Nonnenweier

Die Synagoge in Nonnenweier, vermutlich um 1927. Die Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1301]
Die Synagoge in Nonnenweier, vermutlich um 1927. Die Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1301]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

1663 gelangte Nonnenweier aus dem Besitz der Stadt Straßburg nacheinander an die zum Ritterkanton Ortenau gehörenden Familien von der Grün, von Ziegler (1681), von Löwen (1695), von Rathsamhausen (1698) und Ende des 18. Jahrhunderts durch Heirat an die Herren von Oberkirch und von Böcklin. 1806 fiel das Dorf an Baden.

Bis 1704 wurde Nonnenweier von den Kämpfen des spanischen Erbfolgekrieges in Mitleidenschaft gezogen. Bald danach wanderten Juden aus dem Elsass in das verwüstete Dorf, wo sie den Herren von Rathsamhausen sehr willkommen waren. Der erste Jude ließ sich etwa 1707 nieder. Nach dem Heimburgerregister von 1708 zahlte „der Jude" für zwei Jahre 6 Gulden Weidgeld. 1716 nennt das Register 3 und im Jahr darauf bereits 6 Juden, die Weidgeld zahlten. Bis 1789 war die Zahl der steuerpflichtigen Juden auf 23 angewachsen, bis 1809 auf 35 Familien mit über 100 Seelen. Sie trieben vorwiegend Viehhandel oder hausierten mit Kram-, Kurz- und Ellenwaren. 1747 erhielt Emanuel Frankh von Nonnenweier die Handelserlaubnis für die vorderösterreichischen Orte Kenzingen und Herbolzheim. 1781 erhielt Kallmann Meyer gegen jährlich 30 Gulden Leihzoll die Handelserlaubnis im badischen Stab Goldscheuer und Müllen. Der Handel war recht einträglich, so dass 1744 der Jude Jakob Wertheimer ein Haus und Löwl Meyer sogar zwei Häuser in Nonnenweier erwerben konnte.

Gleich vielen anderen israelitischen Landgemeinden erreichte auch die von Nonnenweier ihre größte Stärke im 19. Jahrhundert. 1825 wohnten 112, 1855 244, 1875 233 (17,2 Prozent von 1.354 Einwohnern), 1900 195, 1925 88 und 1933 65 Juden im Dorf.

1771 bestand bereits eine Synagoge inmitten des Ortsetters in der Schmidtenstraße. Von diesem Jahr datiert ein Inquisitionsprotokoll gegen zwei Diebe, die den Pastor bestohlen und die Synagoge beraubt hatten. 1806 wurde die „Schul", wie man die Synagoge nannte, renoviert. Für die Unkosten mussten von jedem abgeschlossenen Pferdehandel 12 und von jedem Rindviehhandel 6 Kreuzer abgegeben und außerdem eine Schächtabgabe entrichtet werden. Infolge des Anwachsens der Gemeinde fand 1865 ein größerer Umbau der Synagoge statt. Dabei wurden auch neue Fenster und eine neue heilige Lade eingebaut. Die Umbaukosten von rund 1.000 Gulden wurden durch die Versteigerung der Synagogenplätze aufgebracht. Damals bildeten die Synagogenplätze noch eine ansehnliche Einnahmequelle für die jüdische Gemeinde. Der Platzpreis betrug 100 bis 300 Mark jährlich. Nur die hintersten Plätze wurden billiger vermietet. Wie in anderen Orten kam es bei den Versteigerungen gelegentlich zu Rangstreitigkeiten, die nicht selten durch gerichtliche Vergleiche beigelegt werden mussten. Im 20. Jahrhundert hatten die Synagogenplätze infolge der geringen Zahl von Gemeindemitgliedern jeglichen Ertragswert verloren. Bis etwa 1820 mussten für die Benutzung der Synagoge und für das Aufstellen der „Schabbestore", die die am Sabbat erlaubte Gehentfernung anzeigten, Abgaben an die Grundherrschaft entrichtet werden.

