Malsch

Bereich um den Standort der Synagoge, heute Hauptstr. 26, auf der Badischen Gemarkungskarte (1870-71). Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 1127, 2]
Bereich um den Standort der Synagoge, heute Hauptstr. 26, auf der Badischen Gemarkungskarte (1870-71). Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 1127, 2]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das im Besitz des württembergischen Klosters Herrenalb befindliche Dorf Malsch fiel 1535 mit der Einführung der Reformation an Württemberg. Durch Tausch kam es 1604 an Baden-Durlach, das den Ort 1622 an Baden-Baden verlor. Während des Dreißigjährigen Krieges oder vielleicht bald danach ließen sich Juden in Malsch nieder. Drei Familien wurden zunächst in den Schutz aufgenommen. 1715 waren es bereits sechs Familien, deren Oberhäupter als Viehhändler, Metzger und Krämer ihren Lebensunterhalt verdienten. So kaufte die Gemeinde 1722 von ihrem Juden Abraham 200 Lattnägel für den Bau der Schule und Ö1 für einquartierte Soldaten. 1737 baten die Gemeindevorsteher von Malsch die Regierung, keine weiteren Juden zuzulassen; schon jetzt würden die christlichen Metzger und Krämer durch die jüdische Konkurrenz geschädigt, und durch den starken Weidgang der Juden, die Anteil am Allmendgenuss hatten, würde die ganze Einwohnerschaft beeinträchtigt. Obwohl der Gemeinde daraufhin eine Zuzugsbeschränkung für Juden bewilligt wurde, wurden bis 1759 zwei weitere Familien in Malsch aufgenommen. Sie verdienten durch ihren Handel und ihre sparsame Lebensweise so viel, dass sie sich bald eigene Häuser erwerben konnten. Ihre Zahl ging bis 1783 auf vier Familien zurück, stieg aber bis 1825 auf 108 an, nachdem fast alle Niederlassungsbeschränkungen aufgehoben worden waren. Die jüdische Gemeinde, die seit 1827 zum Rabbinatsbezirk Karlsruhe, seit 1885 zu Bühl gehörte, erbaute sich im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Synagoge an der Hauptstraße. Die Toten wurden auf dem Verbandsfriedhof in Kuppenheim beigesetzt. 1851 beantragte die jüdische Gemeinde einen Schulraum für die Unterrichtung ihrer Kinder und die Anstellung eines eigenen Lehrers. Erst 1873 wurde diesem Antrag entsprochen. In einem dorfeigenen Haus neben der Kirche wurde die Schulstube eingerichtet. Der erste jüdische Lehrer Kahn unterrichtete damals ungefähr 50 schulpflichtige Kinder; doch ging diese Schule schon 1876 in der neuen Simultanschule auf.

1872 erwarb Aron Maier die uralte Wirtschaft „Schwanen". 1888 eröffnete der jüdische Arzt Dr. Trautmann eine Praxis in Malsch. Die Zahl der Juden war bis 1875 auf 320 hochgeschnellt, fiel dann aber bis 1900 auf 203, bis 1925 auf 101und bis 1933 auf 89.

Das Leben in der jüdischen Gemeinde verlief auch nach dem Boykottaufruf vom 1. April 1933 noch in ruhigen Bahnen. Doch schmolz die Gemeinde durch Auswanderung erheblich zusammen. 1934 wurde noch feierlich eine neue Thorarolle eingeweiht. Der jüdische Männerwohltätigkeitsverein Gemilus Chesed setzte mit seinen knapp 20 Mitgliedern seine karitative Tätigkeit fort. Leo Gabel, seit 1932 als Kantor und Religionslehrer in Malsch tätig, leitete den jüdischen Jugendbund zur Pflege der religiösen Weiterbildung, der dem Reichsbund der jüdischen Jugendverbände in Düsseldorf angeschlossen war. Außerdem bestand bis 1933 ein Frauenverein.

Die Kristallnacht und ihre Folgen bereiteten dem Gemeindeleben ein jähes Ende. SA-Leute aus Gaggenau steckten die Synagoge in Brand. Barbarisch wurde in den Wohnungen einzelner Juden gehaust; Schränke wurden zertrümmert, Wäsche herausgeschleudert, Fußbodendielen aufgerissen, Spiegel zerschlagen. In einem Haus wurde die jüdische Eigentümerin geschlagen, weil sie den Geldschrankschlüssel nicht herausgeben wollte. Obwohl Plünderungen bei dieser Demonstration des „Volkszornes" von höchster Stelle verboten waren, fehlten später mehrere Tausend Reichsmark. Demolierte Geschäfte mussten von der Polizei bewacht werden, um Diebstähle zu verhindern.

Durch Zuzüge und Geburten erhöhte sich die Zahl der zwischen 1933 und 1945 in Malsch lebenden Juden auf 101. 57 von ihnen fanden im Ausland, vor allem in den USA, Zuflucht. 5 starben in ihrem Heimatdorf. 7 zogen innerhalb Deutschlands um. Von diesen wanderte 1 aus, 2 starben an ihren neuen Wohnsitzen. Das Schicksal der übrigen 4 und 4 weiterer Malscher Bürger ist ungeklärt.

Nach Gurs wurden am 22. Oktober 1940 21 Juden deportiert. Von ihnen konnten 7 sich ins Ausland retten. 8 starben in französischen Lagern, 2 in Auschwitz. Die übrigen sind verschollen.

Besonders tragisch war das Schicksal der Ehepaare Kaufmann und Löb. Das Schiff, das sie in die Freiheit bringen sollte, durfte 1939 nicht in Kuba landen. Sie mussten zurück nach Belgien, wurden dort verhaftet und über die Lager Malines, Gurs, Drancy nach Auschwitz in den Tod geschickt.

Kantor Leo Gabel wurde 1938 als polnischer Staatsbürger ausgewiesen. Er siedelte mit seiner Frau nach Posen über, während sein vierjähriger Sohn bei Verwandten in Holland untergebracht werden konnte. Die letzte Nachricht des Ehepaares stammt aus dem Ghetto Warschau, in dessen heldenmütigem Kampf und Untergang auch sie wohl ihr Leben verloren.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Ernst, Lore, Die Geschichte des Dorfes Malsch, 1954. 

  • Schwarz, Benedikt, Malsch, in: Die Pyramide Nr. 47-49, 51, 1916.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Malsch, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Jüdisches Leben in Malsch, hg. von Heimatfreunde Malsch e.V. (Malscher Historischer Bote 3), Malsch 2009.
  • Maier, Louis, Empfänger unbekannt verzogen. Die Odyssee eines jungen Flüchtlings auf den Spuren des Schicksals seiner Eltern, hg. von der Gemeinde Malsch. Übersetzt aus dem Englischen von Sally Laws-Werthwein und Donald Werthwein.
  • Maier, Louis, From the Golden Gate to the Black Forest. The Odyssey of A New American in Search of His Parents' Fate, Schreiber Publishing.
  • Maier, Louis, In Lieu of Flowers, in Memory of the Jews of Malsch, a Village in Southern Germany, Los Colinas TX/USA 1985.
  • Maier, Louis, Schweigen hat seine Zeit, Reden hat seine Zeit. Ein Sohn spricht vom Leben und Schicksal der Jüdischen Gemeinde in Malsch.
  • Stude, Jürgen, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1990.
  • Wildemann, Wilhelm, Malscher Antlitz. Eine Art Bestandsaufnahme 1987, Malsch 1987.
  • Wildemann, Wilhelm, Malscher Leben. Malsch 1991.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 370-371.
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