Konstanz mit Meersburg, Radolfzell, Singen und Überlingen

Die Synagoge in der Sigismundstraße in Konstanz, um 1896. Die Synagoge wurde bereits 1936 durch Inbrandsetzung beschädigt. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch mehrere Brand- und Sprengsätze zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 69 Baden, Sammlung 1995 F I Nr. 230, 3]
Die Synagoge in der Sigismundstraße in Konstanz, um 1896. Die Synagoge wurde bereits 1936 durch Inbrandsetzung beschädigt. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch mehrere Brand- und Sprengsätze zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 69 Baden, Sammlung 1995 F I Nr. 230, 3]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Die freie Reichsstadt Konstanz kam nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes gegen Karl V. 1548 unter österreichische Hoheit. 1806 fiel sie an Baden. Möglicherweise wohnten schon in der römischen Niederlassung Constantia Juden, bis sie wie die Römer dem Alemanneneinfall weichen mussten. Wenn auch die erste Nachricht über Juden in Konstanz aus dem Jahre 1241 stammt, so dürfte die mittelalterliche jüdische Gemeinde doch erheblich älter sein; sie hatte nämlich um diese Zeit bereits ein solches Ansehen erlangt, dass der junge Rabbi Meir von Rothenburg, die berühmteste rabbinische Autorität der damaligen Zeit, zwischen 1250 und 1260 das dortige Rabbineramt bekleidete. Konstanz gehörte zu den 25 Orten, deren Judengemeinden in der Reichssteuerliste von 1241 erfasst sind. Vermutlich trugen die Juden auch durch den Bau eines Turmes (Ziegelturm, heute Pulverturm) zur Stadtbefestigung bei.

1254 erging eine päpstliche Aufforderung an den Bischof, die Juden der Stadt und der Diözese zum Tragen des Judenzeichens anzuhalten. 1255 erhielt die Stadt vom Kaiser das Verbot, die Juden zu Abgaben heranzuziehen, da sie als kaiserliche Kammerknechte nur ihm abgabepflichtig seien. 1317 gewährte Friedrich der Schöne den Konstanzer Juden für eine Geldhilfe Steuerfreiheit auf vier Jahre. 1330 verpfändete Kaiser Ludwig der Bayer 1.000 Pfund Heller aus den Steuern der Konstanzer Juden auf drei Jahre an den Grafen von Nellenburg.

Unter der Beschuldigung der Hostienschändung tötete man 1312, 1320 und 1333 wiederholt zahlreiche Juden. Sie wurden erschlagen, verbrannt oder im Rhein ertränkt. Die Verfolgungen während der Pest von 1348/49 endeten in Konstanz damit, dass man nach chronikalischer Überlieferung zunächst 330 Juden in einem auf freiem Feld eigens hierzu errichteten Gebäude verbrannte, die restlichen später ebenfalls tötete. Damit war die jüdische Gemeinde vernichtet.

In den folgenden Jahrzehnten durften sich jedoch wieder Juden in Konstanz niederlassen, und sie scheinen bald wieder eine umfangreiche Gemeinde gebildet zu haben.

Nach 1371 konnten die Juden uneingeschränkt Hausbesitz erwerben. Schon 1375 schloss die Stadt mit dem damals in Konstanz wohnhaften Juden Samuel von Mengen einen Kreditvertrag ab; 1377 erhielt Jäcklin von Ulm, einer der bedeutendsten jüdischen Bankiers dieser Zeit, auf fünf Jahre Wohnrecht in Konstanz. Um die gleiche Zeit werden weitere ausgedehnte Geldgeschäfte mit Konstanzer Juden erwähnt. Ihre Einkünfte müssen sehr hoch gewesen sein, wie aus den Steuerangaben in den Stadtrechnungen zu ersehen ist. Aus diesen guten wirtschaftlichen Verhältnissen zog die Stadt ihren Nutzen. Konstanz gehörte zu den schwäbischen Reichsstädten, die 1385 mit einer teuer erkauften Genehmigung des Kaisers alle Forderungen der Juden an ihre Gläubiger teilweise ermäßigten und an sich zogen sowie gegen die Hälfte des jährlichen Ertrags der Judensteuern das Judenregal übertragen erhielten. 1393 war allerdings die Stadt Konstanz erst nach längeren Verhandlungen bereit, den vom Kaiser gewährten Teilnachlass der Schulden des Adels bei Juden zuzustimmen. Zugleich erhielt sie für zwölf Jahre den Judenschutz und die damit verbundenen Einnahmen. 1390 hatte die jüdische Gemeinde Konstanz 30 Haushaltungen.