Einen eigenen Rabbiner hat Nonnenweier nie gehabt. Seit 1827 gehörte die jüdische Gemeinde zum Rabbinatsbezirk Schmieheim, dessen Sitz 1893 nach Offenburg verlegt wurde. Ihre Toten wurden bis 1880 auf dem Verbandsfriedhof in Schmieheim beigesetzt. Am 16. Juni 1880 erwarb die Gemeinde im Gewann Rebgarten 45 Ar 90 qm Acker zum Preise von 875 Mark, auf dem sie einen eigenen Friedhof einrichtete. Er liegt weit außerhalb des Ortes auf der höchsten Erhebung der Gemarkung.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Verhältnis zwischen Juden und Christen in Nonnenweier nicht das beste. 1846 kam es wiederholt zu Ausschreitungen gegen die Juden. Manche christlichen Eltern duldeten den gemeinsamen Unterricht ihrer eigenen mit den jüdischen Kindern nicht, so dass diese gesondert unterrichtet werden mussten. Um den Reibereien ein Ende zu bereiten, erwarb die israelitische Gemeinde 1833 für 700 Gulden ein Wohnhaus mit Scheuer, Stallung und Garten in der Löwengasse. Nach dem Umbau eröffnete sie darin Anfang 1840 eine israelitische Volksschule, die bis 1876 bestand. Der erste und zugleich letzte Lehrer hieß Leopold Meyer. Um 1865 unterrichtete er etwa 45 jüdische Schüler. Das Schulgeld betrug pro Kind und Jahr 1 Gulden 12 Kreuzer. Außer dem Lehrergehalt von 375 Gulden, erhielt Meyer jährlich 40 Gulden für den Organistendienst, 28 für das Predigen, 15 für den Ratschreibereidienst und 24 Gulden für Segenssprüche. Im Gebäude der Schule war das Frauenbad untergebracht.

In neuerer Zeit gestalteten sich die Beziehungen zwischen den Angehörigen der verschiedenen Religionen gut. Ein Zeichen dafür war die Anwesenheit des Synagogenrats bei der Grundsteinlegung für die neue evangelische Kirche im Jahre 1906, zu deren Ausschmückung die Israeliten beisteuerten.

1856 gründeten Lehmann und David Frank einen Jünglingsverein, der einen engen Zusammenschluss junger Männer auf jüdisch-religiöser Grundlage bezweckte. Der Verein zählte ungefähr 20 Mitglieder und besaß einen Vermögensfonds von 300 Gulden. 1865 wurde der Krankenverein ins Leben gerufen. In ihm gingen sämtliche damals existierenden kleineren Vereine auf. 1875 wurde mit 15 Sängern der Synagogenchor gegründet, der um die Jahrhundertwende in einen gemischten Chor umgewandelt wurde. Wegen Mangel an Kräften - etwa 30 Juden aus dem Dorf haben im Ersten Weltkrieg an der Front gestanden - musste er 1914 bei Kriegsausbruch aufgelöst werden. 1927 wurde er anlässlich der Jubiläumsfeier unter der Leitung des Oberlehrers Schleicher neu gebildet.

Zwei Begebenheiten aus dem Leben der jüdischen Gemeinde Nonnenweier in jüngerer Zeit verdienen festgehalten zu werden. 1903 feierte sie, etwas voreilig, den 100. Geburtstag ihres Mitgliedes Moses Moch, der am 10. November 1805 geboren wurde. 1927 konnte die Gemeinde ihr 220jähriges Bestehen feiern. über den Vorbereitungen für die Feier kam es zum sogenannten Jubiläumsstreit. Die beschlussfähige Mehrheit des Synagogenrats hatte sich gegen die Feier ausgesprochen, während Synagogenrat Heinrich Moch und die übrigen Gemeindemitglieder in geschlossener Einheit die Jubiläumsidee gebilligt hatten. Dieser interne Zwist konnte erst nach Intervention des Oberrats der badischen Israeliten in Karlsruhe beigelegt werden. Am 28./29. Mai 1927 fand dann die Feier statt, bei der Bezirksrabbiner Dr. Zlocisti die Festrede hielt. Gleichzeitig gedachte die Gemeinde ihres größten Sohnes, des sozialdemokratischen Landtags- und Reichstagsabgeordneten Dr. Ludwig Frank, der sich 1914 von Mannheim aus als Landsturmmann freiwillig zur Truppe meldete, aber schon am dritten Tage Fronteinsatz am 3. September 1914 bei Baccarat in Lothringen fiel. Die ehemaligen Frontsoldaten legten am Kriegerdenkmal einen Kranz nieder mit dem Gelöbnis, im Geiste des gefallenen Volksführers für das neue Deutschland zu kämpfen. Sie gedachten auch ihrer Mitbürger Max Baum, Nathan Frank und Max Wertheimer, die wie Frank gefallen waren.

