Bohn, Willi Karl Wilhelm 

Geburtsdatum/-ort: 06.08.1900; Gotha
Sterbedatum/-ort: 23.01.1985;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Redakteur, KPD-Politiker, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1907–1915 Bürgerschule (Mittelschule) in Gotha
1915–1922 Lehre als Bürokaufmann, anschließend stellvertr. Büroleiter in einer Anwaltskanzlei
1918 Eintritt in die USPD
1921–1923 Stadtverordneter in Gotha
1922 Redakteur des „Gothaer Volksblattes“; hauptamtliche Tätigkeit für die KPD
1923 Chefredakteur d. „Niedersächsischen Arbeiterzeitung“
1925 Bezirkssekretär, anschließend polit. Leiter des KPD-Bezirks Niedersachsen
1926 Erneut Chefredakteur d. „Niedersächsischen Arbeiterzeitung/Neue Arbeiterzeitung“
1932 Chefredakteur d. „Süddeutschen Arbeiterzeitung“ in Stuttgart
1933/34 Polit. Tätigkeit im Untergrund, Schmuggel von kommunistischen Schriften aus d. Schweiz nach Süddeutschland
1934 Tätigkeit für die KPD in Berlin, im Oktober verhaftet
1935–1945 Verurteilung zu 10 Jahren Zuchthaus wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“; anschließend Haft in Ludwigsburg, Kaltenstein u. Stuttgart
1945–1949 Politikredakteur, zuletzt Lokalredakteur d. „Stuttgarter Zeitung.“
1946–1959 Mitglied d. Gemeinderates Stuttgart-KPD, bis zu deren Verbot Fraktionsvorsitzender, dann parteilos
1950–1956 Redakteur d. KPD-Parteizeitung „Volksecho“
Weitere Angaben zur Person: Religion: konfessionslos
Verheiratet: 1925 (Celle?) Mariechen (1904–1980), geb. Schmidt
Eltern: Vater: Otto (1875–1910), Instrumentenbauer
Mutter: Therese Antonie geb. Hopf, (1874–1950)
Geschwister: 2; Ernst Alfred (geboren 1904) u. Johannes Kurt (1908–1983)
Kinder: keine
GND-ID: GND/118512927

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 43-46

Die finanziell bis zum Tod des Vaters recht günstige Situation seiner Familie ermöglichte Bohn den Besuch der Realschule. Mit Unterstützung der sozialdemokratischen Gesinnungsfreunde seines Vaters konnte er danach die Mittlere Reife ablegen. 1915 begann Bohn eine Lehre in einer Anwaltskanzlei, die er 1918 erfolgreich abschloss. In den folgenden vier Jahren wurde er stellvertretender Büroleiter.
Das politische Weltbild Bohns war durch das SPD-Engagement seines Vaters vorgeprägt. Die Gothaer SPD gehörte zum linken Flügel der Partei und der Gothaer Abgeordnete unterstützte früh Karl Liebknecht (1871–1919) bei der Ablehnung der Kriegskredite. 1917 fand der Gründungsparteitag der USPD in Gotha statt. An diesem nahm Bohn als Gast teil, zugleich organisierte er schon während des I. Weltkrieges einen jugendlichen Diskutierclub, der sich ebenfalls auf der äußeren Linken des politischen Spektrums bewegte. 1918 trat Bohn in die USPD ein – entgegen der gesetzlichen Bestimmungen, die ein parteipolitisches Engagement erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres erlaubten.
Nach dem Sturz der Monarchie wurde in Gotha eine vom örtlichen Arbeiter- und Soldatenrat gewählte dreiköpfige „Arbeiterregierung“ gebildet, die sich bis zum April 1920 hielt. Dann verhängte Reichspräsident Friedrich Ebert den Ausnahmezustand; es kam zur Einsetzung eines Reichskommissars, was die Gothaer USPD Ebert als „Verrat“ anlastete und später ein Zusammengehen mit der SPD ablehnte. Im Herbst 1920 schlossen sich Bohn und andere Gothaer USPD-Mitglieder den Kommunisten an.