Zu einer erneuten, durch eine Blutbeschuldigung hervorgerufenen Verfolgung kam es im Jahre 1390. 1401 wurde den Juden verboten, auf Grundstücke etwas zu leihen und sich in der Karwoche auf der Straße sehen zu lassen. Verschiedentlich kam es, wie auch schon früher, zu Judentaufen. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts traten für die Konstanzer Juden ruhigere Verhältnisse ein. 1413 zählte die jüdische Gemeinde 12 Haushaltungen.

Durch das Konstanzer Konzil (1414-1418) erlangte die jüdische Gemeinde in Konstanz Bedeutung für die gesamte Judenschaft des Reiches. Zunächst berief der Kaiser 12 vermögende jüdische Familien nach Konstanz; noch 1417 ließ er den reichen Bankherrn Samuel von Lindau in Konstanz als Bürger aufnehmen. Die so gestärkte Gemeinde hatte für das schnelle Aufbringen der verschiedenen von der Judenschaft des Reiches verlangten Abgaben zur Bestreitung der Kosten des Konzils zu sorgen. In Konstanz war die Abrechnungsstelle für die Steueragenten. Auch befanden sich unter den jüdischen Steuererhebern, die den für die verschiedenen Provinzen des Reiches bestellten Beamten als Helfer beigegeben waren, u.a. mehrere Juden aus Konstanz. Als während des Konzils der neu gewählte Papst Martin V. 1417 durch die Stadt zog, kamen ihm auch die Juden der Stadt mit Gebetsmänteln, Sterbekleidern und brennenden Kerzen entgegen und baten für die gesamte Judenheit des Reiches um Bestätigung ihrer Freiheiten, wie diese auch die früheren Päpste gegeben hätten.

Aus den Jahren 1423 bis 1429 sind umfangreiche Geldgeschäfte von Konstanzer Juden nachzuweisen, aus denen auf großen Reichtum einiger Juden zu schließen ist. Vom Warenhandel waren die Juden damals völlig ausgeschlossen. 1418 zählte die jüdische Gemeinde in Konstanz ungefähr 20 Familien; unter ihnen finden wir zahlreiche bekannte Geldverleiher. 1425 war die Zahl der jüdischen Haushaltungen auf 16 herabgesunken, wuchs jedoch bis 1429 wiederum auf 25 und bis 1430 auf 32 (hier allerdings mit einigen in Meersburg und Umgebung) an. Die Beschuldigung, Ravensburger Juden hätten einen Christenknaben zu rituellen Zwecken getötet, führte 1430 wiederum zu einer Verfolgung, in deren Verlauf der Kaiser die Juden, die ja seine „Kammerknechte" waren, gegen eine beträchtliche Zahlung der Stadt überließ.

Bürgermeister und Rat wurden wegen ihrer vermittelnden Haltung durch einen Aufstand der Zünfte abgesetzt. Die Gefangennahme der Juden und längere Verhandlungen endeten damit, dass der Kaiser die Juden für 20.000 Gulden wieder in seinen Schutz nahm, eine Summe, die mit Hilfe zweier ehemaliger Konstanzer Bankiers aus Zürich aufgebracht wurde. 1435 betrug die Zahl der jüdischen Haushaltungen nur noch 12. 1439 beschlossen der kleine und große Rat, wie schon vorher 1431, künftig keine Juden mehr in der Stadt zu dulden. Zur Durchführung kam dieser Beschluß jedoch nicht. 1443 wurden die Konstanzer Juden unter dem Verdacht eines Ritualmordes im Ziegelturm gefangengesetzt und ihre Häuser nach Geld durchsucht. Erst nach fünfjährigen Bemühungen, an denen sich auch der Kaiser beteiligte, wurden sie wieder freigelassen und mit Leib und Gut an Erzherzog Albrecht überwiesen. In der Folgezeit wohnten nur noch wenige Juden ständig in Konstanz. Nach einer weiteren Einschränkung ihrer Rechte durch eine Judenordnung von 1533 erfolgte 1537 die endgültige Ausweisung und das Verbot des dauernden Aufenthaltes in der Stadt.

