Wiesloch

Die Synagoge in Wiesloch, um 1962. Die Inneneinrichtung der Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 schwer beschädigt, das Haus anschließend verkauft. In den 1950er Jahren wurde das Gebäude abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1919]
Die Synagoge in Wiesloch, um 1962. Die Inneneinrichtung der Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 schwer beschädigt, das Haus anschließend verkauft. In den 1950er Jahren wurde das Gebäude abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1919]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Wiesloch wurde im 13. Jahrhundert von den Pfalzgrafen zur Stadt erhoben. 1410-1499 war die Stadt im Besitz der Linie Pfalz-Mosbach, gehörte bis 1803 wieder der kurpfälzischen Hauptlinie und fiel dann an Baden.

Die Lage Wieslochs nahe der Kreuzung alter Handelsstraßen begünstigte die Ansiedlung von Juden, die spätestens in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts erfolgte. Während der Judenpogrome im Gefolge des Schwarzen Todes 1348/49 wurde die junge Gemeinde vernichtet. 1381 waren wieder Juden in der Stadt ansässig. Zehn Jahre später wurden sie von Kurfürst Ruprecht II. (1390 bis 1398) des Landes verwiesen. Otto I. (1410-1461), der bei der Teilung der Pfalz von 1410 die Mosbacher Linie begründete, nahm 1449 die Juden Johel und Josslin, welche bisher in Lauda wohnten, mit Weib, Kind und „Brotessern" in seinen Schutz nach Wiesloch auf. Sie zahlten jährlich 25 Gulden Schutzgeld. Seinen Amtleuten trug der Pfalzgraf auf, die Juden getreulich zu „beschützen, schirmen, handhaben und verantworten gen allermenniglich". 1533 wurde der Jude David mit den Seinen gegen eine jährliche Zahlung von 20 Gulden auf zehn Jahre in den Schutz nach Wiesloch aufgenommen. Im Amt Heidelberg brauchte er kein Geleitgeld zu zahlen. David wohnte noch 1548 in Wiesloch. Auch während des für die Pfalz unheilvollen 17. Jahrhunderts scheinen Juden in der Stadt gelebt zu haben. Höchstens fünf Judenfamilien sollten gleichzeitig in der Stadt wohnen dürfen. 1722 und 1743 war diese Zahl erreicht, 1748 um zwei Familien überschritten. Man ließ diese zwei zwar in der Stadt wohnen, aber bei der Erneuerung des Stadtrechts bestimmte der Privilegienbrief Kurfürst Karl Theodors (1742 bis 1799) von 1748 in Artikel 22, dass in Zukunft „sothaner numerus nicht vermeyret, sondern vielmehr vergeringert, also zwar, dass wann eine Familie davon abgehen würde, in so lang keine angenommen, sondern biß hinwiederum zur ehevorigen Zahl von zwey Familien gemindert werde". 1825 lebten in Wiesloch 51 Israeliten, 1857 70, 1875 119, 1900 109, 1925 103 und 1933 69. Im Psychiatrischen Landeskrankenhaus befanden sich am 16. Juni 1933 32 jüdische Patienten. Im Ersten Weltkrieg ist Max Kramer gefallen.

Seit 1827 gehörte die israelitische Gemeinde Wiesloch zum Rabbinatsbezirk Heidelberg. Eine eigene Synagoge wurde im 19. Jahrhundert erbaut, während der jüdische Friedhof am Rande der Stadt schon 1661 in den Akten erwähnt wird. Bis 1688 wurden auf ihm auch die Heidelberger Juden bestattet. Aus den übrigen jüdischen Gemeinden des Oberamts begrub man hier die Toten zum Teil bis in die neueste Zeit. 1744 erbat die Stadt Wiesloch beim Oberamt einen Geleitschein ohne Schutzgeld für den Totengräber Löw Jossel in Wiesloch, „welcher alle im Oberamt Heidelberg absterbenden Juden zu begraben hat". Die hilfsbedürftigen Glaubensgenossen unterstützte ein Wohltätigkeitsverein und ein Frauenverein. In örtlichen Gesangs- und Turnvereinen waren Juden Mitglieder; politisch betätigten sie sich nicht auffallend.

Bis zum Ersten Weltkrieg hatten die Wieslocher Juden als Vieh-, Tabak- und Hopfenhändler sowie als Zigarrenfabrikanten für das wirtschaftliche Leben der Stadt keine geringe Bedeutung. 1933 waren in jüdischem Besitz die Tabakfabrik Ebner & Kramer, die Hausschuhfabrik Julius und Sally Israel, die Tabakwarengroßhandlung Fa. Gumberich oHG, zwei Textilwarenhandlungen, ein Konfektionsgeschäft, zwei Modewarengeschäfte, eine Lederhandlung und eine Mehl-, Futtermittel- und Fellhandlung. Frieda Bodenheimer war Modistin. Lyon Flegenheimer betrieb mit seinen Söhnen Moses und Oskar Vieh- und Pferdehandel und eine eigene Landwirtschaft. Dr. Jakob Borg und Dr. Walter Leopold hatten eine Arztpraxis. Leiter des Psychiatrischen Landeskrankenhauses war bis zum 1. Juli 1933 der jüdische Arzt Dr. Adolf Jakob Grass.

