Jöhlingen

Bereich um den Standort der Synagoge, heute Friedrichstraße 4, auf der Badischen Gemarkungskarte (1884-1886). Die Friedrichstraße hieß bis 1933 Synagogenstraße. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 beschädigt und in den 1950er Jahren abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 878]
Bereich um den Standort der Synagoge, heute Friedrichstraße 4, auf der Badischen Gemarkungskarte (1884-1886). Die Friedrichstraße hieß bis 1933 Synagogenstraße. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 beschädigt und in den 1950er Jahren abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 878]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das Dorf Jöhlingen gehörte zur Ausstattung des Speyerer Domkapitels. Bei der Säkularisation des Hochstifts Speyer 1803 fiel es an Baden.

Im 18. Jahrhundert hatte das Domkapitel Juden nach Jöhlingen aufgenommen, die sich vorwiegend mit Viehhandel befassten. Seit ihrer Gründung zog die nahegelegene Residenzstadt Karlsruhe mit ihren Privilegien und besseren Verdienstmöglichkeiten auch die Juden an. 1740 findet sich ein Jude aus Jöhlingen unter den Karlsruher Juden. In Jöhlingen bildete sich im 19. Jahrhundert eine größere Judengemeinde. 1825 zählte sie 85, 1875 99, 1900 66, 1925 18 und 1933 15 Seelen. 1935 wurde noch ein Kind geboren. Im 19. Jahrhundert erbauten die Juden eine Synagoge, eine Volksschule und ein rituelles Bad. Ein Friedhof wurde 1888 angelegt. Vorher begrub man die Toten wahrscheinlich in Obergrombach. Seit 1827 gehörte Jöhlingen zum Rabbinatsbezirk Bretten.

In den Tagen der Märzrevolution von 1848 verübten hauptsächlich junge Burschen allerlei Unfug, bedrohten die Juden und schlugen einigen die Fenster ein. Die verängstigten jüdischen Einwohner glaubten durch Verzicht auf Bürgerrecht und Bürgernutzen den Zorn von sich ablenken zu können. Am 13. März erschienen Moses Kahn, Veis Moses Kahn, Kusel Wagner und die Witwe von Liebmann Simon auf dem Bürgermeisteramt und gaben eine von 18 Juden unterschriebene Verzichterklärung auf allen und jeden Bürgernutzen für sich und ihre Nachkommen ab. Ferner erklärten sie und ihre volljährigen Söhne, nie von der Gemeinde Jöhlingen das definitive Bürgerrecht oder irgendeinen Bürgernutzen verlangen zu wollen. Da diese erste Abtretungsurkunde verlorengegangen war, wurde am 24. März 1848 eine neue mit ähnlichem Wortlaut verfasst und von 19 Mitgliedern der jüdischen Gemeinde unterschrieben. Nach dem Ende der 48er Unruhen erreichten die Juden aber, dass das Oberamt trotz des Protests der politischen Gemeinde diese unter äußerem Zwang zustande gekommene Verzichturkunde für ungültig erklärte.

Zu Beginn des Dritten Reiches gab es nur noch zwei jüdische Ladengeschäfte - eine Gemischtwarenhandlung und ein Aussteuergeschäft - sowie zwei jüdische Viehhändler, die Haus- und etwas landwirtschaftlichen Grundbesitz hatten. Einer von ihnen, Seligmann Klein, schlachtete wöchentlich ein Stück Vieh und verkaufte das Fleisch. Besonders die minderbemittelte Bevölkerung kaufte gern bei ihm, da er billig verkaufte und nicht so kleinlich abwog. 1935 wurde den Viehhändlern die Handelserlaubnis entzogen. Die beiden Ladengeschäfte konnten sich noch bis 1938 behaupten, da außer den wenigen Juden auch die übrige Bevölkerung trotz Verbot zum Teil dort in den Abendstunden Einkäufe tätigte. In der Kristallnacht am 9./10. November 1938 wurden sie gleich der Synagoge von einem von auswärts kommenden Rollkommando demoliert. Die Synagoge wurde später vollständig abgerissen und das Grundstück verkauft. Der jüdische Friedhof wurde während des Dritten Reiches ebenfalls geschändet.

Von den zuletzt ortsansässigen 16 Juden sind zwischen 1933 und 1940 3 in Jöhlingen gestorben, 5 nach den USA ausgewandert und 7 am 22. Oktober 1940 nach Gurs verschleppt worden. Von diesen Deportierten überlebten 3 die Verfolgungszeit in Südfrankreich. Berthold Herbst starb 1942 im Lager Gurs. Im gleichen Jahr wurde Gertrud Herbst in Auschwitz umgebracht. Ludwig und Nanette Metzger, damals schon 90- bzw. 84jährig, sind mit größter Wahrscheinlichkeit ebenfalls in einem Konzentrationslager in Südfrankreich oder im Osten umgekommen. Hannchen Fried wurde 1942 von Karlsruhe aus nach Theresienstadt verschleppt.

In Jöhlingen zeugt nur noch der außerhalb des Ortes an der Straße nach Bretten gelegene Friedhof von der ehemaligen Judengemeinde. In der Nachkriegszeit wurde er noch einmal von unbekannten Tätern geschändet.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Hillend, Paul, Die Revolution von 1848/49 und die Jöhlinger Juden (masch.).

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Jöhlingen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Protz, Jürgen, Die jüdische Gemeinde von Jöhlingen, unveröffentlichtes Manuskript o.J.
  • Stude, Jürgen, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1990.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 358-359.
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