Die Konstanzer Juden wohnten, abgesehen von Einzelfällen, in einem bestimmten Gebiet zusammen, das jedoch im Laufe der Zeit wechselte; dort stand auch die jeweilige Synagoge. Die erste bekannte Judensiedlung (bis 1348/49) befand sich ebenso wie die zweite (bis 1390) in der Mordergasse (später Augustinergasse, bzw. Rosgartenstraße); vermutlich hier, hinter dem späteren Rosgarten, wird der Standort der ältesten Synagoge zu suchen sein. Die dritte Siedlung (seit Ende des 14. Jahrhunderts) lag in der Samnung- oder Witengasse und am Blaicherstad, der Judengasse (später Münzgasse). In dem an die Blaicherstad angrenzenden Ramungshof scheint eine zweite kleine Siedlung angelegt worden zu sein. Die zweite Synagoge wurde in dem 1424 erworbenen Haus „Zur Katz" in der Judengasse, dem Gesellschaftshaus der Patrizier, eingerichtet. Das Nachbarhaus diente als Schule. Bis 1448 blieben beide Häuser jüdisches Eigentum. Der Neubau von Synagogen im ganzen Bistum Konstanz wurde durch den Bischof im gleichen Jahr verboten. 1383 erhielt die Konstanzer Judenschaft vom Bischof eine Friedhofsordnung. Ob diese für einen eigenen Friedhof in Konstanz oder für den Überlinger Friedhof galt, ist nicht bekannt.

An der Ausschließung der Juden wurde in den folgenden Jahrhunderten beharrlich festgehalten; sogar für die durchreisenden Juden wurden wiederholt verschärfte Vorschriften erlassen. Erst 1847 beschloß der große Ausschuß, allerdings mit stark einschränkenden Klauseln, Juden als Ortsbürger aufzunehmen. 1866 wurde die drei Jahre zuvor neugegründete israelitische Gemeinde staatlich genehmigt. Sie schloß sich in der Auseinandersetzung um die Gottesdienstreform der liberalen Richtung an. Bis 1897 war sie der jüdischen Gemeinde Tiengen als Filiale angegliedert. Die Zahl der jüdischen Einwohner wuchs bis 1875 auf 251, bis 1900 auf 565; 1925 war sie bereits wieder auf 537 gesunken. Im Ersten Weltkrieg hatte die Israelitische Gemeinde Konstanz 27 Gefallene zu beklagen. Ab 1864 versammelten sich die Juden in einem Betsaal im sogenannten Seelhaus. 1883 konnte die Synagoge in der Sigismundstraße eingeweiht werden. Innerhalb des christlichen Friedhofs wurde um diese Zeit für die verstorbenen Juden ein besonderer Teil angelegt.

1925 wurde der Sitz der Gailinger Bezirkssynagoge und damit des Bezirksrabbinats nach Konstanz verlegt; aber schon 1927 erhielten die orthodoxen Gemeinden Gailingen und Randegg, die die liberale Haltung des Konstanzer Rabbiners ablehnten, auf ihr Drängen einen eigenen Rabbiner mit dem Sitz in Gailingen, während Konstanz nur noch die Landgemeinde Wangen sowie die der Gemeinde Konstanz angeschlossenen Filialgemeinden Meersburg, Radolfzell, Singen und Überlingen verblieben. In Worblingen, dessen jüdische Gemeinde 1901 aufgelöst worden war und deren verbliebene Mitglieder Konstanz ebenfalls als Filiale angegliedert worden waren, lebten 1925 keine Juden mehr. Der letzte Bezirksrabbiner von Konstanz, Dr. Chone, wanderte 1936 nach seiner Pensionierung nach Palästina aus, wo er 1946 verstarb.

Zahlreiche israelitische Vereine und Einrichtungen karitativen, religiösen oder geselligen Charakters waren in Konstanz vorhanden: Die Armenkasse, eme Chewra Kaddischa, ein Frauenverein und eine Wanderfürsorgestelle dienten der Wohlfahrtspflege. Im Verein jüdischer Techniker, in der Zionistischen Ortsgruppe, in der Ortsgruppe des Central-Vereins, der Ortsgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten und der Ortsgruppe des Hilfsvereins der deutschen Juden fanden sich beruflich oder politisch Gleichgesinnte zusammen. Der Unabhängige Orden B'ne B'rith war durch die Makkabi-Loge vertreten. Der Jugend nahmen sich der Jugendverein und eine besondere Jugendbibliothek an.

