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Christus erscheint am Ararat - württembergische Pietisten in Georgien

Katharinenfeld, heute Bolnisi [Quelle: Wikipedia gemeinfrei]
Katharinenfeld, heute Bolnissi [Quelle: Wikipedia gemeinfrei]

Zwischen 1763 und 1842 wanderten in mehreren Wellen über eine Million Deutsche nach Russland aus. Die rechtliche Grundlage bildete ein Erlass von Katharina der Großen im Jahr 1763, der den Einwanderern Religions- und Steuerfreiheit, Befreiung vom Militärdienst, Land, finanzielle Unterstützung und freie Ortswahl zusicherte. Die Interessenten mussten ausreichend Barvermögen sowie einen landwirtschaftlichen oder handwerklichen Beruf nachweisen. Die Auswanderer ließen sich zunächst an der Wolga und im Schwarzmeergebiet nieder, später lagen die Zielregionen in Südkaukasus, Georgien und Aserbaidschan. Viele dieser Ankömmlinge stammten aus Württemberg. Sie hofften Hunger und Seuchen zu entkommen aber auch religiöse Gründe spielten eine Rolle.

In Württemberg bestand eine längere pietistische Tradition, die sich in Endzeit-Erwartungen und der Hoffnung auf eine Rückkehr Jesu Christi ausdrückte. Einer der Hauptvertreter war Johann Albrecht Bengel (1687-1752), der das Weltende für 1836 berechnet hatte. Johann Heinrich Jung-Stilling (1740-1817) verkündete die Ankunft Jesu Christi am Berg Ararat im Südkaukasus. Während viele pietistische Theologen in der Kirche verblieben, lehnten radikale-pietistische Kreise sie ab und gerieten so in Konflikt mit der Obrigkeit. Auf Initiative des Generalgouverneurs des Kaukasus, General Aleksey Jermolow, kam 1817 die erste Gruppe aus Schwaikheim nach Georgien, wo die Siedlung Marienfeld entstand. Insgesamt zogen rund 1400 Familien nach Georgien. Sie gründeten Elisabethtal, Alexandersdorf, später Alexandershilf. Die größte Siedlung Katharinenfeld war die zweite Niederlassung von Auswanderern aus Aserbaidschan.

Wie bei den meisten Aussiedlern waren die Anfänge hart. Viele starben während der Reise oder nach der Ankunft. Die Kolonisten wurden zu russischen Staatsbürgern, erhielten aber einen Sonderstatus mit Deutsch als Amts- und Schulspache. Sprachliche Autonomie war eine gängige Praxis im multiethnischen Zarenreich, doch sollten missionarische Einflüsse auf andere unterbleiben. Mit der Modernisierung Russlands ab Mitte des 19. Jh. wurde der Sonderstatus aufgehoben. Sprache und Strukturen der deutschen Gemeinden blieben weiterhin erhalten. Die Einwohnerzahlen wuchsen. Es entwickelten sich wirtschaftlich und soziokulturell bedeutende Standorte, die nun, etwa mit dem Stundenwesen, zur Verbreitung protestantischen Gedankenguts beitrugen.

Die Siedlungen im Kaukasus hatten sich auf Weinbau und Cognacbrennerei spezialisiert. Katharinenfeld verfügte neben verarbeitenden Betrieben über eine Berufsschule und ein Krankenhaus. Ab 1941 wurden die deutschen Einwohner nach Sibirien und Kasachstan deportiert, wo viele Männer in den Gulags starben. Nur wenige ihrer Nachkommen kehrten ab 1979 nach Georgien zurück. Die meisten reisten in den 1990er Jahren nach Deutschland aus.

Im heutigen Erscheinungsbild der ehemals deutschen Siedlungen Georgiens finden sich nur versteckte Spuren. Kirchen wurden abgerissen oder umgenutzt, Gebäude zerfielen. Einige Gehöfte in Katharinenfeld, heute Bolnissi, zeigen das für die Siedlungshäuser typische Erscheinungsbild: mehrstöckige, giebelständige Häuser in Fachwerkausführung mit Balkonvorbauten aus Holz, vorwiegend in den oberen Geschossen, die auch umlaufen. Eine der ehemaligen Mühlen in Bolnissi beherbergt ein Hotel. Im evangelischen Gemeindehaus gibt es einen Museumsbereich und eine deutschsprachige Bibliothek. Alexandersdorf wurde zwischenzeitlich Stadtteil von Tiflis. Infolge der wachsenden touristischen Attraktivität Georgiens in den vorangegangenen Jahren und privater oder kirchlicher Initiativen konnte das eine oder andere Gebäude wiederhergestellt werden.

Zum Weiterlesen:
Krieger, Viktor, Von der Anwerbung unter Katharina II. bis 1917, in: Russlanddeutsche, Bundeszentrale für politische Bildung (aufgerufen am 24.07.2021).

Die Informationen zu den deutschen Orten in Georgien wurden dem folgenden Artikel entnommen (nicht online verfügbar):
Jan Chudozilov, Aus Württemberg in den Südkaukasus – Deutsche Siedler in Georgien, in: Schwäbische Heimat 1 (2020), S. 16-21.

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