Walldorf

In den 1860er Jahren erwarb die jüdische Gemeinde die bisherige reformierte Kirche in Walldorf und richtete dort eine Synagoge ein. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Inneneinrichtung demoliert. Nach teilweisen Leerstand ging das Gebäude Anfang der 1950er Jahre in den Besitz der Neuapostolischen Kirche über, die das Gotteshaus 1954 einweihte. [Quelle: Wikimedia CC 0, Aufnahme von 2011]
In den 1860er Jahren erwarb die jüdische Gemeinde die bisherige reformierte Kirche in Walldorf und richtete dort eine Synagoge ein. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Inneneinrichtung demoliert. Nach teilweisen Leerstand ging das Gebäude Anfang der 1950er Jahre in den Besitz der Neuapostolischen Kirche über, die das Gotteshaus 1954 einweihte. [Quelle: Wikimedia CC 0, Aufnahme von 2011]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Walldorf stand bis 1803 unter pfälzischer Herrschaft und fiel dann an Baden. 1901 wurde der Ort zur Stadt erhoben.

1722 waren in Walldorf die Juden Moses und Isak mit ihren Familien ansässig; 1743 wohnten schon sieben jüdische Familien hier. Salomon Moses war 1746 Untergeldeinnehmer der Landjudenschaft. 1825 zählte Walldorf 128 jüdische Einwohner, 1834 151, 1852 169, 1855 161, 1865 153, 1875 138, 1885 160, 1900 138, 1925 67 und 1933 53. Im Ersten Weltkrieg starben die Juden Hermann Klein, Bernhard Prager und Siegfried Walter aus Walldorf den Soldatentod.

1827 wurde die jüdische Gemeinde dem Rabbinatsbezirk Heidelberg zugeteilt. Um 1830 wurde eine jüdische Volksschule eingerichtet, in der bis zur Aufhebung der Konfessionsschulen im Jahre 1876 die jüdischen Kinder Unterricht erhielten. Der jüdische Gottesdienst fand zunächst in einem Bethaus statt. 1860 wurde die 1793 erbaute reformierte Pfarrkirche für 2.500 Gulden den Israeliten als Synagoge abgetreten. Der jüdische Friedhof, der an den christlichen angrenzt, dürfte aus dem 18. Jahrhundert stammen. 1798 stiftete Bär Odenheimer 3.000 Gulden zur Ausstattung armer Bräute. In seinem Testament vermachte er den Armen aller Konfessionen größere Geldsummen und traf Verfügungen über die Feier seines Totengedächtnisses. Der Wohlfahrtspflege dienten in der jüdischen Gemeinde ein Männer- und ein Frauenverein.

In den Tagen der Märzrevolution 1848 kam es in Walldorf zu Ausschreitungen gegen die jüdischen Bürger. Ende November 1849 wurde den Juden, die Bürgergabholz erhielten, unter Hep-Hep-Rufen die Fenster eingeschlagen. Seit der Emanzipation der Juden im Jahre 1862 gestaltete sich das Zusammenleben der jüdischen und christlichen Bürger friedlicher. Bis 1933 war ein Jude Mitglied des Bürgerausschusses. Örtliche Sport- und Gesangvereine zählten Juden in ihren Reihen.

Vom 18. Jahrhundert bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts spielten die Juden eine bedeutende Rolle im Wirtschaftsleben von Walldorf, da in dieser Zeit der gesamte Vieh-, Hopfen-, Tabak- und Landesproduktenhandel des Ortes von ihnen betrieben wurde. Die früheren Inhaber der Zigarrenfabriken in Walldorf waren fast ausschließlich Juden. Gegen Ende der Weimarer Republik bestanden an jüdischen Unternehmen die Zigarren- und Stumpenfabrik Menger & Co. mit 64 Arbeitern und Angestellten, 3 Tabakhandlungen, 2 Kolonialwarenhandlungen, 1 Darm- und Gewürzgroßhandlung, 1 Schuhgeschäft und 1 Manufakturwarengeschäft. An der Rohtabakgroßhandlung J. L. Scherer & Sohn war Moritz Maier beteiligt. Einige Juden waren als Vertreter oder Händler tätig.

Durch den von der nationalsozialistischen Regierung erzwungenen Boykott der jüdischen Geschäfte gingen zwei von ihnen zwischen 1933 und 1937 ein, die übrigen konnten sich in beschränktem Umfang bis 1938 halten. An den Ausschreitungen der Kristallnacht im November 1938 waren in Walldorf ungefähr 50 Personen beteiligt. Sie demolierten die Inneneinrichtung der Synagoge. Im Haus Kramer in der Hochholzerstraße schlugen einige Männer Fensterläden, Türen und die Einrichtung kurz und klein, warfen die Trümmer auf die Straße und verbrannten sie. Einer der Täter wollte das ganze Haus in Brand stecken. Er ließ von seinem Vorhaben erst ab, als Fräulein Kramer vor ihm auf der Straße niederkniete und ihn anflehte, es doch nicht gar zu arg zu treiben. Anschließend wurde das Haus des Moritz Maier in der Hauptstraße sowie das Haus der Rosa Heß auf ähnliche Weise demoliert. Am folgenden Tage wurden fünf Judenhäuser zur Kennzeichnung mit Kalkbrühe bespritzt. Die jüdischen Männer wurden verhaftet und für einige Wochen in das KZ Dachau eingeliefert. In Walldorf starben nach 1933 noch 10 Juden, etliche zogen um, und 16 wanderten nach Uruguay, nach den USA und anderen Ländern aus. Die in Walldorf Zurückgebliebenen führten, in einige Häuser zusammengepfercht und von der übrigen Bevölkerung isoliert, ein armseliges Leben, bis am 22. Oktober 1940 die letzten 19 Juden in noch größeres Elend nach Gurs deportiert wurden. Mindestens die Hälfte von ihnen wurde seit Sommer 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz weitertransportiert und dort ermordet. Die übrigen sind verschollen. Von denen, die nach 1933 umgezogen waren, kamen in den Jahren der Verfolgung drei, von den Ausgewanderten einer ums Leben, weil das Schiff, das ihn in die Freiheit bringen sollte, nicht in Kuba landen durfte und ihn nach Holland in die Hände der Gestapo zurückbrachte. Eduard Salomon befand sich seit 1937 in Haft. Er starb am 24. April 1941 im KZ Buchenwald an den Folgen von Misshandlungen und Entbehrungen. Versagen des Herzens bei Magen- und Darmkatarrh wurde als Todesursache angegeben.

Die ehemalige Synagoge dient heute der Neuapostolischen Gemeinde als Gottesdienstraum. Der jüdische Friedhof wird von der städtischen Friedhofsverwaltung gepflegt.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Stocker, Carl Wilhelm Friedrich Ludwig, Chronik von Walldorf, 1888. 
  • Heß, Mathias, Unser Walldorf, Heimatbuch der Stadt Walldorf, 1950.
 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Walldorf, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Herrmann, Dieter, Geschichte und Schicksal der Walldorfer Juden, 1985.
  • Nachweise der einzelnen Familien in Klaus Ronellenfitsch: Walldorfer Familienbuch 1650-1900. (Badische Ortssippenbücher Band 68, Walldorf 1993/ Band 84 der Reihe B der Deutschen Ortssippenbücher der Zentralstelle für Personen- und Zeitgeschichte), Frankfurt/Main,hg. von Vereinigung Walldorfer Heimatfreunde e. V., 1965.
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