Gemmingen mit Stebbach

Ansicht des ritterschaftlichen Orts Gemmingen mit Hinweis auf die Judengasse - do ist der Jud gasse - ohne Datum. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK J-B Gemmingen 3]
Ansicht des ritterschaftlichen Orts Gemmingen mit Hinweis auf die Judengasse - do ist der Jud gasse - ohne Datum. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK J-B Gemmingen 3]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Gemmingen gehörte zu 5/8 der zum schwäbischen Ritterkanton Kraichgau zählenden freiherrlichen Familie von Gemmingen, nach der das Dorf benannt ist, und zu 3/8 der gräflichen Familie von Neipperg. 1806 fiel Gemmingen an Baden.

Die Gemminger Juden dürften zum Teil Untertanen der Freiherrn, zum Teil der Grafen gewesen und erst nach dem Dreißigjährigen Krieg aufgenommen worden sein. Seit dem 18. Jahrhundert ist ihre Anwesenheit in Gemmingen nachgewiesen. 1740 wird unter den Juden, die in Karlsruhe ein Haus gebaut haben, auch ein Jude aus Gemmingen genannt. Im 19. Jahrhundert vermehrte sich die jüdische Gemeinde stark. Sie baute sich eine eigene Synagoge anstatt des bisherigen Betsaales und ein Schulhaus. Die Toten wurden von Anfang an auf dem jüdischen Friedhof in Eppingen bestattet. Seit 1827 war die Gemeinde dem Rabbinatsbezirk Bretten angeschlossen.

Im 20. Jahrhundert schmolz sie durch Abwanderung in die Städte auf ein Viertel zusammen. 1809 lebten 16 jüdische Familien in Gemmingen. 1825 betrug die Zahl der Juden 122, 1875 190 (15,7 Prozent von 1208 Einwohnern), 1887 203, 1900 157, 1925 57 und 1933 47. Das Verhältnis zwischen christlichen und jüdischen Einwohnern war gut. Juden gehörten der Feuerwehr an, waren Mitglieder des Gesangvereins und anderer örtlicher Vereine. Fünf Juden starben im Ersten Weltkrieg für ihr deutsches Vaterland: Hugo Herz-Herzog, Max und Moritz Oppenheimer, Max Ottenheimer und Max Wertheimer.

Die Erwerbstätigkeit der Juden bestand im Handel mit Vieh, Getreide und Textilien. 1933 waren in den beiden Viehhandelsgeschäften David und Josef Kahn und Kahn & Manasse vier Viehhändler beschäftigt. Ludwig Herz und Max Oppenheimer betrieben zusammen ein Textilgeschäft mit Hausierhandel. Samuel Ottenheimer war Inhaber eines Lebensmittelgeschäfts mit Mehl- und Getreidehandlung. Mina Kaufmann studierte Zahnmedizin, wurde aber nicht mehr als Zahnärztin zugelassen. Sie promovierte 1937 in Basel und wanderte nach den USA aus. Max Oppenheimer war Medizinalpraktikant in Berlin. Vor seiner Auswanderung nach den USA war er 1936/37 kurze Zeit als Arzt in Gemmingen tätig. Bis 1938 gingen die jüdischen Geschäfte verhältnismäßig gut. Dann mussten aber auch sie schließen. Ihre Inhaber wanderten nach Nord- und Südamerika aus oder verzogen nach Karlsruhe und anderen größeren Städten.

In der Kristallnacht im November 1938 wurde von auswärtigen SA-Leuten die Synagoge in der Schwaigerner Straße ausgeräumt, das Gebäude jedoch nicht angezündet, da sich in der davorstehenden ehemaligen jüdischen Volksschule Wohnungen befanden. Ende 1938 erwarb die bürgerliche Gemeinde das Synagogengrundstück. 1939 wohnten nur noch 7 ältere Juden in Gemmingen, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs in Südfrankreich deportiert wurden. Wahrscheinlich haben 3 von ihnen den Tod in den Gaskammern von Auschwitz gefunden. Die von Karlsruhe aus deportierte Hannchen Ottenheimer ruht auf dem Friedhof in Gurs.

Auch im benachbarten Stebbach waren seit Beginn des 18. Jahrhunderts Juden ansässig. 1825 betrug ihr Anteil an der Bevölkerung mit 75 Seelen 10,7 Prozent. Aber die jüdische Gemeinde, die 1827 dem Rabbinatsbezirk Bretten zugewiesen war, wurde durch Abwanderung immer kleiner. 1875 zählte sie noch 42, 1900 nur noch 10 Seelen. Am 20. Januar 1915 wurde sie aufgelöst, die restlichen Mitglieder der jüdischen Gemeinde Gemmingen als Filiale zugeteilt. Sechs jüdische Frauen erlebten Hitlers Machtergreifung. Drei von ihnen starben in ihrer Heimat. Josephine Ottenheimer, die einen kleinen Laden führte, ist in Gurs verschollen. Das gleiche Schicksal erlitt die bei der Deportation 73jährige von Geburt an blinde Jette Eisemann. Lisette Eisemann wurde aus dem Altersheim in Stuttgart erst nach Theresienstadt verschleppt, dann in den Tod nach Auschwitz.

Die 1826-29 erbaute Synagoge wurde schon vor der Jahrhundertwende nicht mehr für den israelitischen Gottesdienst benützt. Das von selbst zerfallene Gebäude brach der Erwerber des Grundstückes 1947/48 ab. Einen jüdischen Friedhof gab es in Stebbach nicht. Die Verstorbenen fanden ihre letzte Ruhe auf dem jüdischen Friedhof in Eppingen.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Gemmingen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Gemmingen

  • Angerbauer, Wolfram/Frank, Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, Heilbronn 1986, S. 73-80.
  • Der jüdische Friedhof in Eppingen. Eine Dokumentation (Rund um den Ottilienberg, Bd. 5), hg. von Ralf Bischoff/Reinhard Hauke, 1989.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Jung, Norbert, Von Kahn zu Kult. Unsere Nachbarin - Die Zigarre. Ein Beitrag zur Geschichte der Heilbronner Bahnhofsvorstadt, 2009.
  • Ortsmitte Gemmingen – unterm Strich betrachtet, 1972-1983 (Veröffentlichung zur Ortssanierung der Gemeinde Gemmingen).
  • Twiehaus, Christiane, Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien, (Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg), Heidelberg 2012, S. 35-36.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986.

Stebbach

  • Angerbauer, Wolfram/Frank, Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, Heilbronn 1986, S. 221-224.
  • Ehret, Wolfgang, Die jüdische Familie Kahn aus Stebbach - Fabrikanten, Revolutionäre, Bankiers, in: Kraichgau. Beiträge zur Landschafts- und Heimatforschung, Folge 17 (2002), S. 231-256.
  • Ehret, Wolfgang, Dorf Stebbach und Burg Streichenberg, hg. Gemeinde Gemmingen, 1997.
  • Ehret, Wolfgang, Stebbach - Eppingen im Land. Erinnerungen des Roger Eisinger an ein Dorf, das es so nicht mehr gibt (Rund um den Ottilienberg 9), 2010.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
Suche