Am öffentlichen Leben der Stadt nahmen die Juden vor 1933 nicht weniger regen Anteil als an ihren eigenen Gemeindeangelegenheiten. So war etwa der Arzt Dr. Daniel Guggenheim Gründer und Leiter der Sanitätskolonne des Männervereins vom Roten Kreuz und Mitglied des Stadtrats. Der Kaufmann Bernhard Spiegel war Mitgründer und von 1903 bis 1913 Vorsitzender der Ortskrankenkasse. Der Fabrikant Salomon Picard war Mitglied, der Kaufmann Albert Spiegel Vorsitzender des Stadtverordnetenkollegiums.

Im Unterschied zum Mittelalter beschäftigten sich die Konstanzer Juden der Neuzeit kaum mit Geldgeschäften, sondern waren rührige Unternehmer in den verschiedensten Branchen. Sie hatten einen beträchtlichen Anteil am Wirtschaftsleben der Stadt. So wurden - um nur einige Geschäfte zu nennen - 1933 von Juden das Konfektionshaus „Merkur", die Textilgroßhandlungen Lion oHG und Wolf & Weil, das Herren- und Damenkleidergeschäft Spiegel & Wolf, das Weiß-, Woll- und Modewarengeschäft Hans und Otto Thanhauser, die Kurz-, Weiß- und Wollwarengroßhandlung Gebr. Wieler, die Eisenwarengroßhandlungen Gebr. Spiegel, Gehr. Rothschild und Max Schriesheimer, das Baumaterialien- und Kohlengeschäft Siegfried Schuster betrieben. Die Rohproduktenhandlung Jakob Haymann oHG, die Metzgereibedarfsartikelhandlung Gebr. Moos oHG, die Darmgroßhandlung Ludwig Picard, die Konservenfabrik Honsell & Co. oHG, die Reiseartikelfabrik Oskar Bayer Nachf. GmbH und verschiedene andere waren jüdische Firmen. Manche Juden hatten ihr Geschäft oder wenigstens eine Zweigniederlassung in der Schweiz. über 20 Juden waren Reisevertreter deutscher und schweizerischer Firmen. Auch viele Unselbständige waren in Schweizer Betrieben beschäftigt.

In den akademischen Berufen waren in Konstanz die Juden ebenfalls vertreten. Es gab mehrere praktische Ärzte, Fachärzte und Zahnärzte. Prof. Dr. Martin Picard war Chemiker, Dr. Karl Kindermann bis April 1933 Studienassessor, Dr. Erich Bloch bis 1. März 1933 Verlagsleiter.

Sechs Rechtsanwälte hatten hier ihre Praxis. Ein Architekt, mehrere Ingenieure und Lehrer zählten zu den Konstanzer Bürgern.

Erwähnung verdient der auch musikalisch begabte Buchhändler Fritz Picard aus Wangen am See, der zum Freundeskreis der Dichterin Else Lasker-Schüler gehörte und mit Hermann Hesse und Max Liebermann befreundet war.

Unter den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Diskriminierungen hatten die Konstanzer Juden nach 1933 nicht weniger zu leiden als ihre Glaubensgenossen in anderen deutschen Städten. Die verwandtschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zur nahen Schweiz gereichten den Weitsichtigen unter ihnen, die den Ernst der Stunde erkannten, zum großen Vorteil, da sie nicht nur ihr Leben, sondern häufig auch noch ihr Vermögen retten konnten.