Bereits 1921 war Bohn in das Parlament seiner Heimatstadt gewählt worden, 1922 wurde er Redakteur des „Gothaer Volksblattes“ und hauptamtlicher Parteifunktionär. Bereits nach einem Jahr wechselte er nach Hannover und wurde Redakteur der „Neuen“, später „Niedersächsischen Arbeiterzeitung“; er musste Herstellung und Vertrieb des Blattes während des Verbots der KPD 1923/24 sicherstellen. Später gelang Bohn der Aufstieg zum Chefredakteur des Blattes; zeitweise war er auch politischer Leiter des Bezirkes Niedersachsen. Bohn galt als Vertreter eines mittleren Kurses, der gegenüber Thälmann absolute Loyalität hielt.
1932 wurde Bohn auf Wunsch der Parteileitung nach Stuttgart versetzt, wo er die Redaktion der „Süddeutschen Arbeiterzeitung“ übernahm. Zuletzt hatte dort eine ultralinke Gruppe gewirkt. Unter Bohns Leitung wurden die Linie der Parteileitung wieder eingehalten und die Verhältnisse konsolidiert. Angesichts der Entwicklung im Reich hatte Bohn schon 1932 den Auftrag, ein möglicherweise notwendiges Wirken der KPD im Untergrund vorzubereiten. Tatsächlich war kurz nach der NS-„Machtergreifung“ in Stuttgart nur noch die illegale politische Tätigkeit möglich. KPD-Funktionäre arbeiteten in Dreiergruppen zusammen, nur eines der Mitglieder hatte Kontakt zur nächst höheren Führungsebene. Auch auf Landesebene arbeitete fortan nur ein Dreierausschuss, in dem Bohn für den Bereich Propaganda und Agitation zuständig war. Als „Untergrundarbeiter“ hatte er keinen festen Wohnsitz mehr, sondern wechselte täglich das Quartier, um nicht enttarnt zu werden. Einen Prestigeerfolg hatte Bohn am 15. Februar 1933 errungen, als es ihm gelang, die Rundfunk-Übertragung einer groß angekündigten Hitlerrede aus der Stuttgarter Stadthalle zu verhindern. Ihm war bekannt worden, wo das Übertragungskabel oberirdisch an einer Hauswand entlanglief. So konnte er es mit einem Beil durchtrennen. Tags darauf veröffentlichte er ein Flugblatt und rief zum gemeinsamen Widerstand aller oppositionellen Kräfte gegen das NS-Regime auf, fand aber keine Resonanz bei SPD und Gewerkschaften. Im Kontext mit der Reichstagsbrandverordnung wurde die von Bohn herausgegebene „Süddeutsche Arbeiterzeitung“ verboten, so dass er neue Wege für den Vertrieb seiner Zeitung und von Flugblättern finden musste. Darum trat er mit dem Allensbacher Kunstmaler Otto Marquard in Kontakt, der ihn mit einem Fischerkahn über den Untersee in die Schweiz brachte. Bei Gesinnungsgenossen in Zürich konnte Bohn Flugblätter und Ausgaben der „Süddeutschen Arbeiterzeitung“ drucken lassen, die dann getarnt als „Glasgut“ an eine Konstanzer Deckanschrift geschickt und von dort aus vertrieben wurden. Auch die nächsten Monate galten dem Aufbau der „Transportkolonne Otto“ und Bohn bemühte sich darum, immer subtilere Wege für den Schmuggel regimekritischer Schriften an Untersee und Hochrhein entlang zu finden. 1934 wechselte Bohn auf die Stelle seines von den Nationalsozialisten ermordeten Freundes John Schehr (1896–1934) als politischer Leiter der KPD nach Berlin, wurde dort aber im Oktober 1934, nur ein halbes Jahr später, ausgehoben und 1935 in Ludwigsburg wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, auch wenn das Gericht die Dimension der von Bohn geleisteten „Grenzarbeit“ in zahlreichen Fällen nur mutmaßen konnte.
