Sulzburg mit Staufen

Die ehemalige Synagoge in Sulzburg. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 schwer beschädigt und 1939 an die Gemeinde Sulzburg verkauft. Ab den 1960er Jahren bemühte sich ein Freundeskreis um den Erhalt. Nach längerer Restaurierungsphase entstand die Gedenkstätte mit Kulturzentrum. [Quelle: Landeszentrale für politische Bildung BW - Gedenkstätten]
Die ehemalige Synagoge in Sulzburg. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 schwer beschädigt und 1939 an die Gemeinde Sulzburg verkauft. Ab den 1960er Jahren bemühte sich ein Freundeskreis um den Erhalt. Nach längerer Restaurierungsphase entstand die Gedenkstätte mit Kulturzentrum. [Quelle: Landeszentrale für politische Bildung BW - Gedenkstätten]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

1415 erwarb Markgraf Bernhard von Baden Sulzburg durch Kauf von Markgraf Otto II. von Hachberg. In der Folgezeit war die Stadt zeitweilig Residenz von Zweiglinien des badischen Fürstenhauses oder Witwensitz.

1537 gewährte Markgraf Ernst von Baden-Durlach den sieben Juden, die in eigenen Häusern in Sulzburg wohnten, bis auf Widerruf freies Geleit. Sie mussten dafür 40 Gulden Schutzgeld und 24 Ellen Samt oder Damast bezahlen. Erwerb von Grundeigentum und Darlehen an Christen wurden ihnen verboten. In den folgenden Jahren erhielt die jüdische Gemeinde Zuzug aus Freiburg, als dort 1543 alle Juden vertrieben worden waren. 1546 bekam sie die Erlaubnis zur Errichtung einer Synagoge oder Schule und zur Anstellung eines Vorsängers oder Schulmeisters. Schon vorher war den Juden Isyas, David, Hayum und Jößli erlaubt worden, in ihren Wohnungen Gottesdienst zu feiern. In einem Visitationsprotokoll von 1556 wird die große Zahl der in Sulzburg ansässigen Juden hervorgehoben.

Der Sulzburger Judenfriedhof wurde in dieser Zeit angelegt. Bis zur Einrichtung des Lörracher Verbandsfriedhofs um 1670 wurden hier alle verstorbenen Juden des badischen Oberlandes bestattet. Als unter Markgraf Georg Friedrich die Juden aus Baden - von wenigen Ausnahmen abgesehen - vertrieben wurden, verfiel der Gottesacker, den Matthäus Merian auf seiner in der Topographia Sueviae 1643 veröffentlichten Ansicht Sulzburgs von 1630 als „Judenkirchhof" dargestellt hat. 1663 wurde der Friedhof als Weide benutzt. Seinem eigentlichen Zweck wurde er wieder zugeführt, als Markgraf Karl Wilhelm erneut Juden die Niederlassung in Sulzburg gestattete und den alten Friedhof persönlich in Augenschein nahm. 4 Familien wurden 1716 in den Schutz aufgenommen. Ihre Zahl stieg bis 1727 auf 8, bis 1738 auf 10 Familien an.

Seit 1727 war Sulzburg Rabbinatssitz für das badische Oberland. Erster Rabbiner war David Kahn aus Rappoltsweiler, der 1744 starb. Ihm folgte sein Sohn Isaak bis 1797, Abraham Weil, der Sohn des Karlsruher Oberlandrabbiners Tia Weil bis 1832 und bis 1886 Emanuel Dreyfuß. Sie alle ruhen auf dem Sulzburger Friedhof. Dem Rabbinatsbezirk gehörten 1827 die jüdischen Gemeinden Kirchen, Lörrach, Müllheim und Sulzburg an. 1886 wurde der Sitz des Rabbinats nach Freiburg im Breisgau verlegt.

Im 19. Jahrhundert nahm die Zahl der jüdischen Einwohner zunächst beträchtlich zu. 1801 waren es 133; 1825 machten die 207 Juden über 23 Prozent der Einwohnerschaft aus. 1842 zählte man 322, 1852 382 Juden, und 1864 war mit 412 Juden - knapp ein Drittel der Bevölkerung - der Höhepunkt der Entwicklung erreicht. 1875 waren 313, 1900 191 und 1925 120 Juden in Sulzburg ansässig.

Bis 1823 wurde Gottesdienst in einem Betsaal gefeiert. Erst in diesem Jahr wurde eine Synagoge im Weinbrenner-Stil an der Mühlbacher Straße errichtet. Bald darauf (1837) wurde eine israelitische Volksschule eröffnet, die bis zur Aufhebung der Konfessionsschulen in Baden 1876 für die Ausbildung der jüdischen Kinder Sorge trug.

