Informations- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder

Von Stefani Brenner, Informations-und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder

 

Porträt Stefanie Brenner [Quelle: Stefanie Brenner]. Zum Verbrößern bitte klicken.
Stefani Brenner [Quelle: Stefani Brenner]. Zum Verbrößern bitte klicken.

Mit dem Auslaufen des „Fonds Heimerziehung“ 2018 ging auch die Schließung der dazugehörigen Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder (ABH) in Stuttgart einher. Der Bedarf nach Beratung und Unterstützung war und ist jedoch weiterhin sehr hoch. Aus diesem Grund wurde in Baden-Württemberg die Informations- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder ab November 2020 mit einem Stellenumfang von 50% eingerichtet.

Nach und nach hat es sich herumgesprochen, dass es wieder eine Anlaufstelle für die Betroffenen der Heimerziehung gibt. Zunächst wandten sich viele ehemalige Heimkinder an die Stelle, die bereits in der Vergangenheit gute Kontakte zur ersten Anlaufstelle hatten und sich sehr erleichtert zeigten, dass die Arbeit fortgeführt wird. Auch wenn es keine finanziellen Ressourcen wie den Heimkinderfonds mehr gibt, ist es für die Betroffenen elementar, über Vergangenes zu sprechen.

Viele der Betroffenen sind in einer Lebensphase, in der die Aufarbeitung der Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit der eigenen leidvollen Geschichte wichtig ist, um einen Abschluss zu finden, Bilanz zu ziehen und Perspektiven für die Zukunft entwickeln zu können.

Drängende Fragen wie „Warum kam ich ins Heim? Was ist damals passiert? Warum durfte ich keine andere Schule besuchen? Oder warum durfte ich keine Ausbildung machen?“ treiben die Ratsuchenden um. Aber auch die Suche nach Geschwistern oder Aufklärung über traumatische Erlebnisse im Heim sind oftmals der Anlass für die Kontaktaufnahme.

Ich unterstütze bei der Suche nach Antworten und begleite die Recherche. Dank der wertvollen, engagierten Arbeit des Landesarchives Baden-Württemberg finden sich immer wieder Fragmente aus der Vergangenheit in Form von Akten aus dem Heim, dem Jugendamt oder dem Amtsgericht und vieles mehr. Die gemeinsame Akteneinsicht und Auswertung ist ein hochemotionaler, aufreibender, oftmals schmerzhafter Prozess der Vergangenheitsbewältigung, der behutsam begleitet und transferiert werden muss, da er viele Wunden aufreißen und zur Retraumatisierung führen kann.

Über längst Vergangenes in einem geschützten Rahmen zu sprechen, hilft vielen Betroffenen sehr. Häufig haben sie sich nicht mal den engsten Familienangehörigen gegenüber geöffnet, sei es aus Scham oder auch um die Angehörigen nicht zu belasten. Aber wenn die unaussprechlichen Ängste erstmals formuliert sind, kann das sehr entlastend sein. Die Erkenntnis und Würdigung der Lebensleistung, trotz widriger Startbedingungen, muss ins Bewusstsein gerückt werden. Erst dann gibt es auch die Chance, den Blick nach vorne zu richten.

Für viele ehemalige Heimkinder ist die finanzielle Anerkennung des erlittenen Leides die mindeste Form von Entschädigung. Umso bitterer ist die Erkenntnis, dass der Fonds nur wenige Jahre zur Verfügung stand und es jetzt keine Möglichkeit mehr gibt, eine entsprechende Ausgleichszahlung zu bekommen.

In den Beratungsgesprächen versuche ich Möglichkeiten und Chancen auszuloten, um einen Zugang zu anderen finanziellen Ressourcen zu erschließen. Wir begleiten und unterstützen bei der Antragsstellung. Dies ist oftmals ein langwieriger, belastender und nicht selten frustrierender Prozess, denn die Betroffenen müssen die erlebten Übergriffe und auch die sexuelle Gewalt glaubhaft machen und über jahrelang verdrängte Erlebnisse sprechen. Dies kann häufig zu Retraumatisierungen führen. Auch Empfindungen wie „man glaubt mir nicht, ich werde nicht gehört und muss mich rechtfertigen“ lösen große Ohnmacht und Wut aus. Dem Wunsch nach einer Erklärung oder auch einer Entschuldigung für das erlittene Leid durch die Institution wird nur in seltenen Fällen nachgekommen.

Ich habe großen Respekt vor der Lebensleistung der Betroffenen. Die Alltagsbewältigung muss hart erkämpft werden, wenn das Selbstbewusstsein in der Kindheit immer wieder gebrochen wurde. Die traumatischen Erlebnisse der Kindheit sind auch nach Jahren oft noch sehr präsent sind und beeinflussen das weitere Leben sehr stark. In der Beratung haben mich nicht nur die Schilderungen von Erniedrigungen verbunden mit körperlicher und seelischer Grausamkeit in geschlossenen Systemen, sondern auch das Ausmaß der erlebten sexuellen Gewalt förmlich überrollt. Auch der Umgang mit diesen Themen in einigen Institutionen ist erschütternd.

Andererseits gelingt es in schwierigen Aufarbeitungsprozessen auch positive Erkenntnisse für die Lebensbilanz herauszuarbeiten. Menschen, die damals als unterstützend erlebt wurden, haben wesentlich dazu beigetragen, dass ein positiveres Selbstbild entwickelt und Selbstwirksamkeit erfahren werden konnte.

Der Bedarf an Austausch und Unterstützung ist nach wie vor sehr hoch, das zeigen die kontinuierlichen Anfragen. Gemeinsam mit den Betroffenen suche ich nach individuellen Bewältigungsstrategien und stärke dabei das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen, um einen guten Platz im Leben zu finden.

 

Die Beratungsstelle wird über die Landesregierung finanziert und ist Teil des unabhängigen Landesombudssystems in Baden Württemberg.

 

Kontaktdaten:

Informations-und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder

Schloßstraße 57b

70176 Stuttgart

Tel. 0711 65678115

brenner@ombudschaft-jugendhilfe-bw.de

 

Zitierhinweis: Stefani Brenner, Informations- und Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder, URL: […], Stand: 21.03.2022.

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