Seine Haft verbüßte Bohn bis 1942 in Ludwigsburg, dann auf Burg Kaltenstein bei Vaihingen an der Enz und in den letzten Kriegstagen im Stuttgarter Gestapohauptquartier, von wo aus er noch nach Riedlingen verschleppt wurde. Hier konnte er sich selbst befreien und nach Weingarten flüchten, wo er bis zum Einmarsch der Franzosen in der Wohnung eines Gesinnungsgenossen untertauchte.
Anfang September kehrte Bohn nach Stuttgart zurück und wirkte wieder als Redakteur und KPD Politiker. Im Frühjahr 1946 wurde er in den Stuttgarter Gemeinderat gewählt und war bis zum KPD-Verbot deren Fraktionsvorsitzender. Zugleich wurde er in den Landesvorstand berufen; seine Kandidatur für den Bundestag 1953 blieb erfolglos. Gegen den Wunsch der Stuttgarter KPD wurde nicht Bohn, sondern Karl Ackermann von der Besatzungsmacht zum Herausgeber der „Stuttgarter Zeitung“ berufen, konnte aber als Redakteur für den Bereich Politik die Linie der Zeitung in den Anfangsjahren mitprägen.
Die Schriften und Reden Bohns in dieser Zeit waren durch eine fast blinde Verherrlichung der Zustände in der Sowjetunion und ihrer Besatzungszone geprägt. Das lässt schon einer seiner ersten Beiträge in der „Stuttgarter Zeitung“ zum Jahrestag der Novemberrevolution am 9. November 1945 erkennen. Als einer der westdeutschen KPD-Delegierten nahm er auch am Gründungsparteitag der SED im Frühjahr 1946 in Berlin teil und warb später immer wieder für den Zusammenschluss von SPD und KPD in Württemberg- Baden, was bei der SPD kaum auf Resonanz stieß, bis es von der Besatzungsmacht ganz unterbunden wurde. Auch zur von Bohn angestrebten Listenverbindung beider Parteien bei den Kommunalwahlen 1946 kam es nicht.
Im Stuttgarter Gemeinderat legte Bohn später regelmäßig Programme vor, die die jeweils in der DDR durchgeführten Maßnahmen propagierten: Eine Bodenreform sollte den Einfluss der Großbauern brechen, Bankenkontrolle die Vorrechte der Reichen beseitigen, eine Schulreform Arbeiterkindern den Weg zum Studium freimachen, Planwirtschaft eingeführt werden. Bohns Ziel war es auch, die Zusammenarbeit Stuttgarts mit ostdeutschen Städten zu fördern. Fast schon ein Achtungserfolg war dabei 1949 der Besuch einer Gemeinderatsdelegation unter Leitung des SPD-Bürgermeisters Josef Hirn (1898–1971) in Dresden und der Gegenbesuch der Dresdner in Stuttgart im Jahr darauf. Danach wollten nur noch Kommunisten diese Beziehungen vertiefen.
Ende der 1940er-Jahre bildete die Kritik an der Währungsreform das zentrale Thema Bohns, die durch den Umtauschkurs 1:10 zur Verarmung des kleinen Mannes führe, während die Inhaber der Produktionsmittel über eine gesunde Grundlage zur Wiederherstellung ihres Vermögens verfügten. Unter dem Schlagwort „für Adenauer sterben – ohne uns!“ (Bohn 1981, S. 221) suchte er Stimmung gegen die „Remilitarisierung“ zu machen, so wie er einen Friedensvertrag auf der Grundlage der Stalinnote von 1952 und die völkerrechtliche Anerkennung der DDR und Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Ostberlin forderte. Bohn wollte schließlich in Stuttgart eine „sozialistische Festkultur“ etablieren; sogar der Jahrestag der DDR-Gründung sollte gefeiert werden.
Das Ende von Bohns Karriere zeichnete sich schon vor dem Verbot der KPD ab. 1947 war er von den Herausgebern der „Stuttgarter Zeitung“ ermahnt worden, weniger tendenziöse Artikel zu schreiben. Als Verfolgter des NS-Regimes konnte er nicht entlassen werden, er verlor aber seinen Posten als Chefredakteur Politik und war nur noch Redakteur des Lokalteils. Schließlich schied Bohn freiwillig aus, war fortan nur noch Herausgeber des kommunistischen „Volksechos“ und betreute, wie schon seit 1946, gemeinsam mit Robert Leibbrand (1901–1963) die kommunistische Wochenzeitschrift „Das neue Wort“.
