Aufbau nach dem Untergang

von Uri R. Kaufmann

Ein zentrales Thema der Nachkriegszeit war der Kampf um Schadensersatz. Der Historiker Paul Hirsch (1883-1961) in Heidelberg wurde von einem Beamten der „Wiedergutmachungs"-Behörde 1958 gezwungen, eidesstattliche Versicherungen beizubringen, dass er den „Judenstern" wirklich getragen habe. Hirsch war ob dieses Ansinnens entsetzt. Original im GLAK. Darin „Judenstern" aus Stoff. (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK, 480 EK 5050 Nr. 1 und Nr. 2.)

Ein zentrales Thema der Nachkriegszeit war der Kampf um Schadensersatz. Der Historiker Paul Hirsch (1883-1961) in Heidelberg wurde von einem Beamten der „Wiedergutmachungs"-Behörde 1958 gezwungen, eidesstattliche Versicherungen beizubringen, dass er den „Judenstern" wirklich getragen habe. Hirsch war ob dieses Ansinnens entsetzt. Original im GLAK. Darin „Judenstern" aus Stoff. (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK, 480 EK 5050 Nr. 1 und Nr. 2.)

Ein zentrales Thema der Nachkriegszeit war der Kampf um Schadensersatz. Der Historiker Paul Hirsch (1883-1961) in Heidelberg wurde von einem Beamten der „Wiedergutmachungs"-Behörde 1958 gezwungen, eidesstattliche Versicherungen beizubringen, dass er den „Judenstern" wirklich getragen habe. Hirsch war ob dieses Ansinnens entsetzt. Original im GLAK. Darin „Judenstern" aus Stoff. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK, 480 EK 5050 Nr. 1 und Nr. 2]

Im Sommer 1945 wurden die nach Theresienstadt Deportierten zurückgeholt. In Heidelberg begann, wie an vielen Orten in Deutschland, jüdisches Leben mit einem Altersheim. Amerikanische und französische Armeerabbiner setzten sich für die Einrichtung bescheidener Betsäle ein. Es war eine Demonstration jüdischen Überlebens, dass 1948 auf Veranlassung der orthodoxen Rabbinervereinigung der USA in Heidelberg der Talmud neu gedruckt wurde.

Aus Osteuropa strömten nach 1946 jüdische Staatenlose in die Amerikanische Zone. Auch wenn über 90 Prozent von ihnen bis 1951 Deutschland wieder verließen, bildeten die Verbleibenden die größte jüdische Landsmannschaft. Lange Jahre fühlten sich die meisten wie „auf gepackten Koffern“ sitzend. Durch die Verfolgung gezeichnet, konnten und wollten viele nicht mehr woanders hin.

Nach den Besatzungszonen getrennt gab es zwei jüdische Landesverbände in Baden. Diese vereinigten sich erst 1953. Mit dem „Wiedergutmachungsabkommen“ des Jahres 1952 wurde besonders den Juden deutscher Staatsangehörigkeit ein Teil des erlittenen Schadens ersetzt. Dessen bürokratischer Vollzug war eine große Belastung für die Betroffenen. Die Mehrheit der Verfolgten wurde durch die „Jewish Successor Organization“ vertreten, die kein Interesse an jüdischem Leben in Deutschland nach 1945 hatte. Sie aber wurde von den Alliierten als Rechtsnachfolger der untergegangenen jüdischen Gemeinschaft angesehen. Zwischen ihr und den kleinen Nachkriegsgemeinden in Deutschland entwickelten sich heftige Konflikte. Viele Juden in den USA und Israel sahen jüdisches Leben „im Land der Mörder“ prinzipiell als illegitim an. Nur wenige Rabbiner und Religionslehrer waren bereit, in Deutschland zu wirken.

Die Bundesrepublik wurde dank amerikanischer Hilfe zum Wirtschaftswunderland. Unter den Zuwanderern jener Zeit waren auch Juden. In Folge der Aufstände in Ungarn 1956 und in der CSSR 1968 wanderten weitere Familien zu.

Besonderes Anliegen des Oberrates war eine würdige Gestaltung des jüdischen Friedhofes im französischen Gurs, wo die dort im Lager verstorbenen badisch-pfälzischen Juden beerdigt worden waren. 1957 konnte die jüdische Gemeinde Mannheim ein neues Haus einweihen, 1971 erst folgte die Karlsruher. 1964–1986 wirkte Nathan Peter Levinson als Landesrabbiner. Die aus der Emigration nach Frankreich wieder zurückgekehrte Familie Nachmann dominierte von 1946 bis 1988 die offiziellen Funktionen der Gemeinschaft. Durch viele Ämter im Oberrat (1961–1988), im Zentralrat (Mitglied seit 1962, Vorsitzender 1969–1988), im Rundfunkrat und in der Wirtschaft überfordert, sah sich Werner Nachmann veranlasst, seine eigene Firma durch Zugriff auf Zinsen eines Wiedergutmachungsfonds zu retten. Sein Tod 1988 hinterließ ein Vakuum.

Von gesamtdeutscher Bedeutung sind die 1979 ins Leben gerufene Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und das 1987 ebendort errichtete Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland.

Literatur

  • Brenner, Michael, Nach dem Holocaust. Juden in Deutschland 1945-50, München 1995. 
  • Giovanni, Norbert, Die Heidelberger Jüdische Gemeinde 1945-1933, in: Geschichte der Juden in Heidelberg, hg. von Peter Blum, Heidelberg 1996.
  • Jüdisches Gemeindezentrum Mannheim F 3. Festschrift zur Einweihung am 13. September 1987, 19. Ellul 5747, hg. vom Oberrat der Israeliten Badens, Mannheim 1990, S. 87–114.
  • Kauders, Anthony D., Unmögliche Heimat. Eine deutsch-jüdische Geschichte der Bundesrepublik, München 2007.
  • Soussan, Benjamin David/ Kimerling, Maxim, 20 Jahre neue Synagoge Freiburg 1987-2007, hg. von der Jüdischen Gemeinde Freiburg, Freiburg im Breisgau 2007, S. 49–110.
  • Wasserstein, Bernard, Europa ohne Juden. Das europäische Judentum seit 1945, Köln 1999.

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Ausstellungskatalog Gleiche Rechte für alle? Zweihundert Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden 1809-2009, hg. von Landesarchiv Baden-Württemberg, Ostfildern 2009, auf S. 154 veröffentlicht.

Zitierhinweis: Uri R. Kaufmann, Aufbau nach dem Untergang, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 03.09.2021.

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