Ihringen am Kaiserstuhl

Die Synagoge in Ihringen, um 1896. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 69 Baden, Sammlung 1995 F I Nr. 230, 8]
Die Synagoge in Ihringen, um 1896. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 69 Baden, Sammlung 1995 F I Nr. 230, 8]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das üsenbergische Dorf Ihringen kam 1415 zusammen mit den Besitzungen der Markgrafen von Hachberg an die Markgrafen von Baden. Seit der Landesteilung 1535 gehörte es der baden-durlachischen Linie.

Unter Markgraf Ernst von Baden-Durlach (1533-52) lebten im badischen Oberland zahlreiche Juden. Ob neben Sulzburg und Emmendingen auch Ihringen schon damals ein Judenwohnort war, ist nicht sicher. Als um 1716 die Juden aus dem Elsass und der Schweiz vertrieben wurden, nutzte Josef Günzburger im österreichischen Breisach diese Gelegenheit aus, um für seine ausgedehnten wirtschaftlichen Unternehmungen Arbeitskräfte zu gewinnen. Er bewirkte 1716 bei der markgräflichen Regierung die Aufnahme vertriebener Juden in mehreren badischen Dörfern, darunter auch Ihringen. Günzburger betrachtete sich als der Oberherr dieser Juden und war der baden-durlachischen Regierung für den Eingang der Schutzgelder verantwortlich. 1721 waren in Ihringen sieben Judenfamilien ansässig. Im gleichen Jahr erhielten sie die Erlaubnis, gemeinsam mit den Juden in Emmendingen und Eichstetten in Emmendingen einen Friedhof anzulegen. 1738 saßen in Ihringen schon zehn Judenfamilien. Im Hause der Witwe des Juden Marx Geißmar hatten sie sich einen Betsaal eingerichtet. Als 1760 das Haus an einen Ihringer Bürger verkauft wurde, gingen die Juden noch im gleichen Jahr an den Bau einer Synagoge, für die Jakob Geißmar den Bauplatz schenkte. Diese Synagoge wurde um 1861 durch einen Neubau ersetzt.

1743 hatten in Ihringen aus dem fürstenbergischen Stühlingen vertriebene Juden Zuflucht gefunden. Es wird sich um zwei Familien gehandelt haben; denn 1738 waren zehn, um die Mitte des 18. Jahrhunderts aber zwölf Familien ansässig. Die meisten von ihnen waren arm. Einem zeitgenössischen Bericht des Ortsgerichts Ihringen zufolge hatten drei Juden gutes Vermögen und ein eigenes Haus, fünf Juden geringes Vermögen. Ein Jude war dem Bettel nahe, einer konnte wegen Armut kein Schutzgeld entrichten, ein weiterer war gestorben und hatte nichts hinterlassen als eine arme Witwe. Ein Jude wurde bei dieser Charakterisierung offenbar vergessen. Das Gericht fügte noch hinzu, man könne viele oder gar alle Juden entbehren, weil sie der Gemeinde keinen Nutzen brächten. 1765 wehrte sich die Gemeinde erfolgreich gegen die Neuaufnahme eines Juden.

Einige umsichtige Juden nützten die napoleonischen Kriege und die damit zusammenhängende Säkularisation der geistlichen Territorien aus, um wohlfeile Grundstücke aufzukaufen. So besaß der vor allem wegen seines Reichtums und seiner Geschäftsgewandtheit, keineswegs aber wegen seiner Kulturstufe als erster Obervorsteher des Israelitischen Oberrats in Baden berufene Elkan Reutlinger 1809 allein in der Ihringer Gemarkung Grundstücke im Katasterwerte von 89 300 Gulden. Durch Fehlspekulationen verfiel sein Vermögen jedoch rasch wieder. Das war einer der Gründe für seine Ablösung im Oberrat.

Im Jahre 1852 hatte die jüdische Gemeinde ihre größte Seelenzahl erreicht. Die Abwanderung nahm in Ihringen kein so großes Ausmaß an, da viele Juden im nahen Breisach und in Freiburg Arbeit fanden, ohne ihren Wohnsitz in Ihringen aufgeben zu müssen. Die Zahl der Juden betrug 1801 83, 1825 126, 1852 263, 1861 255, 1875 232, 1890 217, 1900 186, 1925 102 und 1933 98. Zwei Söhne der Gemeinde, Siegfried Bloch und Julius Weil, waren im Ersten Weltkrieg für ihr deutsches Vaterland gefallen.

