Gehörlosen- und Schwerhörigenschule Heiligenbronn

von Ewald Graf

 

„Sr. Irma 50er Jahre mit Schüler“: In der Heiligenbronner Gehörlosen- und Schwerhörigenschule der Nachkriegszeit nahm das Erlernen der lautsprachlichen Artikulation eine zentrale Rolle ein. [Quelle: Kasenbacher/Archiv Stiftung St. Franziskus]. Aus rechtlichen Gründen wurden die Gesichtszüge der abgebildeten Personen anonymisiert. Zum Vergrößern bitte klicken.
„Sr. Irma 50er Jahre mit Schüler“: In der Heiligenbronner Gehörlosen- und Schwerhörigenschule der Nachkriegszeit nahm das Erlernen der lautsprachlichen Artikulation eine zentrale Rolle ein. [Quelle: Kasenbacher/Archiv Stiftung St. Franziskus]. Aus rechtlichen Gründen wurden die Gesichtszüge der abgebildeten Personen anonymisiert. Zum Vergrößern bitte klicken.

Seit 1860 nahm das Kloster Heiligenbronn auch „taubstumme“[1] Kinder auf und richtete sehr bald eigene Klassen und eine eigene Schulabteilung ein. Die „Taubstummenanstalt“ erhielt 1902 ein eigenes Gebäude, das 1910 mit einem Querbau erweitert wurde. Abgesehen von den Weltkriegen diente es bis zum Umzug in einen Schulneubau 2012 der Gehörlosen- und Schwerhörigenschule (heute Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum Förderschwerpunkt Hören und Sprechen).

In der Nachkriegszeit differenzierte sich das schulische Angebot Heiligenbronns für junge hörgeschädigte Menschen mit dem Ziel Hauptschulabschluss stark aus. Für Vorschulkinder wurde 1954 die erste Kindergartengruppe eröffnet. Der Sonderschul-Kindergarten erhielt 1957 Platz in einem Neubau und nahm auch Kinder mit verzögerter Sprachentwicklung auf. Aufgenommen wurden Kinder ab dem vierten Lebensjahr, auch sie wurden bereits im Heim untergebracht. Die ambulante Hausspracherziehung im Vorfeld der Unterbringung kam hinzu, um möglichst früh die Lautsprachbildung der hörgeschädigten Kinder anzubahnen.

In der Schule wurde nach gehörlosen und schwerhörigen Kindern differenziert sowie nach hörgeschädigten Kindern mit Lernbehinderung. Die Schulpflicht für hörgeschädigte Kinder bestand erst ab sieben Jahren. Nicht aufgenommen bzw. nach einer Probephase in andere Einrichtungen vermittelt wurden damals als „bildungsschwach“ bezeichnete Kinder mit mehrfacher Behinderung, die dem (vorwiegend lautsprachlichen) Unterricht nicht folgen konnten.

An der ab 1955 personell eigenständigen Sonderberufsschule für Hörgeschädigte mit Lehrwerkstätten wurden nach dem Krieg die Berufsausbildungen in eigenen Werkstätten ausgebaut. Jugendliche, die den Anforderungen einer Lehre nicht gewachsen schienen, arbeiteten neben dem Berufsschulunterricht als Angelernte in den Werkstätten bzw. in Landwirtschaft und Hauswirtschaft.

Nach heutiger Einschätzung erfolgte die damalige Sprecherziehung für hörgeschädigte Kinder einseitig auf die Lautsprache (der Nicht-Hörgeschädigten) bezogen und berücksichtigte die „natürliche“ Kommunikation über Gebärden zu wenig bzw. verbot sie sogar. Dies verursachte für die gehörlosen und auch schwerhörigen Schüler zusätzlich zur Heimsituation Leid und Ängste.

Im Zuge der Aufarbeitung der Heimkinderzeit meldeten sich aus der ehemaligen Gehörlosenschule besonders viele Betroffene in Heiligenbronn, weil sie sich mit ihren belastenden Erfahrungen aus der Schulzeit an die Stiftung Anerkennung und Hilfe wenden wollten (rund 140 Personen). Sie wurden mit Nachweisen aus dem Archiv und weiteren Angeboten zum Gespräch über das Erfahrene unterstützt. Dies gilt auch nach wie vor. Im Archiv der Stiftung sind die Schülerakten seit 1919 erhalten und können von den Betroffenen oder anderen berechtigten Personen eingesehen werden.

 

Kontaktadresse:

Archiv der Stiftung St. Franziskus und des Klosters Heiligenbronn

Haus St. Raphael

archiv@stiftung-st-franziskus.de

Telefon 07422 569-3306

Adresse: Kloster 2, 78713 Schramberg

 

Anmerkungen

[1] In Anführungszeichen steht der Begriff, da er damals zwar üblich war, heute aber abgelehnt wird, da Gehörlose nicht stumm sind, sondern mit der Gebärdensprache kommunizieren.

 

Zum Autor: Ewald Graf leitet seit 2018 das Archiv der Stiftung St. Franziskus. Zuvor war er Leiter des Referats Kommunikation und Mitbegleiter einiger geschichtlicher Projekte und Publikationen der Stiftung.

 

ZitierhinweisEwald Graf, Gehörlosen- und Schwerhörigenschule Heiligenbronn, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 09.02.2022.

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