Mit dem KPD-Verbot 1956 wurde auch das „Volksecho“ illegal. Bohn war arbeitslos, bis er nach knapp zwei Jahren in der Kreditabteilung einer Bausparkasse Arbeit fand. Sein Mandat im Stuttgarter Gemeinderat hielt er als parteiloser Abgeordneter bis zum Ende der Legislaturperiode 1959. Großes Thema Bohns als Gemeinderat und darüber hinaus war die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, das Vorgehen gegen die Täter und die Pflege der Erinnerung an Opfer des NS-Regimes in Stuttgart und Baden-Württemberg. Bohn gehörte zu den entschiedenen Gegnern des ehemaligen Stuttgarter NS-Oberbürgermeisters Karl Strölin, der nur als „Mitläufer“ eingestuft seine Pension einforderte. Großes Engagement und Aufmerksamkeit widmete Bohn indessen dem Gedenken der Opfer des NS-Regimes und war maßgeblich an der Errichtung eines Mahnmals für die Opfer des Nationalsozialismus vor dem Stuttgarter Schloss beteiligt, das 1973 in Anwesenheit von Oberbürgermeister Arnulf Klett enthüllt wurde. Durchaus positive Resonanz haben auch die Veröffentlichungen Bohns zur Geschichte des Widerstandes in Stuttgart gefunden und seine Dokumentation „Stuttgart geheim“, die mehrere Auflagen erreichte. Darin wurde die Widerstandstätigkeit Bohns durch die Oberbürgermeister Klett und Rommel gewürdigt. Schließlich belegt 1976 die goldene Erinnerungsmedaille der Stadt Stuttgart, wie Bohn dort Anerkennung zuteil wurde.
Quellen: BA Berlin, SAPMO, Nachlass Willi Bohn; HStA Stuttgart J 152 AV Nr. 2, J 153 Nr. 50; Artikel in „Niedersächsische Arbeiterztg./Neue Arbeiterztg.“ 1925/26–1932; „Süddt. Arbeiterztg.“ 1932/33 (im Untergrund bis 1935); „Stuttg. Ztg.“ 1946–1949 u. in: „Das neue Wort“, Zs. für politische, soziale u. kulturelle Neugestaltung 1946–1950.
Werke: Das Schicksal deiner Gemeinde in deiner Hand, 1952; VVN B-W, 20 Jahre Ringen, 1967; Transportkolonne Otto, 1970; Befreiung aus einem Meer von Blut u. Tränen, 1978; Stuttgart Geheim, 1978; Vor 35 Jahren: Vollstreckt, niemals vergessen, 1979; Einer von vielen, 1981; „Hochverräter!“, 1984.
Nachweis: Bildnachweise: Einer von vielen, 1981, 127 u. 258 (vgl. Werke).

Literatur: Uwe Mönninghoff, Neuanfang u. Wiederkehr. Die Tagespresse in Baden u. Württemberg, in: Von d. Preßfreiheit zur Pressefreiheit, 1983, 173– 199; Wolfgang Niess, Willi Bohn: Kommunistischer Funktionär u. Chefredakteur, in: Michael Bosch, Der Widerstand im dt. Südwesten 1933–1945, 1984, 172-182; Irene Hübner: Willi Bohn – Ein Unentbehrlicher, in: Willi Bohn, Hochverräter, 1984, bes. 163-174 (vgl. Werke); Edgar Lersch (Hg.), Stuttgart in den ersten Nachkriegsjahren, 1995; Stefan Kursawe, Politische Kommentare bei Radio Stuttgart u. d. Stuttgarter Tagespresse 1945–1947, 1996; ders., Stimmen d. „Stunde Eins“: politische Kommentare im Stuttgart d. unmittelbaren Nachkriegzeit, in: Rundfunk u. Geschichte 23, 1997, 208-223; Hermann Weber, Deutsche Kommunisten. Biogr. Handb. 1918–1945, 2004, 110f.
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