Wahlen - Wahlkampf in Hohenzollern 1919
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Kontext: Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919
Im Zuge der Demokratisierung des Reiches 1918/19 veränderten sich die juristischen Rahmenbedingungen für die Wahlen und Abstimmungen, die sich von nun an auf erweiterte Wählerschichten stützten. Die Einführung des allgemeinen Verhältniswahlrechts hatte auch das Ende des Wahlbezirkes Hohenzollern zur Folge. Der 1918 konstituierte Rat der Volksbeauftragten ordnete am 30. November 1918 reichsweit eine neue Wahlordnung an, im Zuge derer Hohenzollern dem Wahlkreis Württemberg zugeordnet wurde. Die Einführung des demokratischen Verhältniswahlrechts machte es aufgrund dieses Anschlusses an Württemberg notwendig, die Kandidatenlisten der parlamentarischen Vertreter Hohenzollerns mit den württembergischen Nachbarn abzusprechen. Diese personalpolitischen Verhandlungen führten zu einer Verschmelzung hohenzollerischer und württembergischer Parteien.
Ferner wurde das Wahlalter von 25 auf 20 Lebensjahre abgesenkt und erstmals wurde das Wahlrecht auch Frauen zugesprochen. Dies blieb für die ersten Reichstagswahlen in Hohenzollern nicht ohne Folgen: Im Vergleich zur Zeit des Kaiserreiches erhöhte sich die Anzahl der Wahlberechtigten von 16.304 (1912) auf 42.342 (1920). Der größte Teil der Frauen dürfte für die Zentrumspartei gestimmt haben, was neben der traditionellen politischen Hausmacht der Zentrumspartei in Hohenzollern nicht zuletzt auch auf deren politische Werbung zurückzuführen sein dürfte.
Quelle
Einblicke in den Wahlkampf, insbesondere den um die Stimmen der Wählerinnen, liefern drei Artikel, die am 12. Januar 1919, also knapp eine Woche vor den Wahlen für die Nationalversammlung, in der zentrumsnahen Lauchert Zeitung, dem Amtsblatt für den Oberamtsbezirk Gammertingen, abgedruckt wurden.
Der Artikel „Der Wahlvorschlag der württembergischen und hohenzollerischen Zentrumspartei für die Wahl zur Nationalversammlung“ informierte zunächst einmal über die neue Sachlage in der Wahlordnung sowie die anstehenden bzw. zu verteidigenden Kräfteverhältnisse im Reichstag. So bildeten Württemberg und Hohenzollern fortan einen Wahlbezirk, der von den 37 Wahlkreisen, in die das Deutsche Reich eingeteilt worden war, mit einer Bevölkerungszahl von 2,5 Millionen – darunter 1,5 Millionen Wahlberechtigte – den größten bildete. Hohenzollern und Württemberg vermochten insgesamt 17 Abgeordnete in die Nationalversammlung zu entsenden. Unter diesen 17 zur Wahl stehenden Kandidaten befand sich auch Klara Schweizer, eine Fabrikantengattin aus Schramberg.
Hinsichtlich der Werbung weiblicher Wähler versuchten gleich zwei Artikel, Frauen zum Votum für das Zentrum aufzurufen. So versuchte der Artikel „Was müssen die Frauen wissen von der Nationalversammlung?“, stilistisch wie pädagogisch noch etwas unbeholfen und traditionellen Rollenmustern verhaftet, Frauen auf die problematische Weltlage hinzuweisen. Damit einher zeigte er weiblichen Wähler die Notwendigkeit auf, den christlichen Gedanken und damit die Zentrumspartei als ihren politischen Arm zu stärken: „Beachten wir zunächst die außenpolitische, wirtschaftliche und soziale Seite des (Zentrums-)Programms. Auch bei diesen der Frauenwelt oft fernliegenden Dingen spüren (sic!) bald tausendfältige Fraueninteressen heraus. Das Zentrum als christliche Volkspartei erstrebt Weltfrieden, Völkerversöhnung unter Mitwirkung des Papstes (…) Vor allem Mitwirkung bei Regelung aller öffentlichen Fragen, die Familienglück, Kinderwelt, Kranke, Arme und Verlassene betreffen.“ Daher rief der Artikel zur „Mitwirkung der Frauenhände in christlichem Geiste“ auf, was mit einer Stimmabgabe für die Zentrumspartei einhergehen sollte.
Diesem Zweck, der Wahl der Zentrumspartei, widmete sich in direktem Anschluss ein weiterer Artikel mit der suggestiven Leitfrage „Warum bekennt sich die christliche Frau auch am Wahltag als christlich?“. Dieser Artikel diente neben der Werbung von Frauen für die Zentrumspartei insbesondere der Profilierung gegen die SPD, die dem Zentrum im primär landwirtschaftlich geprägten Sigmaringen zwar nie ernsthafte Konkurrenz machen konnte, aber unter der Arbeiterschaft Hechingens und Bisingens Achtungserfolge errungen hatte. Der Artikel versuchte, der SPD vor allem über das christliche Gedankengut Frauenstimmen abzuwerben, nicht zuletzt weil die Einführung des Frauenwahlrechts wesentlich dem politischen Wirken der Sozialdemokraten zu verdanken gewesen war. So behaupteten die anderen Parteien, sie würden „nicht gegen das Christentum“ arbeiten. Die Zentrumspartei aber verwirkliche den christlichen Gedanken, was „der Frauenwelt aus der Seele“ spräche". Die „christliche Frauenwelt“ wüsste, „welche unersetzliche Kulturkraft Religion im allgemeinen und das Christentum insbesondere darstellt. Im Rekurs auf die fehlende Religiosität und dadurch fehlender Werte der sozialdemokratischen Bewegung“, behauptete der Artikel, allein die Zentrumspartei böte einen Ausweg sowie „die Hand zu ehrlicher Zusammenarbeit für Frauenwürde, Kindesglück, Familienwohl und Volkserneuerung.“
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung holte die Zentrumspartei reichsweit 19,7 % und wurde nach der SPD mit 37,9 % zweitstärkste Kraft. Auf Hohenzollern dürften schätzungsweise 70 % der Stimmen entfallen sein, nimmt man die 72 % Stimmenanteil als Grundlage, die nur ein Jahr später bei den Reichstagswahlen 1920 auf das Zentrum in Hohenzollern entfallen sollten. Zwei Vergleichsstädte wie Bisingen und Gammertingen zeigen dabei wie hoch, aber auch wie schwankend der Stimmanteil für das Zentrum entfallen konnte: so stimmten in Gammertingen beispielsweise 81 % für das Zentrum; in Bisingen waren es hingegen nur 51 %. Dennoch stellte dies einen beträchtlichen, an die Vorkriegszeit anschließenden Erfolg dar, der nicht zuletzt auf das Frauenvotum zurückzuführen sein dürfte.
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