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Das Stuttgarter Kabelattentat 1933

Adolf Hitler in Stuttgart 1938 [Quelle: Landesfilmsammlung Baden-Württemberg]

Adolf Hitler in Stuttgart 1938 [Quelle: Landesfilmsammlung Baden-Württemberg]. Die Videosequenz finden Sie hier.

Am 15. Februar 1933 stoppten die vier jungen Antifaschisten Alfred Däuble, Hermann Medinger, Wilhelm Breuninger und Eduard Weinzierl mit Hilfe eines Axthiebs gegen ein Übertragungskabel die Radio-Übertragung einer Hitler-Rede aus der Stuttgarter Stadthalle. Die Rede stand im Zeichen des Wahlkampfs vor den Reichstagswahlen am 5. März 1933 und sollte damals vom Süddeutschen Rundfunk übertragen werden. Gegen Ende der Rede, die von 20:15 bis 21:25 Uhr dauern sollte, wurde die Übertragung um 21:17 unterbrochen, weil ein oberirdisches Rundfunkkabel in einer Hofeinfahrt in der Werderstraße 20 durchtrennt worden war. Auch Theodor Decker soll maßgeblich an der Planung der Aktion beteiligt gewesen sein. In der Arbeitersiedlung Eiernest in Heslach wurde in derselben Nacht von den Widerstandskämpfern Willi Bohn und Hans Rüß ein Flugblatt entworfen, mit dem die Stuttgarter am andern Morgen über das "Kabelattentat" aufgeklärt wurden.

Nach 1945 verbreitete sich die Legende, Hitler habe Stuttgart wegen dieses Kabelattentats nie wieder besucht. Auch Matthäus Eisenhofer, der Begründer des Südwestdeutschen Rundfunks, schrieb in seiner Autobiographie, Hitler habe infolge des "Attentats" nie wieder eine Rede in Stuttgart gehalten. Der Filmausschnitt beweist jedoch das Gegenteil: Der Diktator paradierte am 1. April 1938 durch Stuttgart. Anlässlich des Besuchs trat er auch wieder in der Stadthallte als Redner auf. Wollten die Stuttgarter und ihre Stadtregierung nach 1945 den Anschein erwecken, Stuttgart habe wenig mit dem Nationalsozialismus zu tun und keinen hohen Stellenwert in der NS-Ideologie genossen, buhlten Bürgermeister und Stadtrat ab 1933 geradezu um die Aufmerksamkeit der Parteiführung. Man fürchtete, gegenüber Städten wir Nürnberg oder München ins Hintertreffen zu geraten. Gerade diese Städte genossen als "Stadt der Reichsparteitage" und als "Hauptstadt der Bewegung" die Aufmerksamkeit des NS-Regimes und standen im Zentrum der pompösen Inszenierungen der NSDAP. Die beharrlichen Bemühungen von Oberbürgermeister Karl Strölin waren schlussendlich erfolgreich: 1936 wurde Stuttgart als eine der für den Nationalsozialismus bedeutenden Städte anerkannt und mit dem NS-Ehrentitel "Stadt der Auslandsdeutschen" bedacht. Auch das 15. Deutsche Turnfest, das im Juli 1933 in Stuttgart stattfand und das größte Sportevent nach den Olympischen Spielen 1936 war, sollte der Landeshauptstadt einen Imagegewinn bescheren - auch gegenüber der Parteiführung in Berlin. Die Reichsgartenschau 1939, die ebenfalls zu einer Propaganda-Show avancierte, diente einem ähnlichen Ziel.

So stand die Erinnerung an das Kabelattentat nach 1945 lange Zeit im Zeichen einer mythischen Überhöhung und Vereinnahmung des Sabotageakts, um die Legende einer vermeintlich widerständigen und liberalen Stadt zu nähren, während gleichzeitig die vier Saboteure der Rede und ihre Hintermänner nach dem Krieg weitgehend vergessen wurden.

  • Wer mehr über zwei der Drahtzieher der Aktion Hermann Medinger und Eduard Weinzierl erfahren möchte, wird auch in den Wiedergutmachungsakten fündig, die im Landesarchiv Baden Württemberg aufbewahrt werden.
  • Weitere Informationen finden Sie auch auf der Seite "Stolpersteine Stuttgart" (JH)
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