Bretten

Die Synagoge in Bretten, vor 1938. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 167]
Die Synagoge in Bretten, vor 1938. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 167]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Seit 1208 besaßen die Grafen von Eberstein Bretten. 1335 wurde der vor 1282 zur Stadt erhobene Ort an den Markgrafen von Baden versetzt, der ihn 1339 an den Pfalzgrafen bei Rhein weiterverpfändete. 1349 kam die Stadt durch Kauf endgültig an die Kurpfalz und wurde Sitz eines Oberamtes, bis sie 1803 an Baden fiel.

In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts bestand in Bretten bereits eine jüdische Gemeinde, die in den Verfolgungen durch die Armleder (1336-38) und Flagellanten (1349) aufgerieben wurde. Um 1390 sind Juden vorübergehend ansässig. Die eigentliche Wiederansiedlung erfolgte spätestens nach dem Dreißigjährigen Krieg. 1698 wurde den Pfälzer Juden durch einen Schutzbrief jeder ehrliche Handel gestattet. Die Brettener Juden betrieben vornehmlich Handel mit „gemeinem" Tuch bei der Landbevölkerung und kamen rasch zu Wohlstand. 1738 lebten in Bretten sieben wohlhabende Judenkrämer, die in der Lage waren, „drei Landschaften mit derlei Tüchern zu versehen", sehr zum Verdruss der Pforzheimer Juden, denen ihr Landesherr, der Markgraf von Baden, 1686 den Verkauf von gemeinem Tuch verboten hatte. 1743 lebten 13 Judenfamilien in Bretten, und 1797 waren es 28 Familien in 20 eigenen Häusern, von denen 17 an der Hauptstraße standen. Im 19. Jahrhundert kamen zum Textilhandel als neue Erwerbszweige der Tabak- und Viehhandel hinzu. 1813 bat die Judenschaft, den bis dahin samstags abgehaltenen Wochenmarkt auf Dienstag zu verlegen. Der Stadtrat lehnte das Gesuch unter Hinweis auf die Einkaufsbedürfnisse für Sonntag ab, empfahl aber die Einführung eines zweiten Wochenmarktes am Dienstag. Das Amt folgte dieser Empfehlung. 1846 wurde der Jude Jakob Heinsheimer zum Amtsregistrator in Bretten ernannt. 1848 kam es zu Ausschreitungen gegen die Juden.

Der Gottesdienst der jüdischen Gemeinde fand bis zum Bau der Synagoge im Jahre 1822 in einem Privathaus statt. 1827 wurde Bretten bei der Einteilung der Rabbinatsbezirke Sitz einer Bezirkssynagoge, der im Laufe der Zeit folgende Gemeinden zugeordnet waren: Bauerbach, Berwangen, Bretten, Diedelsheim, Eppingen, Flehingen, Gemmingen, Gochsheim, Gondelsheim, Grötzingen, Ittlingen, Jöhlingen, Königsbach, Menzingen, Mühlbach, Münzesheim, Richen, Schluchtern, Stebbach und Stein. 1874 übernahm der Heidelberger Rabbiner, später der von Bruchsal, zusätzlich das Amt des Brettener Bezirksrabbiners. Eine jüdische Volksschule wurde um 1835 errichtet, ein eigener Friedhof im 19. Jahrhundert angelegt. Vorher wurden die Toten auf dem Verbandsfriedhof in Waibstadt, in noch früherer Zeit wohl in Worms begraben. Ein Literaturverein für jüdische Geschichte, der etwa 50 Mitglieder zählte, stellte vor 1933 seine Tätigkeit ein. Die jüdische Bevölkerung Brettens zählte 1803 150, 1821 161, 1825 189, 1831 212, 1845 165, 1875 199, 1885 233, 1900 263, 1925 nur noch 155 und 1933 114 Personen. Zehn jüdische Soldaten aus Bretten gaben im Ersten Weltkrieg ihr Leben für die Heimat.

An bedeutenden jüdischen Unternehmen bestanden in Bretten die Herdfabrik M. A. Lämle AG, die Zigarrenfabrik M. Eichtersheimer, die Textil-Großhandelsfirma der Gebrüder Veis, die kleine Schuhfabrik Schmulewitz und die Branntweinbrennerei und Likörfabrik Isak Wertheimer. Außerdem gab es einige Einzelhandelsbetriebe, eine Getreidehandlung und eine Tabakwarengroßhandlung. Der größte Viehhandelsbetrieb war die Firma Adolf Lichtenberger Söhne. Reine Handwerksbetriebe gab es - abgesehen von zwei Metzgereien - unter den Juden nicht. In jüdischem Besitz befand sich das Gasthaus „Zur Blume".

