Grötzingen

Bereich der Synagogengasse, heute Krumme Straße, auf der Badischen Gemarkungskarte (1882-1884). Die Synagoge und ihre Nebengebäude befanden sich an der kleinen Verbreiterung in der Mitte. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 schwer beschädigt und im folgenden Jahr abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 594]
Bereich der Synagogengasse, heute Krumme Straße, auf der Badischen Gemarkungskarte (1882-1884). Die Synagoge und ihre Nebengebäude befanden sich an der kleinen Verbreiterung in der Mitte. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 schwer beschädigt und im folgenden Jahr abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 594]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Nach dem Aussterben der Staufer brachten die Markgrafen von Baden Grötzingen in ihre Hand. 1533 fiel es an die Durlacher Linie. Die Augustenburg war 1709-28 Witwensitz der Markgräfin Augusta Maria.

Im 16. Jahrhundert, viel später als in dem auf Grötzinger Markung erbauten Durlach, ließen sich vorübergehend Juden in Grötzingen nieder. Markgraf Georg Friedrichs (1604-22) testamentarische Verfügung, durch die den Juden die Ansiedlung in der Markgrafschaft für alle Zeiten verboten sein sollte, wurde nach dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr beachtet. 1677 nahm Friedrich Magnus (1677-1709) den ersten Juden in Grötzingen auf, der dort etwa 1689 starb. Seine Witwe heiratete einen gewissen Moses. Auch sein Sohn und seine Tochter verheirateten sich in Grötzingen und kauften Häuser, so dass 1699 drei Familien dort wohnten.

Nach der Zerstörung Durlachs im Kriege 1689 stellte Moses eine Dachkammer seines Hauses als Synagoge für die Juden Grötzingens und der umliegenden Orte zur Verfügung. Der lutherische Ortsgeistliche Pfarrer Bechtold verlangte ein Verbot des „Greueldienstes", weil sich aus der Schutzaufnahme nicht ohne weiteres ein Recht zur Abhaltung religiöser Zusammenkünfte ableiten ließe. Die Regierung schloss sich dieser Meinung des Pfarrers nicht an, sah sie doch lieber, dass der Gottesdienst außerhalb der Residenz Durlach abgehalten wurde. Zwischen den Grötzinger und den Durlacher Juden kam es im Laufe der nächsten Jahre häufig zu Streitigkeiten, die 1713 durch den Rabbiner Isaak Salomon Kahn aus Krakau geschlichtet wurden. Ergebnis der Verhandlungen war eine Zeremonienordnung, in der u. a. die Anstellung eines ständigen Vorsingers vorgesehen wurde, wie auch die Wahl von Almosenpflegern, die für die Unterbringung durchreisender Betteljuden zu sorgen hatten. Die Zahl der Juden nahm ständig zu. 1709 zählte man 5, 1741 6, 1770 12 und 1798 15 Familien. 1787 erwarben sie einen Hausplatz im Ort zum Bau einer Synagoge, die 1799 eingeweiht werden konnte. Sie stand an der später in Synagogenstraße umbenannten oberen Gasse. Vorher hatte man in gemieteten Räumen im Veitschen und im Bergsehen Haus Gottesdienst gefeiert, als die Dach­kammer nicht mehr ausreichte. Die Synagoge wurde 1814, 1841 und 1874 renoviert und vergrößert, 1899 nochmals umgebaut. Ursprünglich wurden die Grötzinger Juden wohl auf dem heute verschwundenen Durlacher jüdischen Friedhof beigesetzt, nach dem Dreißigjährigen Krieg auf dem Verbandsfriedhof in Obergrombach. Ein eigener Friedhof wurde um 1900 im Gewann Junge Hälden östlich der Weingartener Straße angelegt. Hier ruhen 13 von 1905-1935 gestorbene Juden.

Im 18. Jahrhundert lebten die Juden hauptsächlich vom Handel. 1798 erwarb das Handelshaus Seligmann die 1753 gegründete Krappfabrik: es verkaufte sie 1817 an den Freiherrn von Eichthal weiter, der darin eine Zuckerfabrik einrichtete. 1850 wurde sie von der badischen Gesellschaft für Zuckerfabriken in Waghäusel aufgekauft. Das Hofgut Augustenburg ohne das Schloss befand sich von 1809-27 im Besitz des Hoffaktors Elkan Reutlinger bzw. seiner Witwe.

1842 erwarben 7 Juden das Bürgerrecht in Grötzingen. Darüber kam es 1848 zu Krawallen, bei denen die jüdische Wirtschaft „Zum Kranz" in der Mittelgasse oberhalb des Rathauses abbrannte. Die Juden verloren das Bürgerrecht und erhielten es erst 1851 zurück.

Die jüdische Gemeinde wurde 1827 dem Rabbinatsbezirk Karlsruhe zugeteilt, bei dessen Auflösung 1885 dem Bezirk Bretten. 1895 wurden die wenigen Juden Durlachs als Filiale angegliedert. Grötzingen zählte 1825 99 Juden, 1844 die höchste Zahl mit 152, 1850 100, 1875 97, 1900 72, 1925 31 und 1933 nur noch 20. Zwei Söhne der Gemeinde fielen im Ersten Weltkrieg. Einem Männer- und einem Frauenverein war die Wohlfahrtspflege anvertraut.

1933 gab es in Grötzingen nur kleine jüdische Haushalts- und Manufakturwarengeschäfte sowie eine Viehhandlung. Bis zum Ersten Weltkrieg gab es eine Mazzenfabrik in der Bismarckstraße. Im heutigen Rathausnebengebäude bestand von 1842 bis 1938 das Tuch- und Ellenwarengeschäft von Veith und Sinauer. Leo Metzger besaß vor 1933 eine Tabakfabrik.

Eine der ersten Maßnahmen der Nationalsozialisten war die Umbenennung der Synagogenstraße in Krumme Straße. 1938 wurde die Synagoge ausgebrannt und im laufe des Krieges abgerissen. Von den Grötzinger Juden konnten 4 vor Beginn der Deportationen nach den USA auswandern, 2 starben in der Heimat.

12 wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Lina, Ludwig und Ruth Palm gelang von dort 1942 die Auswanderung nach den USA. Max Palm starb in Rivesaltes, Emil Weil in Gurs. Die anderen starben in Auschwitz oder sind verschollen. Wilhelmine Sinauer wurde von Karlsruhe nach Gurs deportiert. Auch sie gelangte 1942 nach Amerika.

Als der 1939 ausgewanderte Herbert Palm 1945 als amerikanischer Soldat in Grötzingen weilte, fand er den kleinen Friedhof als letzte Erinnerung an die jüdische Gemeinde, der er selbst früher angehört hatte.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Bader, Josef, Badenia 2, 1862. 
  • Dietrich, Heinrich, Grötzingen, Ein Beitrag zur Heimatgeschichte, 1923. 
  • Metzger, Sigmund, Festschrift zum l00jährigen Jubiläum der Erbauung der Synagoge in Grötzingen, 1899.
  • Mössinger, Wilhelm, Die erste industrielle Niederlassung in Grötzingen, in: Soweit der Turmberg grüßt 11, 1959.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Grötzingen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

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