Die Zahl der Akademiker, die aus der jüdischen Gemeinde Nonnenweier hervorgegangen sind, ist bemerkenswert. Es waren Juristen: Dr. Ludwig Frank, Dr. Daniel Meyer, Dr. Hugo Schleicher, Dr. Berthold Moch und Dr. Iwan Meyer; Ärzte: Dr. Josef Wertheimer, Dr. Josef Meyer (Medizinalrat) und Dr. Kaufmann; Gymnasialprofessoren: Dr. Jenny Dreyfuß, Dr. Simon Bloch und Baruch Frank. Hinzu kamen der Gutsverwalter Alexander Moch, der Apotheker Max Metzger, die Dentistin Thea Höchster sowie die Lehrer und Kantoren Simon Metzger, Hermann Piccard, Heinrich Moch, Isac Baum, Berthold Frank und Meyer Moch. Im Mai 1927 waren von den Juden in Nonnenweier 11 Viehhändler, 7 Kaufleute, 1 Metzger, 3 Inhaber von Kolonialwarengeschäften, 1 Mehl- und Getreidegroßhändler, 1 Gastwirt (Wirtschaft zum Strauß), 1 Oberlehrer und 9 Privatiers.

Insgesamt waren es 34 Haushaltungen gegenüber 10 im Jahre 1938.

In der Kristallnacht im November 1938 wurde die Synagoge zerstört und der Friedhof geschändet. Die Thorarollen konnten vorher gerettet werden. Die wenigen Männer kamen in Schutzhaft nach Dachau, wo am 12. Dezember 1938 der Viehhändler Julius Baum starb. Von den 1933 in Nonnenweier lebenden 65 Juden ist etwa die Hälfte ausgewandert, 9 sind von 1933 bis 1940 in der Heimat gestorben. Der Rest von 27 Juden wurde am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Davon sind 4 in französischen Lagern gestorben und vermutlich 5 in Auschwitz ermordet worden. Josef und Hilda Weil, die 1939 nach Berlin verzogen waren, wurden 1943 von dort aus nach Theresienstadt deportiert, wo sie wahrscheinlich auch umgekommen sind. Die nach Gurs deportierte Jette Rosenberger kehrte 1947 im Alter von 78 Jahren aus Frankreich nach Nonnenweier zurück und starb hier 1950.

Der Synagogenplatz ist heute eingeebnet. Eine Gedenktafel für Dr. Ludwig Frank befindet sich an seinem Geburtshaus in der Poststraße 4. Nur der wiederhergestellte Friedhof bezeugt die Existenz der einstmals blühenden jüdischen Gemeinde.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Bender, Karl Ludwig, Geschichte des Dorfes Nonnenweier bei Lahr in Baden, 1908. 
  • Meyer, Iwan, 1707-1927, Jubiläumsschrift der jüdischen Gemeinde von Nonnenweier, 1927.

Ergänzung 2023:

Gegenüber von dem ehemaligen Standort erinnert ein Gedenkstein an das Synagogengebäude. 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Nonnenweier, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Bender, Karl Ludwig/ Krämer, Joachim/Eble, Eugen, Ortssippenbuch Nonnenweier, 1971, S.151-168.
  • Boll, Günter, Die ersten Generationen der jüdischen Familien Wertheimer von Nonnenweier, in: Ortenau 80 (2000), S. 229-236.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Kattermann, Hildegard, Das Ende einer jüdischen Landgemeinde. Nonnenweier in Baden 1933-1945, Freiburg im Breisgau 1984.
  • Labsch-Benz, Elfie, Die jüdische Gemeinde Nonnenweier. Jüdisches Leben und Brauchtum einer bad. Landgemeinde zu Beginn des 20. Jahrhundert, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden 60 (1980), S. 252-304.
  • Mayer, Iwan, Jubiläumsschrift der jüdischen Gemeinde Nonnenweier, 1927.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986.
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