Der Boykott der jüdischen Unternehmen setzte im April 1933 ein und richtete sich besonders heftig gegen den Viehhändler Siegfried Lichtenberger. Von nationalsozialistischen Agitatoren aufgestachelt erstatteten die Bauern der Umgebung nicht weniger als 55 Strafanzeigen wegen Betrugs gegen ihn, aber das Gericht sprach den Angeklagten in allen Fällen frei. Trotzdem wurde er von der Gestapo in Karlsruhe in Schutzhaft genommen, erhielt bei der Entlassung Aufenthaltsverbot für die Amtsbezirke Bretten und Pforzheim und wanderte noch 1934 nach Kolumbien aus.

Ein anderer jüdischer Bürger, der mit einer „Arierin" befreundet war, wurde 1937 wegen Rassenschande verurteilt. Nach Verbüßung einer Zuchthausstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten wurde er 1938 in das KZ Buchenwald eingeliefert, wo er 1941 starb. Herzschwäche wurde als Todesursache angegeben.

Am 10. November 1938 wurden die Ritualien, das Harmonium und andere Einrichtungsgegenstände aus dem Gemeindehaus in den dahinter liegenden Garten geworfen und angezündet. Anschließend wurde die Synagoge bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Nachbargebäude wurden dabei beschädigt. Das Gemeindehaus wurde nur verschont, weil ein christlicher Mieter darin wohnte. Auch zwei Geschäfte wurden demoliert. Der jüdische Friedhof blieb unberührt. Alle Männer unter 60 Jahren wurden im KZ Dachau interniert.

In den Jahren 1933-1940 sind 74 Juden ausgewandert, davon 45 nach den USA. 11 Juden starben in dieser Zeit in Bretten. Die 1939/40 noch zurückgebliebenen Juden waren mancherlei Schikanen ausgesetzt. So mussten sich zwei staatenlose, früher polnische Jüdinnen im September 1939 täglich dreimal auf der Polizeiwache melden; das Verlassen des Stadtgebietes war ihnen verboten. Später wurde die Meldepflicht gelockert. Am 22. Oktober 1940 wurden sie mit 16 anderen Mitbürgern nach Gurs deportiert. Dort starben 4 Personen; 4 weitere konnten aus dem Lager befreit werden. Die übrigen 10 wurden 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz abgeschoben, wo sie den Tod fanden.

Heute leben in Bretten keine Juden mehr. Das Synagogengrundstück am Engelsberg dient als Parkplatz. Der Friedhof mit seinen rund 100 Grabstätten, der jetzt inmitten einer neuen Siedlung liegt, wird von der Stadt instandgehalten.

In Diedelsheim wohnten Juden seit dem 16. Jahrhundert. 1825 machten sie mit 89 Seelen fast 10 Prozent der Bevölkerung aus. Sie bildeten eine Gemeinde, verloren aber fortlaufend an Zahl (1875 78, 1887 65, 1895 32, 1900 15), so dass sie den Unterhalt von Synagoge und Bad nicht mehr aufbringen konnten. Um 1900 wurde die Gemeinde dem benachbarten Bretten als Filiale zugewiesen. Die Synagoge mit dem Frauenbad wurde 1920 versteigert. 1933 lebten nur noch 5 Juden hier, die durch Auswanderung oder einen friedlichen Tod vor einem grausamen Schicksal bewahrt blieben.

1483 verkauften die Grafen von Württemberg das benachbarte Gondelsheim an den pfälzischen Hofmeister Flicker Landschad von Steinach. 1650 kam der dem Ritterkanton Kraichgau inkorporierte Ort an die Freiherrn von Menzingen. Die Kurpfalz erhielt in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Pfandschaft an dem Dorf. 1761 ging es in einem Ringtausch an die Prinzen Friedrich und Ludwig Wilhelm August von Baden-Durlach über. 1803 fielen Baden auch die älteren kurpfälzischen Rechte zu.

1551 erhielt ein Jude von Gondelsheim die Erlaubnis, Geld in der Markgrafschaft auszuleihen. 1709 werden fünf Judenfamilien erwähnt. Im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine größere Judengemeinde, die um 1840 eine Synagoge baute. Einen eigenen Friedhof besaß sie nicht, obwohl die Gewannbezeichnung Judenkirchhof überliefert ist. Die Toten wurden auf dem Verbandsfriedhof in Obergrombach beigesetzt. Seit 1827 gehörte die israelitische Gemeinde Gondelsheim zum Rabbinatsbezirk Bretten. Sie zählte 1825 79, 1875 53, 1887 78 und 1900 47 Mitglieder. Bis 1925 war die Gemeinde durch Abwanderung auf 13 Seelen zusammengeschmolzen. Sie wurde deshalb 1925 aufgelöst und die noch vorhandenen Juden der Gemeinde Bretten zugewiesen. Die Synagoge in der Leitergasse wurde 1930 an einen Privatmann verkauft und steht heute noch.