Schon im Herbst 1933 las ein Parteigenosse und Stadtrat bei einer gutbesuchten Kundgebung für den Mittelstand die Namen derjenigen vor, die in jüdischen Geschäften, Warenhäusern und Einheitspreisgeschäften nach dem Boykottaufruf ihre Einkäufe getätigt hatten. Am 1. November 1936 nachmittags gegen 5 Uhr wurde in der Synagoge Feuer wahrgenommen. Wie aus dem Protokoll hervorgeht, war die Nische, in der sich der Thoraschrein befand, die Orgel und vier Fächer in den Kirchenstühlen, in denen die Gebetsmäntel und -bücher aufbewahrt wurden, bereits ausgebrannt, durch die gewaltige Hitze der Verputz an den Innenwänden und die Kirchenstühle beschädigt, als die Feuerwehr zu löschen begann. Sechs von den sieben Thorarollen waren ein Raub der Flammen geworden. Sie wurden nach jüdischem Ritus auf dem Friedhof beigesetzt. Die Brandstifter wurden nicht entdeckt. In den Morgenstunden des 10. November 1938 wurde die renovierte Synagoge abermals von Angehörigen der SS in Brand gesteckt. Der löschwilligen Feuerwehr wurde nicht gestattet, den Brand zu bekämpfen, vielmehr versuchte man die Dachluken zu öffnen, um dem Feuer besseren Zug zu verschaffen.

Anschließend wurde die Synagoge von der SS-Verfügungsgruppe Germania aus Radolfzell gesprengt. Zu Belästigungen von Juden oder Zerstörungen jüdischen Eigentums kam es bei dieser Aktion auf Befehl des SS-Gruppenführers Kaul in Stuttgart mit Rücksicht auf die Grenznähe nicht. 16 Männer wurden in das KZ Dachau eingeliefert. Der Wangener Arzt Dr. Nathan Wolf, der mit dem gleichen Transport befördert wurde, hebt die Betreuung durch die sie begleitenden Konstanzer Gendarmen hervor, denen sie es auch zu verdanken gehabt hätten, dass sie in Dachau nicht wie andere Häftlinge mit Stahlruten empfangen wurden. Die eingesessene Bevölkerung war mit geringen Ausnahmen von den Vorgängen der Kristallnacht auf das tiefste betroffen. Hans Thanhauser starb am 4. Dezember 1938 im KZ Dachau.

Zu den 443 Juden, die am 16. Juni 1933 in Konstanz wohnten, kamen bis 1940 durch Geburten (10) und Zuzüge (318) 328 Juden hinzu. Konstanz war ein beliebter Zwischenaufenthalt vor der Auswanderung. Von diesen insgesamt 771 Juden sind 204 weggezogen, 385 ausgewandert (von den Alteingesessenen 107 nach den USA, 67 in die Schweiz, 40 nach Palästina und die übrigen in 20 andere Länder), 62 in Konstanz verstorben (zwei durch Selbstmord, um der Deportation zu entgehen). 118 wurden deportiert, und zwar 110 am 22. Oktober 1940 nach Gurs und von den Zurückgebliebenen, die vornehmlich in sogenannten Mischehen lebten, 8 in den Jahren 1941-1944 nach Riga, Izbica und Theresienstadt. Von diesen kehrte nur Lina Eichler zurück. Von den nach Gurs deportierten Konstanzer Juden starben nachweislich mindestens 10 in französischen Lagern durch Hunger und Seuchen; mindestens 21 sind in Auschwitz oder einem anderen Vernichtungslager in Polen eines gewaltsamen Todes gestorben. Die tatsächliche Zahl der Ermordeten dürfte ungefähr doppelt so hoch sein. Die Zahl derer, die mit Sicherheit aus französischen Lagern entlassen wurden, geflüchtet sind oder in ihnen die Verfolgungszeit überlebt haben, beträgt 37.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches sind aus der Deportation 4 und aus der Emigration ebenfalls 4 Juden nach Konstanz zurückgekehrt. Auch jetzt war Konstanz wieder beliebter Zwischenaufenthalt vor der Auswanderung für Juden, die im Osten überlebt hatten, aus DP-Lagern entlassen wurden oder aus verschiedenen Teilen Deutschlands ins Ausland strebten. Von den nach 1945 zugezogenen 172 Juden haben sich 129 wieder abgemeldet, so dass um 1960 etwa 40 bis 50 Juden in Konstanz ständig wohnhaft waren.

Der Synagogenplatz wurde nach dem Krieg verkauft, auf dem Gelände ein Hochhaus mit Wohn- und Geschäftsräumen errichtet. Im Erdgeschoß erhielt die kleine jüdische Gemeinde wieder einen Betsaal, der im Juli 1966 eingeweiht wurde. An dem Hochhaus wurde eine von der Stadt Konstanz gestiftete Gedenktafel an die 1938 an dieser Stelle zerstörte Synagoge angebracht. Auf dem jüdischen Teil des Hauptfriedhofs befindet sich ein Denkmal für die 1936 zerstörten Thorarollen und ein Gedenkstein aus dem Baumaterial der alten Synagoge.