Das Verhältnis zur christlichen Bevölkerung war im 19. Jahrhundert nicht frei von Spannungen. Während der Beratung der Emanzipationsgesetze kam es in Sulzburg zu Tumulten, bei denen vielen Juden die Fenster eingeschlagen wurden. Gendarmerie aus Müllheim sorgte schließlich für Ordnung. Die Verhältnisse normalisierten sich, und seit 1877 waren die Juden bis 1933 ständig mit zwei Mitgliedern im Gemeinderat vertreten. Sie betätigten sich aktiv in der Freiwilligen Feuerwehr und anderen örtlichen Vereinen. Auch in der jüdischen Gemeinde gab es verschiedene Vereine. Der Frauenverein hatte sich die Unterstützung von Kranken zur Hauptaufgabe gemacht. Eine Jugendgruppe zur Pflege jüdischer Geschichte und Literatur sowie eine Ortsgruppe des Centralvereins stellten ihre Tätigkeit vor 1933 ein. Für karitative Aufgaben standen Mittel aus etwa 12 Stiftungen zur Verfügung. Wohl der bekannteste in Sulzburg geborene Jude war Gustav Weil (1808-89), der als Professor für Orientalistik in Heidelberg wirkte. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Freiburg im Breisgau. Die Sulzburger Juden lebten zunächst von Vieh- und Weinhandel. 1933 gab es drei jüdische Kolonial- und Manufakturwarengeschäfte, ein Wein- und Spirituosengeschäft, sowie die Branntweinbrennerei H. Dukas Söhne oHG. Alle diese Geschäfte hatten seit 1933 unter dem Boykott zu leiden, konnten sich aber zum Teil bis zur Kristallnacht halten. Den jüdischen Viehhändlern wurde nach und nach die Handelserlaubnis entzogen.

Dass Sulzburg selbst 1938 noch einen beträchtlichen jüdischen Bevölkerungsanteil hatte (Juli 1938 57), war für die Nationalsozialisten ein Grund, die „spontane Empörung der Bevölkerung" über die Ermordung des Gesandtschaftsrates vom Rath in Paris besonders gründlich zu organisieren, und zwar von Müllheim aus. Sämtliche männlichen Juden wurden verhaftet. Sie mussten zu Fuß nach Müllheim ins Gefängnis marschieren; von dort aus kamen sie nach Dachau. Sämtliche Wohn- und Geschäftshäuser von Juden, die Synagoge und die Judenschule wurden schwer beschädigt und geplündert. Westwallarbeiter, die mit Omnibussen herangebracht worden waren, hausten wie die Berserker. Eine Abteilung des Reichsarbeitsdienstes warf die Grabsteine auf dem Judenfriedhof um. Eine Brandstiftung in der Synagoge konnte noch rechtzeitig verhindert werden. Sie hätte katastrophale Folgen für die umliegenden Gebäude gehabt. In der Wohnung des Kantors Alperowitz wurde die Bibliothek beschlagnahmt, die zum großen Teil aus hebräischen Werken bestand. Dieser Umstand bereitete der Gestapo einiges Kopfzerbrechen, da die Beamten nicht feststellen konnten, um was für Literatur es sich handelte.

Von den 94 Juden, die im Januar 1933 in Sulzburg wohnten, wanderten 47 aus. Von ihnen starb einer im KZ Sobibor, wohin ihn die Gestapo von Holland aus verschleppt hatte. 8 starben noch in Sulzburg. Am 22. Oktober 1940 wurden 27 Sulzburger Juden nach Gurs deportiert. Von diesen konnten 10 auswandern, 2 starben in Gurs und Noe, 11 in Auschwitz, 4 sind verschollen. Von den 10 Juden, die innerhalb Deutschlands verzogen, wurden weitere 5 nach Gurs verschleppt, 2 nach Theresienstadt, 1 starb irgendwo im Osten, 1 am neuen Wohnsitz. Ilse Kahn wurde 1941 von Frankfurt aus nach Minsk gebracht und starb 1943 im dortigen Ghetto. Unbekannt ist das Schicksal von 2 weiteren Sulzburger Juden.

Die Synagoge wurde 1939 der politischen Gemeinde ohne Entgelt übertragen, die dort eine Turnhalle errichten wollte. Heute ist das Grundstück in Privatbesitz.

