Ortenauer Landjudentum
Die Gedenk-, Lern- und Begegnungsstätte Ehemalige Synagoge Kippenheim
von Florian Hellberg und Jürgen Stude
Etwas zurückversetzt steht die ehemalige Synagoge Kippenheim in der Kippenheimer Poststraße. Das heute als Gedenk-, Lern- und Begegnungsstätte dienende Gebäude ist eines der wenigen Zeugnisse des einst blühenden jüdischen Lebens in den Dörfern der südlichen Ortenau. Die auf das Land verbannten jüdischen Händler vermarkteten die bäuerlichen Produkte vor allem auf den Märkten von Offenburg und Lahr und brachten städtische Erzeugnisse in die Landgemeinden. In ihrer Verbindung mit dem ländlichen Leben entwickelten sie eine Lebensform, die mit dem Begriff Landjudentum umschrieben wird.
Die Anfänge des Ortenauer Landjudentums reichen in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurück. Es gruppierte sich um den 1682 angelegten Verbandsfriedhof im Kippenheimer Ortsteil Schmieheim, seinem spirituellen Zentrum. Dort saß auch seit Mitte des 18. Jahrhunderts das Rabbinatsgericht für die Mitgliedsgemeinden des Verbandsfriedhofes. Als Schutzjuden hatten die Juden einen unsicheren Rechtsstatus, jederzeit konnten sie des Landes verwiesen werden. Mit der Gründung des Großherzogtums Baden 1806 verbesserte sich ihre gesellschaftliche Stellung, was ihnen erlaubte, ihre alten Hinterhofsynagogen durch schmuckvollere und größere Bauwerke zu ersetzen. Die 1852 eingeweihte Kippenheimer Synagoge war der erste repräsentative Synagogenbau der Ortenau. Ihre Lage mitten im Dorf unterstrich das neue Selbstbewusstsein der jüdischen Gemeinschaft. Zum ersten Mal in Baden wurden hier die bald üblichen Gesetzestafeln als äußeres Kennzeichen auf den Giebel einer Synagoge gestellt. Infolge des Gesetzes über die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten im Juni 1862 verließen viele Landjuden die Dörfer und zogen in die ihnen bis dahin verschlossenen Städte Lahr, Kehl und Offenburg. Als Konsequenz dieser Landflucht wechselte das Bezirksrabbinat Schmieheim 1893 nach Offenburg, dem neuen Mittelpunkt der Ortenauer Jüdinnen und Juden.
Wie in weiten Teilen Deutschlands sah sich auch die jüdische Bevölkerung Badens bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert von einem Rasseantisemitismus bedroht, der 1933 nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler zur Staatsraison erhoben wurde. Ein vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung waren die Novemberpogrome 1938, als auch in der Ortenau am 10. November 1938 die Nationalsozialisten die jüdischen Gotteshäuser angriffen. Von der Schändung des Betsaals der Kippenheimer Synagoge ist ein Foto überliefert. Die Aufnahme zeigt drei in die Kamera lachende Männer vor dem Thoraschrein. Zwei von ihnen haben Werkzeuge (Pickel) geschultert. Der Vorhang des Schreins ist heruntergerissen, die Thorarollen sind verschwunden. Beim genaueren Hinsehen lassen sich zwischen dem zertrümmerten Mobiliar vier Kinder erkennen.
Die Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht im Juni 1940 nutzten die Gauleiter Robert Wagner (Baden) und Josef Bürckel (Saarpfalz), um die jüdische Bevölkerung aus ihren Gauen am 22. Oktober 1940 nach Südwestfrankreich abzuschieben. Fotografien von der Deportation sind nur wenige bekannt, was das große Interesse an Aufnahmen der Abholung der Kippenheimer Juden erklärt. Eines dieser Fotos zeigt den damals zehnjährigen Kurt Salomon Maier mit seiner Familie, die glücklicherweise die Verfolgung überlebten.
Florian Hellberg und Jürgen Stude sind Vertreter des Fördervereins Ehemalige Synagoge Kippenheim e.V. Die Mitglieder und Zeitzeugen wie Kurt Salomon Maier tragen mit einer lebendigen Erinnerungskultur dazu bei, an die Geschichte des Ortenauer Landjudentums zu erinnern.
Dieser Artikel wurde ursprünglich in den Archivnachrichten 62 (2021), Seite 36–37 veröffentlicht.
Zitierhinweis: Florian Hellberg/Jürgen Stude, Ortenauer Landjudentum, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.