In Meersburg, der ehemaligen Residenz des Bischofs von Konstanz, wurden zwischen 1426 und 1429 kurzzeitig Juden zugelassen. Sie verschwanden im Zusammenhang mit den Pogromen in den benachbarten Städten. Erst 1652 bekam erneut ein jüdisches Ehepaar Aufenthaltserlaubnis für ein halbes Jahr, die aber nach Ablauf dieses Zeitraums verlängert wurde; denn 1658 verlangte die Stadt vom Bischof die Ausweisung dieses Paares. Meersburg öffnete sich erst nach der Gesetzgebung von 1862 den Juden wieder. Ihre Zahl blieb unbedeutend: 1875 5, 1900 8, 1910 3. Seit 1895 waren sie Konstanz als Filiale angeschlossen. 1933 gab es keine Juden mehr in der Stadt.

Die jüdische Gemeinde in Radolfzell ging im Pogrom von 1349 unter. Seitdem wohnten keine Juden in der seit 1455 österreichischen, ehemals freien Reichsstadt. 1855 ließ sich der erste Jude nach dem Anfall an Baden dort nieder. 1880 war mit 14 die Höchstzahl erreicht. Das 1933 anwesende jüdische Ehepaar, das ein Konfektionsgeschäft betrieb, wanderte 1937 aus.

In Singen am Hohentwiel wurden erst im Jahre 1900 Juden von einer Volkszählung erfasst. 1925 waren es 23, 1933 44, die der jüdischen Gemeinde Konstanz als Filiale angegliedert waren.

Hauptsächlich wanderten sie von Gailingen und Randegg zu. 1931 wurde in einem Privathaus in Singen ein Betsaal eingerichtet, der für etwa 30 Personen ausreichte. In einer Zeit, wo überall kleine jüdische Gemeinden eingingen, wurde in der aufblühenden Industriestadt ein Synagogenbaufonds angelegt. Das Dritte Reich bereitete allen Plänen ein jähes Ende. Bis zum Beginn der Deportationen 1940 waren alle Juden aus Singen verzogen oder ausgewandert.

Jettchen und Wilhelm Guggenheim versuchten in Spanien Fuß zu fassen und siedelten dann nach Nizza über. Dort wurden sie 1942 verhaftet und nach Auschwitz gebracht. Liselotte Guttmann wurde in Frankreich verhaftet und in Gurs interniert, überlebte aber die Strapazen wie Ludwig Bab, der aus Konstanz nach Gurs deportiert worden war. In Izbica starb 1942 Sofie Guttmann, Henny Salomon und Margarete Weil starben in Auschwitz.

In Überlingen bestand schon um 1226 eine jüdische Gemeinde mit Synagoge und Friedhof, dessen älteste erhaltene Grabsteine aus den Jahren 1275 und 1276 stammen. Im Jahre 1332 kam es zu einem ersten großen Pogrom in der Reichsstadt. Unter dem Verdacht der Ermordung eines Kindes wurden etliche Juden gefoltert und hingerichtet. Die übrigen Juden, die aus Angst in ihre steinerne Synagoge in der oberen Seestraße geflüchtet waren, wurden mitsamt dem Gotteshaus verbrannt. Etwa 300 Opfer fanden den Tod. Die zufällig abwesenden Juden durften nach ihrer Rückkehr weiter in der Stadt in der Judengasse wohnen. Die „Judenschule" wurde in einem an das Spital zum Heiligen Geist angrenzenden Hause eingerichtet. Zur Strafe für die ohne seine Einwilligung erfolgte Ermordung seiner Kammerknechte ließ Ludwig der Bayer einen Teil der Stadtmauer einreißen und forderte eine Geldbuße von der Stadt. 1349 wurden die Überlinger Juden wie so viele ihrer Glaubensgenossen als Urheber der Pest verbrannt. Ihre Güter schenkte der Kaiser den Grafen von Helfenstein, seinen Landvögten in Oberschw aben. Sie überließen der Stadt die Synagoge, einige Judenhäuser und den Friedhof. Die Grabsteine wurden beim Bau des Münsters und des Spitals verwendet. Die geschändeten Gräber wurden seit 1376 von den Konstanzer Juden gegen eine jährliche Abgabe betreut. 1378 ließen sich erneut Juden in Überlingen nieder, allerdings blieb ihre Zahl gering, wie sich aus der Höhe ihrer Steuerzahlungen ergibt. Im Zusammenhang mit einer Blutbeschuldigung in Ravensburg wurden 1429 alle Überlinger Juden verhaftet. 12 von ihnen wurden 1430 verbrannt, weitere 11 ließen sich lieber taufen. Das Vermögen der Opfer wurde eingezogen; der Friedhof fiel an das Spital.

