Friedensschluss - Die Haltung der württembergischen Staatsregierung zum Versailler Vertrag
Florian Brückner, Universität Stuttgart
Kontext
Der am 28. Juni 1919 unterzeichnete Friedensvertrag von Versailles trat am 10. Januar 1920 in Kraft. Die Reparationsforderungen, die sich aus dem sogenannten Kriegsschuldparagrafen 231 ergaben, führten zu großer Empörung in der deutschen Bevölkerung, die das Reich als Verlierer eines Verteidigungskrieges sah. Politiker, die den Vertragsbestimmungen nachkamen, wurden von national gesinnten Kreisen als ‚Erfüllungspolitiker‘ gescholten. Dies führte in der Zeit der Weimarer Republik zur Entstehung eines Klimas, in dem das Attentat zum scheinbar probaten Mittel zur Ausschaltung politischer Gegner wurde. Traurigen Tiefpunkt dieser Entwicklung bildete die Ermordung des aus Württemberg stammenden Politikers Matthias Erzberger (1875-1921, Zentrum) in Bad Griesbach im Schwarzwald am 26. August 1921. Erzberger war als Mitunterzeichner des Waffenstillstands am 11. November 1918 sowie aufgrund seines Eintretens für die Annahme des Versailler Friedensvertrags nationalistischen Kreisen besonders verhasst. Seine Ermordung war Ausdruck der vor allem im rechtspolitischen Spektrum weitverbreiteten Auffassung, der Friedensvertrag sei ein ‚Schanddiktat‘, das Deutschland auf immer aus dem Konzert der europäischen Großmächte ausschließen werde. In diesem Kontext sah sich auch die provisorische Volksregierung aus MSPD und USPD unter der Leitung von Wilhelm Blos (1849-1927, MSPD) und Arthur Crispien (1875-1946, USPD) scharfen Angriffen ausgesetzt. Die provisorische Landesregierung unterstützte die Unterzeichnung des Versailler Vertrags, um zügig die wirtschaftliche soziale Not im Land zu beheben.
Bemühungen der Landesregierung zur Aufklärung über Bestimmungen des Versailler Vertrags
Die Landesregierung versuchte daher, breite Schichten über die Bestimmungen des Vertrags aufzuklären. Dabei musste sie einen ambivalenten wie pragmatischen Grenzgang wagen: Zum einen gehörte die Ablehnung des Versailler Vertrags zum parteiübergreifenden Grundkonsens der Weimarer Republik. Eine zu starke Relativierung der für den Großteil der deutschen Bevölkerung inakzeptablen Bestimmungen des Versailler Vertrags konnte jegliche Partei Wählerstimmen kosten. Zum anderen konnten sich gerade die Regierungsparteien nicht einfach auf ein fundamentaloppositionelles Ablehnen der Bestimmungen des Versailler Friedensvertrags versteifen, wenn sie nicht die Konsequenzen der Ententemächte zu spüren bekommen wollten, wodurch sie ebenfalls Wählerstimmen zu verlieren drohten. Diese ambivalente Haltung prägte auch das Verhalten der württembergischen Landesregierungen bis 1930.
So unterstützte die provisorische Volksregierung unter Wilhelm Blos eine zügige Unterzeichnung des Versailler Vertrags, indem sie 1918 entsprechende Bittschreiben an die hierfür zuständige Reichsregierung entsandte. Doch schon zwei Jahre nach Unterzeichnung des Vertrags unterstützte die DDP-geführte Landesregierung unter Johannes von Hieber (1862-1951, DDP) Schriften und Veranstaltungen, die den Vertrag negativ, tendenziös und als den Beginn eines weiteren Weltkrieges für Deutschland deuteten. So unterstützte die Landesregierung eine Wanderausstellung zur Thematik des Versailler Vertrags, die in Stuttgart Premiere feierte und anschließend in weiteren württembergischen Städten bis Ende Oktober 1921 zu sehen war. Die Ausstellung wurde von der württembergischen Vertretung der überaus nationalistischen und gegen Versailles auftretenden Liga zum Schutze deutscher Kultur veranstaltet. Mit organisiert wurde die Veranstaltung vom Stuttgarter Bürger-Rat, der sich aus den Stuttgarter Gemeinden konstituierte und im Verbund mit den Kommunen, der Stadtverwaltung und dem Gemeinderat städtische Öffentlichkeitsarbeit leistete. Die Regierung, so etwa das Ministerium für Kirchen- und Schulwesen, warb für die Veranstaltung bei Lehrern und in oberen Klassenstufen. Die Ausstellung, so das Ministerium, veranschauliche „in ebenso eindringlicher als sachlich und politisch einwandfreier Weise durch Wort und Bild, Karten und geographische Darstellungen und andere geeignete Mittel die vernichtenden wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Wirkungen der wichtigsten Vertragsbestimmungen." Die Regierung spielte damit der rechtsradikalen Agitation gegen den Vertrag in die Hände. Staatspräsident Johannes von Hieber nahm – zwar „nichtoffiziell“ – an der Eröffnung der Ausstellung teil. Minister des Staatsministeriums erhielten kostenlose Dauereintrittskarten.
Die Inhalte der Wanderausstellung beruhten dabei wesentlich auf der Publikation des Stuttgarter Studienrats Albert Ströhle „Der Vertrag von Versailles und seine Auswirkungen für unser deutsches Vaterland" von 1921, die durch zahlreiche Neuauflagen weite Verbreitung in Württemberg fand. Im Staatsministerium wurden davon 150 Freiexemplare verteilt, in den höheren Schulen Württembergs war die Veröffentlichung Pflichtlektüre. Wie einseitig die Schrift gegen den Friedensvertrag argumentierte, zeigen parlamentarische Anfragen an das württembergische Ministerium für Kirchen- und Schulwesen. Sie baten um Auskunft, ob der Versailler Vertrag tatsächlich so tendenziös im Unterricht behandelt werden müsse, wie Ströhles Schrift es vorgäbe. Staatspräsident Hieber antwortete hierauf, dass die Schrift Ströhles maßgeblich für die Interpretation des Versailler Vertrags sei. Außerdem seien diesbezüglich bisher keine anderweitigen Kritiken aufgetreten. Auch die Regierungen anderer Länder bewarben Ströhles Schrift und ihre Verbreitung bis 1930.
GND-Verknüpfung: Versailler Vertrag [4063141-2]