Nach dem Aussterben der namengebenden Ministerialenfamilie fiel die Stadt Staufen an Osterreich, 1806 an Baden. Im frühen 16. Jahrhundert waren zeitweilig Juden in der Stadt ansässig. 1658 erhielt die Stadt das Privileg, keine Juden aufnehmen zu müssen. Während einer Verpfändung Staufens an die Familie von Schauenburg (seit 1626) erlangte Nathan Ulmer die Erlaubnis, im Lande Handel zu treiben. Für die Bewilligung zahlte er 68 Gulden jährlich. 1670 wurde er mit allen anderen inzwischen in vorderösterreichischen Landen wohnenden Juden vertrieben. Erst nach den Emanzipationsgesetzen von 1862 entfielen die Niederlassungsbeschränkungen. 1875 wohnten bereits 24 Juden in der Stadt. Ihre Zahl ging aber aus wirtschaftlichen Gründen bald zurück. 1895 wurden sie der jüdischen Gemeinde Sulzburg als Filiale angegliedert. 1933 lebte nur die Familie des Viehhändlers Grumbach am Ort. Emil Grumbach starb 1938 in Dachau, wohin er im Zusammenhang mit den Ereignissen der Kristallnacht von Breisach aus gebracht worden war. Eine seiner Töchter wanderte nach Amerika aus, die andere ist in Gurs verschollen.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Kahn, Ludwig, Der alte Judenfriedhof von Sulzburg, in: Beiträge aus Geschichte, Kultur und Wirtschaft des Markgräflerlandes 3, 1960. 
  • Ders., Die Familie Kahn von Sulzburg/Baden, 1964.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Sulzburg, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Badische Synagogen, hg. Franz-Josef Ziwes, Karlsruhe 1997, S. 40-41.
  • Bier, Martin, „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“. Eine Ausarbeitung des Freundeskreises Ehemalige Synagoge Sulzburg für die Besucher von ehemaliger Synagoge und Friedhof, 1991.
  • Bilder und Erinnerungen aus einer untergegangenen Welt, Christen und Juden in Sulzburg, hg. von der Initiative Jüdische Spuren in Sulzburg, Sulzburg 2015.
  • Der Jüdische Friedhof in Sulzburg. Katalog zur Ausstellung, hg. von Freie Künstlergruppe Freiburg e.V., 1990.
  • Der jüdische Friedhof im Sulzbachtal, hg. von der Initiative Jüdische Spuren in Sulzburg, Sulzburg 2013.
  • Die Familie von Moses Bloch. Geschichte einer alteingesessenen Sulzburger Familie mit Dokumenten und Fotos der Urenkelin Donna Mosevius Levinsohn, hg. von der Initiative Jüdische Spuren in Sulzburg, Sulzburg 2018.
  • Die Stimme der Wörter der Bilder. Arbeiten von Gerta Haller, Nikolaus Cybinski, Wolfgang Heidenreich und Jost Grosspietsch, 1996.
  • Germania Judaica Bd.3, 2. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1995, S. 1446.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Hahn, Joachim, Synagogen in Baden-Württemberg, 1987, S. 68ff.
  • Haus-Bild-Stein. Skulpturen und Bilder von Bernd Völkle. Fotografien der früheren Synagoge. Katalog zur Ausstellung mit Textbeiträgen von Gabriel Heim, Wolfgang Heidenreich und Jost Grosspietsch, Sulzburg o.J.
  • Hecht, Ingeborg, Sulzburg. Ein Streifzug durch Geschichte und Gegenwart, Freiburg 1985.
  • „Ich bin doch geborener Sulzburger und Deutscher“. Text von Ingeborg Hecht, hg. vom Freundeskreis Ehemalige Synagoge Sulzburg e.V., 1994.
  • Jacob Picard 1883-1967. Dichter des deutschen Landjudentums. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der ehemaligen Synagoge Sulzburg. Erarbeitet von Manfred Bosch und Jost Grosspietsch, Freiburg 1992.
  • Jüdisches Leben in Sulzburg 1900-1940. Eine Materialsammlung, hg. von Freundeskreis ehemalige Synagoge Sulzburg, 2006.
  • Jüdische Spuren in Sulzburg. Ein Stadtrundgang durch das Sulzburg der 30er-Jahre, hg. von der Initiative Jüdische Spuren in Sulzburg, 2011.
  • Kahn, Ludwig David, Die Geschichte der Juden von Sulzburg, Müllheim 1969.
  • Michaelis, Bernd, Die Geschichte der Juden in Sulzburg, 1987.
  • Michaels, Bernd, „Wenn wir auch nicht vergessen können...“. Aus der Geschichte der Juden von Sulzburg Geschichte der Stadt Sulzburg, Bd. 3, hg. im Auftrag der Stadt Suzlzburg von der Anna-Hugo-Bloch-Stiftung, Freiburg i.Br. 2005.
  • Spuren. Katalog zur Ausstellung J. Brodwolf 1990 in Sulzburg.
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