Nach und nach fand man auch noch in den Häusern der Juden ihre versteckten Kostbarkeiten und Kapitalien. Die Stadt beschloss 1431, nie wieder einen Juden ständig bei sich wohnen zu lassen. Bis zur bürgerlichen Gleichstellung der badischen Juden 1862 hielt sie sich an diesen Beschluss. 1875 wurden fünf Juden in Überlingen gezählt. Die kleine Gemeinschaft wurde 1895 der Gemeinde Konstanz als Filiale angegliedert. 1900 waren es 10 Seelen, 1925 7 und 1933 noch eine fünfköpfige Familie, die 1938 über England nach den USA auswanderte.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Chone, Heymann Zur Geschichte der Juden in Konstanz, in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland 6, 1935.
  • Ders., Die Juden in Konstanz nach dem Konstanzer Konzil, in: Nathan Stein-Schrift hg. von H. Schiff. 1938.
  • Leopold Löwenstein, Geschichte der Juden am Bodensee und Umgebung. Nach gedruckten und ungedruckten Quellen, 1. Teil, 1879.
  • Johann Marmor, Die Juden in Konstanz. Nach den Urkunden des dortigen Stadtarchivs, in: Badenia 2, 1862.
  • Ders., Die Zunftempörungen in Konstanz. Nach den Quellen, ebd. 1862.
  • Martin, Theodor, Aus den Zeiten der Judenverfolgungen am Bodensee, um 1348, in: Schriften des Vereins für die Geschichte des Bodensees 9, 1878.
  • Rothschild, Lothar, Der Stein als Zeuge. Ansprache bei der Einweihung des Gedenksteines für die zerstörte Synagoge der Israelitischen Gemeinde Konstanz 1946.
  • Scholz, Wilhelm von, mittelalterliche Judenverfolgungen in Konstanz, in: Das Bodenseebuch 1, 1914, 117-120.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Konstanz, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Konstanz

  • Badische Synagogen, hg. Franz-Josef Ziwes, Karlsruhe 1997, S. 34-35.
  • Bloch, Erich, Das verlorene Paradies. Ein Leben am Bodensee 1897-1939, Konstanz 1992.
  • Bloch, Erich, Geschichte der Juden von Konstanz im 19. und 20. Jh., Konstanz 1971.
  • Das jüdische Konstanz: Blütezeit und Vernichtung, hg. von Thomas Engelsing, Konstanz 2015.
  • Engelsing, Thomas, Die Bude muss weg – Synagogenbrand 1938, in: ZEIT Geschichte, Hamburg 2010.
  • Germania Judaica, Bd.2, 1. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 445-460.
  • Germania Judaica, Bd.3, 1. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim,, Tübingen 1987, S. 665-673.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Hörburger, Hortense, Judenvertreibungen im Spätmittelalter am Beispiel Esslingen und Konstanz, in: Campus-Forschung 237, 1981.
  • Fidler, Helmut, Jüdisches Leben am Bodensee, Frauenfeld/Stuttgart/Wien 2011.
  • Rehn, Marie-Elisabeth, Hugo Schriesheimer. Ein jüdisches Leben von Konstanz durch das KZ Dachau, das französische Internierungslager Gurs, das Schweizer Asyl und die USA nach Kreuzlingen. 1908-1989, Konstanz 2011.
  • Rügert, Walter, Jüdisches Leben in Konstanz. Eine Dokumentation vom Mittelalter bis zur Neuzeit. 1999.
  • Seiffert, Hans-Hermann, Entrechtet - verschleppt - ermordet. Der Weg der Konstanzer Jüdin Johanna Hammel in die Gaskammer von Auschwitz-Birkenau 1898-1942, hg. von Erhard Roy Wiehn, Konstanz 2007.
  • Seiffert, Hans-Hermann, Meine geliebten Kinder! Die Briefe der Konstanzer Jüdin Hella Schwarzhaupt aus der Internierung in Gurs und Récébédou an ihre Kinder, Konstanz 2013.
  • Twiehaus, Christiane, Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien, (Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg), Heidelberg 2012, S. 97-107.
  • Quintini, Petra, Der Konstanzer Kinderarzt Dr. Meinrath. Familie emigrierte unter Druck nationalsozialistischer Hetze nach Palästina, in: Konstanzer Almanach 2018 S. 78-80.
  • Wiehn, Erhard Roy, Jüdisches Leben und Leiden in Konstanz. 50 Jahre Israelitische Kultusgemeinde 1964-2014, Konstanz 2014.
  • Wiehn, Erhart Roy, Novemberpogrom 1938. Die „Reichskristallnacht“ in der Erinnerung jüdischer Zeitzeugen der Kehilla Kedoscha Konstanz. 50 Jahre danach als Dokumentation des Gedenkens, Konstanz 1988.
  • Wolter, Markus, particularly hard - Die Stadt Radolfzell im Nationalsozialismus, Freiburg 2010.
  • Wolter, Markus, Radolfzell im Nationalsozialismus. Die Heinrich-Koeppen-Kaserne als Standort der Waffen-SS, (Schriften des Vereins für die Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, Bd. 129) Ostfildern 2011.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 462-470.
  • Zur neuen Synagoge in Konstanz im Kontext der jüdischen Stadtgeschickte. Festschrift zur Einweihung am 10. November 2019, hg. von Benjamin Nissenbaum/Erhard Roy Wiehn, Konstanz 2019.

