder der Familie Wertheimer wurden Opfer der NS-Verfolgung. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 692]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Eubigheim gehörte bis 1806 zum fränkischen Ritterkanton Odenwald. Ein Teil war im Besitz der Familie Rüdt von Collenberg-Bödigheim, ein anderer im Besitz der Familie Rüdt von Collenberg-Eberstadt und ein dritter im Besitz der Familie von Bettendorf, der auch der Weiler Obereubigheim gehörte. 1806 fiel das Dorf an Baden.

Die durch den Dreißigjährigen Krieg finanziell besonders stark geschwächten ritterschaftlichen Familien ließen die Juden ins Land, da diese am ehesten in der Lage waren, die herrschaftlichen Kassen zu füllen. In Eubigheim fanden im 17. und 18. Jahrhundert mehrere von den Bischöfen von Würzburg vertriebene Judenfamilien Aufnahme. Neben Geld- und Warenhandel trieben die hiesigen Juden bis zur Vertreibung durch die Nationalsozialisten Vieh- und Pferdehandel. Sie lebten bis zuletzt mit der bäuerlichen Bevölkerung in gutem Einvernehmen. 1825 wohnten in Eubigheim 58, 1875 76, 1887 96, 1900 54, 1925 34 und 1933 35 Juden. Die starke Zunahme im 19. Jahrhundert ist auf die Eröffnung der Bahnlinie Heidelberg-Würzburg zurückzuführen. Zahlreiche Juden, vor allem aus Angeltürn, siedelten damals nach dem neuen Haltepunkt über. Nach 1933 wurden noch zwei Kinder geboren. Im Ersten Weltkrieg sind Elias Haussmann und Julius Samstag den Soldatentod gestorben.

Die israelitische Gemeinde Eubigheim gehörte seit 1827 zum Rabbinatsbezirk Merchingen. Seit 1850 besaß sie eine eigene Synagoge, in der sich auch das rituelle Bad befand. Der kleine jüdische Friedhof ungefähr 100 Meter außerhalb des Ortes dürfte im 19. Jahrhundert angelegt worden sein. Der Sabbat wurde in Eubigheim sehr streng gehalten. Es wurde nicht einmal ein Brief geöffnet, noch Feuer von Juden selbst angezündet. Das durften Christenkinder gegen kleinere Belohnungen machen. Samuel Brückheimer, der Mitbegründer der bedeutendsten Viehhandlung im Dorf, war ein strenggläubiger Mann. So aß er von dem Tage an, an dem das Schächtverbot erlassen wurde, kein Fleisch mehr. Auch Sally Siegel zählte zu den bekanntesten Vieh- und Pferdehändlern. Kleinere Viehhändler waren Leopold Rosenthal, Adolf und Siegbert Reich. Besonders in den Herbst- und Wintermonaten trieben die jüdischen Händler einen schwunghaften Handel mit jungen Pferden, von dem auch die Geschäftsleute, insbesondere die Wirte und Hufschmiede profitierten. Als die Juden nach 1935 ihren Handel allmählich aufgeben mussten, war der Unwille bei den Bauern groß. Manche schlossen weiterhin heimlich Geschäfte mit ihnen ab. Ein für die ganze Umgegend bedeutsames Geschäft für Haushaltswaren und landwirtschaftliche Maschinen war die Firma Bernhard Reis, die der Schwiegersohn Salomon Katzenstein führte. Die Kriegerwitwe Anna Samstag führte das Gasthaus „Zum Löwen" bis zu ihrer Auswanderung Anfang 1934.

Einem sehr gehässigen Ortsgruppenleiter der NSDAP, der schon ab 1935 die Juden zur Aufgabe ihrer Geschäfte zwang, einem Bürgermeister, der auf rasche Auswanderung drängte, und einer judenfreundlichen Bevölkerung haben es die Eubigheimer Juden zu verdanken, dass sie der Deportation entgangen sind. Besonders verdient machte sich der Ratschreiber Hafner, der den Juden alle mögliche Hilfe erwies.

Die Synagoge wurde bereits am 28. Juli 1938 an einen Landwirt verkauft, der sie als Wohnhaus benützt. Die Einrichtung war beim Verkauf der Synagoge von den Juden selbst verbrannt und die Kultgegenstände in die Synagoge Bödigheim verbracht worden. Damit hatte die Gemeinde zu bestehen aufgehört. In der Kristallnacht blieb das ehemalige Synagogengebäude unversehrt.

Auch der jüdische Friedhof wurde nicht geschändet. Von dem auswärtigen Rollkommando wurden nur die Eheleute Adolf und Jeanette Reich angetroffen. Sie wurden misshandelt und ihre Wohnungseinrichtung zerschlagen. Ein Nachbar, der selbst der NSDAP angehörte, eilte den Bedrängten zu Hilfe. Dafür wurde er als „Judenknecht" verprügelt. Obschon sich die Eubigheimer nicht an der Untat beteiligt hatten, waren sie über den Vorfall sehr bedrückt und beschämt. Sie leisteten den Eheleuten Reich alle nötige Hilfe. Der Nachbar trat sofort aus der Partei aus. Bei der Beerdigung der im Juli 1938 verstorbenen Frau Brückheimer hatten sich noch Gemeindemitglieder auf dem jüdischen Friedhof eingefunden. Sie wurden von Parteigenossen fotografiert und im „Stürmer" angeprangert. Samuel Brückheimer wanderte am 30. Januar 1939 nach den USA aus. Die letzten Monate in Eubigheim wohnte er bei einem Bauern, der deswegen von der Grünkernerzeugung, welche damals kontingentiert war, ausgeschlossen wurde. Die Eheleute Reich waren die letzten Juden in Eubigheim. Sie hatten in den USA keine Bürgen und auch nicht genügend Bargeld für die Beschaffung des Visums. Obwohl damals der Kaufpreis für jüdische Grundstücke schon auf ein Sperrkonto überwiesen werden musste, zahlte ihnen ihr Nachbar Otto Baumann den Kaufpreis bar aus. Im Februar 1939 konnten sie Eubigheim verlassen. Wegen seines „Vergehens" wurde Otto Baumann der Grundbucheintrag verweigert und erst nach dem Kriege nachgeholt.

Von den 37 Eubigheimer Juden sind 3 noch in Eubigheim gestorben, 3 weggezogen und 29 nach den USA ausgewandert. Nur Gerta und Melly Reich die bereits 1936/37 nach Holland ausgewandert und dort im Haushalt tätig waren, wurden im August 1942 vom KZ Westerbork nach Auschwitz verschleppt, wo sie sehr wahrscheinlich den Tod fanden.

Nach dem Kriege sind keine Juden mehr nach Eubigheim zurückgekehrt. Dass die verfolgten Juden aber sehr gut zwischen schuldigen und unschuldigen Deutschen zu unterscheiden wussten, beweist die Tat der Frau Rosl Katzenstein, die nach dem Kriege, als in Eubigheim große Not herrschte, aus Amerika viele Pakete geschickt und Gutes getan hat, wo sie nur konnte. Der jüdische Friedhof wird von der Gemeinde und vom Ratschreiber Hafner betreut, wofür die früheren jüdischen Bürger in den USA Geldmittel zur Verfügung stellen.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Eubigheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

 

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Gehrig, Franz, Eubigheim. Ortschronik aus dem Bauland, 1978, S. 175-179.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Wertheimer, Willi, Zwischen zwei Welten. Der Förster von Brooklyn. Lebenserinnerungen des ehemaligen jüdischen Lehrers in Eubigheim und Buchen in Baden, 1980.
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