Altdorf

Die Synagoge in Altdorf, vor 1938. Die Inneneinrichtung der Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 beschädigt, heute Kulturzentrum. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 22]
Die Synagoge in Altdorf, vor 1938. Die Inneneinrichtung der Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 beschädigt, heute Kulturzentrum "Kunsthalle Altdorf". [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 22]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Zwischen 1783 und 1787 kauften die Freiherren von Türkheim von den Herren von Gail und von Auffenberg die ursprünglich als baden-badische, nassauische und straßburgische Lehen den Herren von Endigen überlassenen Teile von Altdorf. Das zum Ritterkanton Ortenau gehörige Dorf wurde 1806 badisch.

Während und nach dem Dreißigjährigen Krieg siedelten sich in Altdorf Juden an. Als 1716 die Juden aus Ettenheim vertrieben wurden , kamen einige vorübergehend hierher, wo sie dem Zugriff des Straßburger Bischofs entzogen waren. Die Altdorfer Juden lebten in der Hauptsache vom Viehhandel. Offenbar bestand für sie kein Schächtverbot, und sie versorgten deshalb die ganze Umgebung mit Fleisch. 1771 musste die Stadt Ettenheim verbieten, bei ihnen Fleisch zu kaufen, wie es bis dahin besonders am Sonntagmorgen geschehen war. Selbst die zünftigen Metzger wurden beschuldigt, über Nacht ganze Viertel geschächteten Fleisches nach Ettenheim hereingebracht und weiterverkauft zu haben. 1785 erhielten die Juden von Orschweier vom Freiherrn von Brandenstein die Erlaubnis, in Altdorf ihren Fleischbedarf zu decken.

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die jüdische Gemeinde zur zweitgrößten im Kreis Lahr. 1809 wohnten 52 Judenfamilien im Ort; 1825 waren 244 Juden (20,2 % von 1.205 Einwohnern), 1875 243 (21,4 % von 1.135), 1887 236, 1895 205, 1900 177 (15,7 % von 1.125), 1925 68 (6,1 % von 1.032) und 1933 nur noch 51 Juden in Altdorf ansässig.

1827 wurde die Gemeinde dem Rabbinatsbezirk Schmieheim zugeteilt, dessen Sitz 1893 nach Offenburg verlegt wurde. Die Synagoge wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts, wahrscheinlich an Stelle einer älteren, die zu klein geworden war, erbaut. Die Toten fanden auf dem Verbandsfriedhof in Schmieheim die letzte Ruhe. Eine jüdische Volksschule bestand bereits 1835. Das rituelle Frauenbad wurde seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts von den Ettenheimer Jüdinnen mitbenützt.

1933 gab es in Altdorf eine koschere Metzgerei und eine Mazzoth-Bäckerei. Andere Juden betrieben Vieh-, Textil-, Branntwein- und Tabakhandel sowie ein Antiquitätengeschäft. Bis 1929 bestand auch eine rituelle Gastwirtschaft.

Das Verhältnis zwischen Juden und Christen war seit der Machtübernahme durch Hitler nicht immer frei von Spannungen. Ein 60jähriger jüdischer Reisender wurde 1936 wegen Rassenschande zu 18 Monaten Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf 3 Jahre verurteilt. Nach der Strafverbüßung kam er 1938 in das Konzentrationslager Dachau, wo er im Juli 1941 starb. 1938 befanden sich nur noch wenige Familien in Altdorf. 16 Personen war die Auswanderung geglückt, fast 30 waren in andere Städte verzogen, 6 in ihrer Heimatstadt verstorben. In der Kristallnacht 1938 wurden die Inneneinrichtung der Synagoge und jüdische Wohnungen demoliert. Die Männer kamen vorübergehend nach Dachau.

Am 22. Oktober 1940 wurden 13 Juden aus Altdorf nach Gurs deportiert. Dort starb 1941 Emil Rothschild; Ida Blum starb 1942 im Lager Noe. Emma Groß, das Ehepaar Levi, Simon Scheibe, Hilde und Klara Wertheimer wurden im August 1942 von Gurs nach Auschwitz verschickt und sind wahrscheinlich dort umgekommen. 4 Altdorfer Jüdinnen erlebten das Kriegsende in Frankreich.

Das Synagogengebäude wurde von der Gemeinde Altdorf erworben. Es dient heute nach gründlicher Instandsetzung als Betriebsgebäude einer chemischen Fabrik, und nichts erinnert mehr an den ursprünglichen Zweck.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Kürzel, Albert, Die Stadt Ettenheim und ihre Umgebung, 1883.

Ergänzung 2023:

Nach zwischenzeitlicher Nutzung als Fabrikgebäude nach 1945 wurde die ehemalige Synagoge 1998 zur "Kunsthalle Altdorf".

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Altdorf, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Köbele, Albert/Scheer, Hans, Ortssippenbuch Altdorf (Bad. Ortssippenbücher 37), 1976.
  • Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim, Altdorf, Kippenheim, Schmieheim, Rust, Orschweier. Ein Gedenkbuch, hg. vom Historischen Verein für Mittelbaden e.V. - Mitgliedergruppe Ettenheim, 1988.
  • Twiehaus, Christiane, Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien, (Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg), Heidelberg 2012, S. 70-72.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 242-243.
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