Meersburg

  • Ammann, Hektor, Die Judengeschäfte im Konstanzer Amman-Gerichtsbuch 1423-1434, in: Schriften d. Vereins für Geschichte des Bodensees und Umgebung 71 (1952), S.37-84.
  • Bloch, Erich, Geschichte der Juden von Konstanz im 19. und 20. Jh., Konstanz 1971, S. 70.
  • Fidler, Helmut, Jüdisches Leben am Bodensee, Frauenfeld/Stuttgart/Wien 2011.
  • Germania Judaica Bd.3, 2. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1995, S.853-854.
  • Quellen zur Geschichte der Juden bis zum Jahr 1600 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart und im Staatsarchiv Ludwigsburg (QGJ), bearb. von Wilfried Braunn, 1982, Quellen Nr. 456 und 558.
  • Toury, Jacob, Jüdische Textilunternehmer, S. 95-99, 108 und 112.

Radolfzell

  • Germania Judaica, Bd.2, 2. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 673.
  • Hahn, Joachim, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Stuttgart 1988.
  • Wolter, Markus, particularly hard - Die Stadt Radolfzell im Nationalsozialismus, Freiburg 2010.
  • Wolter, Markus, Radolfzell im Nationalsozialismus. Die Heinrich-Koeppen-Kaserne als Standort der Waffen-SS, (Schriften des Vereins für die Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, Bd. 129) Ostfildern 2011.

Singen

  • Bosch, Manfred, „Der Abschied von Singen fiel uns nicht schwer...“. Die Hohentwielstadt als letzte deutsche Station auf der Flucht verfolgter Juden, in: Singener Jahrbuch (1983), S. 40-43.
  • Erinnern, Bedenken, Lernen. Das Schicksal von Juden, Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen zwischen Hochrhein und Bodensee, hg. von Alfred G. Frei/Jens Runge, 1990.
  • Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945, hg. vom Studienkreis Deutscher Widerstand, Bd. 5/2: Baden-Württemberg II. Regierungsbezirke Freiburg und Tübingen, S. 63-68.
  • Kappes, Reinhild, Jüdisches Leben in Singen, in: Singen – die junge Stadt. Singener Stadtgeschichte Bd. 3, hg. von Herbert Berner/Reinhard Brosig, Sigmaringen 1994, S. 30-31.
  • Kappes, Reinhild, „...und in Singen gab es keine Juden?“ Eine Dokumentation, 1991.
  • Sauer, Paul, Die Judengemeinden im nördlichen Bodenseeraum, in: ZGO 128 (1980), S. 327-343.
  • Schwersenz, Jizchak, Die versteckte Gruppe. Ein jüdischer Lehrer erinnert sich, 1988.
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