Hainstadt

Familie Rosenbaum im Juli 1932 anlässlich des Festzugs zum 50. Stiftungsjubiläum des Männergesangvereins. Die Familie betrieb eine Manufakturwarenhandlung in Hainstadt und emigrierte 1939 in die USA. [Quelle: Bezirksmuseum Buchen, Bildarchiv Karl Weiß]
Familie Rosenbaum im Juli 1932 anlässlich des Festzugs zum 50. Stiftungsjubiläum des Männergesangvereins. Die Familie betrieb eine Manufakturwarenhandlung in Hainstadt und emigrierte 1939 in die USA. [Quelle: Bezirksmuseum Buchen, Bildarchiv Karl Weiß]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das dem Ritterkanton Odenwald inkorporierte Dorf Hainstadt war seit Ende des 15. Jahrhunderts zum Teil als mainzisches, zum Teil als würzburgisches Lehen im Besitz verschiedener Familien. Die Echter von Mespelbrunn konnten bis 1614 die Anteile der Herren von Wichsenstein und von Berlichingen erwerben. Durch die Echter fiel dieser Teil 1665 an Würzburg, das 1684 auch den Anteil des Klosters Seligental und durch Vertrag mit Mainz die Lehenshoheit über den gesamten Ort an sich brachte. Der würzburgische Teil kam 1803 an das Fürstentum Leiningen und 1806 zusammen mit dem Teil der Familie Rüdt von Collenberg-Eberstadt an Baden.

Um 1600 konnten die damals in Hainstadt wohnenden 10 bis 12 Judenfamilien bereits eine Synagoge erbauen. Es ist nicht bekannt, in welchem Teil des Ortes die Juden zu dieser Zeit Schutzrecht genossen. 1649 wurden einige aus dem benachbarten Buchen ausgewiesene Juden im echterischen Teil von Hainstadt aufgenommen. 1650 wird berichtet, dass die Juden von alters her „auf dem Kellergarten" gewohnt haben. In der Nähe der im echterischen Teil gelegenen Kellerei gab es nämlich früher eine Judengasse. Ein von den Würzburger Bischöfen in Hainstadt eingeführter Judenzoll scheint trotz Gegenvorstellungen der kurmainzischen Regierung von 1676 und 1681 erhoben worden zu sein. Im 18. Jahrhundert führte der Judenschutz wiederholt zu Streitigkeiten zwischen Würzburg und den Herren von Rüdt, als das Hochstift das Schutzgeld von 6 auf 10 Gulden erhöhte und im Dorfteil der Freiherren nicht nur zahlreiche fremde, sondern auch viele aus dem würzburgischen Teil übergetretene Juden Schutz erhielten. So besaß das Hochstift 1701 6 und 1747 10 Schutzjuden, während die von Rüdt 1747 bereits 8 in ihrem weit kleineren Teil aufgenommen hatten. 1776 wird die Gesamtzahl der Hainstadter Schutzjuden mit 19 angegeben. Wiederholten Beschwerden und Drohungen der würzburgischen Regierung begegneten die Herren von Rüdt mit dem Hinweis auf einen Rezess von 1672, wonach ihnen der hergebrachte Judenschutz nicht geschmälert werden dürfe.

1803 zählte man in Hainstadt 28 jüdische Familien, 1825 160 Seelen, 1842 249. Danach sank die Zahl der Juden ständig: 1869 161, 1875 143, 1900 93 und 1925 39. Die Hainstadter Juden betrieben Handel, zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor allem mit den Erzeugnissen der damals blühenden Hainstadter Leinenweberei; auch gab es jüdische Krämereien.

1828 wurde eine zweite jüdische Wirtschaft unter der Bestimmung eingerichtet, dass nach Eingehen eines der beiden Betriebe eine Wiedererrichtung nicht erfolgen dürfe. Für die Unterkunft der wandernden Betteljuden wurden in einer der beiden Wirtschaften einige Zimmer bereitgehalten. Bis 1869 bestand in Hainstadt eine israelitische Volksschule, von da ab nur noch eine Religionsschule.

Wegen des starken Anwachsens der jüdischen Gemeinde zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das um 1600 errichtete Synagogengebäude, das zudem von zwei Familien bewohnt war und eine Häutehandlung beherbergte, für gottesdienstliche Zwecke zu klein geworden. Deshalb errichtete man eine neue Synagoge an der Buchener Straße, die 1819 vollendet war. Das rituelle Bad blieb zunächst im Keller der alten Synagoge. Um 1840 wurde es in das Haus des Abraham Kaufmann verlegt und 1913 der Zeit entsprechend umgestaltet. Seit 1827 gehörte die Gemeinde zum Rabbinatsbezirk Merchingen. Sie bestattete ihre Toten auf dem Verbandsfriedhof in Bödigheim.

1848 wurde in Hainstadt Dr. Joseph Eschelbacher geboren, der Gründer und langjährige Vorsitzende des „Landesvereins zur Erziehung israelitischer Waisen im Großherzogtum Baden". Er verfasste mehrere Werke, die das Verhältnis des Judentums zu den christlichen Konfessionen behandelten. Seit 1877 wirkte er als Bezirksrabbiner in Bruchsal, seit 1900 als Rabbiner in Berlin. Er bemühte sich vor allem um die Versöhnung des überlieferten Judentums mit den Ansprüchen der Gegenwart auf dem Boden der Wissenschaft.

Nach der Volkszählung von 1933 bekannten sich in Hainstadt 38 Einwohner zur jüdischen Konfession. In ihrer Hand befanden sich ein Manufakturwarengeschäft und einige Viehhandlungen. In der Kristallnacht wurden die Scheiben der Synagoge von auswärtigen SA-Leuten eingeschlagen, die Inneneinrichtung und die Vortüren demoliert. Am Gebäude selbst wurde kein Schaden angerichtet.

Durch den Krieg gingen der Gemeinde Hainstadt sämtliche Unterlagen über die Juden verloren. So lassen sich nicht einmal alle 1933 anwesenden jüdischen Mitbürger erfassen. 7 von ihnen sollen in der Heimat verstorben sein. 20 Hainstadter Juden gelangten bis 1940 in die USA; 6 wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Dort starb die 77jährige Karoline Kaufmann an den Entbehrungen und Strapazen. Emma Neuberger konnte von Gurs aus nach den USA auswandern, 2 Juden starben in Auschwitz, 2 sind verschollen. Berta und Lazarus Kaufmann wurden von der Gestapo 1943 in Holland verhaftet, ins KZ Westerbork und von dort in die Gaskammern von Auschwitz verschleppt. Loni Hofmann konnte Palästina erreichen. Das Schicksal der übrigen Juden aus Hainstadt wird sich kaum jemals klären lassen.

Die geschändete Synagoge wurde später abgerissen, an ihrer Stelle ein Wohnhaus errichtet.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Knapp, Anton, Aus Hainstadts jüngster Vergangenheit, in: Hainstadter Heimatblätter, 1953.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Hainstadt, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Götzelmann, Ambrosius, Das geschichtliche Leben eines ostfränkischen Dorfes. Hainstadt im Bauland 725-1925, Würzburg 1925.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Weiss, Elmar, Der Gerechte lebt durch seine Treue (Veröffentlichungen des Vereins zur Erforschung jüdischer Geschichte im tauberfränkischen Raum), Bd. 3, 1996.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 320-321.
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