Durch den von der nationalsozialistischen Regierung verhängten Boykott gingen bis August 1937 drei jüdische Geschäfte ganz ein, drei wurden „arisiert". Im September 1938 waren nur noch die Tabakfabrik Ebner & Kramer sowie das Textilgeschäft von Adolf Rosentahl in jüdischem Besitz. Die Verhandlungen wegen „Arisierung" waren auch hier im Gange. In der Kristallnacht im November 1938 warfen SA-Leute Steine durch die Fenster in die Wohnungen der Juden, demolierten die Einrichtung der Synagoge vollständig und verbrannten die Trümmer vor der Synagoge; nur die Thorarollen, Leuchter und andere wertvolle Kultgegenstände wurden auf das Bezirksamt gebracht. Die steinernen Gesetzestafeln am Dachgiebel der Synagoge wurden heruntergeworfen. Die jüdischen Männer wurden einige Wochen im KZ Dachau festgehalten.

Bis zum Jahre 1940 wanderten 31 Wieslocher Juden vornehmlich nach den USA (20), Frankreich und Palästina aus; einige verzogen nach Heidelberg oder in andere deutsche Städte. Am 22. Oktober 1940 wurden 18 jüdische Einwohner nach Gurs deportiert. Von ihnen starben 3 im Lager Gurs, 6 wurden befreit und mindestens 9 seit 1942 nach dem Osten verschleppt und ermordet. Zwei Jüdinnen, die am Deportationstag von Wiesloch abwesend waren, wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo eine von ihnen starb, während die andere in Maly Trostinec ermordet wurde. Nur eine in sogenannter Mischehe lebende Jüdin blieb bis Kriegsende in Wiesloch wohnen.

Vom Psychiatrischen Landeskrankenhaus, in dem zwischen 1933 und 1945 60 jüdische Patienten Aufnahme fanden, wurden seit Mitte 1939 die jüdischen Insassen allmählich in andere Anstalten verlegt, wo sie wahrscheinlich umgebracht wurden. 9 jüdische Patienten wurden zusammen mit den Juden aus der Stadt nach Gurs deportiert. Über ihr Schicksal ist nichts bekannt. 2 Insassen kamen 1942 in ein „Abwanderungslager" im Osten, wo sie ermordet wurden.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches kehrten von den nach Gurs Deportierten drei aus Frankreich nach Wiesloch zurück, zwei Jugendliche und Frau Rositta Oppenheimer-Kramer. Obwohl ihr Ehemann 1943 in einem Vernichtungslager im Osten und ihr jüngster Sohn im März 1943 im KZ Buchenwald ermordet wurden, stellte sie sich wie schon vor 1933 alsbald wieder in den Dienst des öffentlichen und kulturellen Lebens der Stadt Heidelberg. 1949 bis 1963 war sie Mitglied des Oberrates der Israeliten Badens und leitete das von ihr gegründete jüdische Altersheim in Heidelberg, das es manchem ihrer Schicksalsgenossen ermöglichte, den Lebensabend nahe ihrer angestammten Heimat zu verbringen. Am 7. November 1966 wurde Frau Oppenheimer mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet.

Die ehemalige Synagoge in der Kleinen Straße hinter der Stadtkirche verfiel, so dass sie nach dem Kriege nach zeitweiliger Nutzung als Garage abgebrochen wurde. Auf dem Friedhof wurden nach 1945 noch einige Insassen des Landeskrankenhauses fremder Nationalität beigesetzt.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Winter, Heinrich und Wilhelm, Geschichte der Stadt Wiesloch, 1904.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Wiesloch, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Filsinger, Gustav, Der Weg in die Katastrophe, in: 1000 Jahre Marktrecht Wiesloch, 1965, S.128-131.
  • Gedenkstunde in Wiesloch, in: Mitteilungsblatt des Oberrats der Israeliten Badens, 1974.
  • Germania Judaica, Bd.3, 2. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1995, S. 1643-1644.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Hochwarth, Artur/Zehe, Oswald, Die Kultstätten der jüdischen Gemeinde in Wiesloch und Die jüdische Gemeinde in Wiesloch, in: Kraichgau 9 (1985) S. 170-189.
  • Sachs, Christian, Die Geschichte der Wieslocher und Baiertaler Juden im Dritten Reich (handschriftliche Schülerarbeit 1983 im Gymnasium Wiesloch), 1983.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 335-337.
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