Religiös betreut wurden die Ihringer Juden von Breisach aus, das seit 1710 einen eigenen Rabbiner hatte. 1885 wurde der Rabbinatssitz nach Freiburg verlegt. 1835 besaß die Gemeinde bereits eine jüdische Volksschule. Ein eigener Friedhof wurde ebenfalls noch im 19. Jahrhundert angelegt. Unterstützung bei Krankheits- und Todesfällen gewährte den Glaubensgenossen der Israelitische Männer-Krankenverein. Ortsansässige oder durchreisende Arme erhielten aus der Ortsarmenkasse Almosen.

Die wirtschaftliche Existenz der Ihringer Juden beruhte in der Hauptsache auf Vieh- und Tuchhandel. Einige hatten auch Haus- und landwirtschaftlichen Grundbesitz, den sie selbst bearbeiteten. 1933 gab es unter den Juden von lhringen neun Viehhändler, zwei Pferdehändler und einen Metzger. Ferner gab es eine Holz-, Kohlen- und Baumaterialienhandlung, eine Weinhandlung und Branntweinbrennerei, ein Eisen- und Haushaltswarengeschäft und mehrere Textilgeschäfte.

In Ihringen besaß der Nationalsozialismus schon vor 1933 Anhänger. Der Hass der Parteigenossen galt in erster Linie den Juden. 1934 wurde der Textilkaufmann Karl Bernheim in Schutzhaft genommen, weil er Bemerkungen über die wachsende Qualitätsminderung von Textilien gemacht hatte. Leo Weil wurde wegen „Greuelpropaganda" ins Freiburger Gefängnis eingesperrt. Er hatte in einem offenbar abgefangenen Privatbrief die Zustände im Lande geschildert. Die Viehhändler mussten 1935 ihr Gewerbe aufgeben. 1936 wurden die jüdischen Schulkinder von der öffentlichen Volksschule verwiesen. Sie mussten die eigens für jüdische Kinder eingerichtete jüdische Schule in Freiburg besuchen. Die den Juden wohlgesinnten Bürger konnten dem Treiben der Nationalsozialisten keinen Einhalt gebieten.

Am 10. November 1938 wurde von SS-Leuten die Synagoge an der Bachenstraße angezündet. Die Juden wurden aus ihren Häusern geholt, im Hof des Rathauses zusammengetrieben und dann auf den Platz vor der brennenden Synagoge geführt, wo ein Oberschulrat aus Emmendingen, ein fanatischer Nationalsozialist, eine beschimpfende Ansprache hielt. Zu Misshandlungen in Ihringen kam es nicht. Doch wurden einige Juden wochenlang im KZ Dachau festgehalten. Um den Verfolgungen zu entgehen, wanderte ungefähr ein Drittel der Ihringer Juden nach den USA, der Schweiz, nach Frankreich, Holland, Palästina und anderen Ländern aus. Über 50 Juden verzogen nach Freiburg, Lörrach und in andere Städte, um dort ungestörter ihre Auswanderung betreiben zu können. Aber nicht einmal die Hälfte von ihnen erreichte die sichere Zuflucht im Ausland. Mindestens 23 mussten später aus den verschiedenen Orten in Baden und Württemberg den Weg in die Deportation antreten, der für die meisten den sicheren Tod in Gurs, Izbica, Stutthof, Maly Trostinec oder Auschwitz bedeutete. In Ihringen starben nach 1933 9 Juden. 15 Juden wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Von ihnen starben 2 im Lager Gurs, 1 in Recebedou, 1 in Rivesaltes, und mindestens 8 wurden in Auschwitz ermordet. Nur ein kleiner Teil der Deportierten konnte in Südfrankreich in die Freiheit gelangen.

Heute erinnert in Ihringen nur noch der Friedhof am Weg nach dem Blankenhornsberg an die jüdische Gemeinde.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Ihringen 962-1962, Gemeindechronik zur Tausendjahrfeier 1962, 1962.

Ergänzung 2023:

1980 wurde auf dem ehemaligen Synagogenareal ein Gedenkstein errichtet.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Ihringen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Badische Synagogen, hg. Franz-Josef Ziwes, Karlsruhe 1997, S. 44-47.
  • Germania Judaica, Bd. 2, 1. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 373-374.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Sick, Hansjörg, Die Fahne am Pfarrhaus. Eine Jugend zwischen 1933 und 1945, Karlsruhe 1994.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 233-235.
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