Aus Gondelsheim stammte Jacob Hecht, Präsident der Neptun-Reederei Basel und Aufsichtsratsvorsitzender der Rhenania-Schiffahrts- und Speditionsgesellschaft in Mannheim. Er wurde 1879 als jüngster von fünf Söhnen des Hauptlehrers Hecht geboren. Nach Absolvierung der Banklehre ging er nach Antwerpen und wurde dort schon in jungen Jahren Mitgesellschafter der Rheno-Schiffahrtsgesellschaft in Rotterdam und Geschäftsführer der Societe Belge de Navigation Fluviale. 1908 gründete er mit seinem Bruder Hermann die deutsche Rhenania Schiffahrtsgruppe in Mannheim, die er bis zu seiner Emigration in die Schweiz leitete. 1958 ernannte ihn die Gemeinde Gondelsheim anlässlich der 700-Jahrfeier zum Ehrenbürger.

1933 lebten in Gondelsheim 10 meist ältere Juden. Die Witwe Fanny Beissinger und Moses Beissinger trieben bis 1935/36 einen kleinen Viehhandel. Moses Beissinger starb 1935 an den Folgen eines Schlaganfalls, den er aus Aufregung über ein Gestapo-Verhör erlitten hatte. Die letzten 6 Juden, die noch in Gondelsheim wohnten, wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Von ihnen starb Fanny Beissinger 1944 in Masseube/Frankreich. Sophie Metzger fand 1943 Aufnahme in einem Kloster in Südfrankreich, wo sie den Krieg überlebte. Sie kehrte im Dezember 1946 nach Gondelsheim zurück. Leopold Wallach starb 1940 im KZ Buchenwald. Die übrigen Deportierten dürften im Osten umgekommen sein.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Feigenbutz, Leopold, Der Kraichgau und seine Orte, 1878.
  • Festschrift zur 700-Jahrfeier der Gemeinde Gondelsheim. 1257-1958, 1958, Jacob Hecht aus Basel - 80 Jahre, in: Mitt.-Blatt des Oberrats 11, 1959, Nr. 7.
  • Gehres, Siegmund Friedrich, Brettens kleine Chronik, 1805.
  • Withum, Friedrich, Bretten. Erinnerungsblätter aus 2000 Jahren, 1902.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Bretten, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Bretten

  • Ebert, Hansjörg, Die Machtergreifung des Nationalsozialismus in der badischen Kleinstadt Bretten. Strukturen - Ereignisse - Auswirkungen. Staatsexamensarbeit Universität Mannheim, 1984, S.133-152.
  • Germania Judaica, Bd. 3, 1. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1987, S. 168.
  • Ginter, Gottfried, Chronik von Bretten. Aus der Geschichte der Stadt zur 1200-Jahr-Feier, 1967.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Halbritter, Maria, Die jüdische Gemeinde in Bretten. Einblicke in ihre Geschichte, in: Brettener Jahrbuch für Kultur und Geschichte N.F. 1. (1999), S.112-140.
  • „Reichskristallnacht“ am 10. November 1938 in Bretten. Ereignisse und Vorgeschichte. Dokumentation zur Ausstellung, hg. vom Melanchthon-Gymnasium Bretten, 2 Bände, 1988.
  • Schäfer, Alfons, Geschichte der Stadt Bretten von den Anfängen bis zur Zerstörung im Jahr 1689, Bd. 2 (Brettener stadtgeschichtliche Veröffentlichungen), hg. von Stadt Bretten, Bretten 1977, S.102-105 und S.304f.
  • Schäfer, Alfons, Urkunden, Rechtsquellen und Chroniken der Stadt Bretten, Bd. 1 (Brettener stadtgeschichtliche Veröffentlichungen), hg. von Stadt Bretten, Bretten 1967.
  • Straub, Alfred, Geschichte der Stadt Bretten in neuerer Zeit, Bd. 3. (Brettener stadtgeschichtliche Veröffentlichungen), hg. von Stadt Bretten, Bretten 1990.
  • Stude, Jürgen, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1990.

Diedelsheim

  • Bickel, Otto, Diedelsheim. Vom ritterschaftlichen Dorf zum Brettener Stadtteil, 1985, S. 458-466.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Stude, Jürgen, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1990.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 279.

Gondelsheim

  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Stude, Jürgen, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1990.
  • Wälder, Abraham, Bericht über die Einweihungsfeier der neu erbauten Synagoge zu Gondelsheim, Knittlingen 1849.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 279-281 (im Abschnitt zu Bretten).
Suche