Freudenberg, Richard Wilhelm Eduard 

Geburtsdatum/-ort: 09.02.1892;  Weinheim
Sterbedatum/-ort: 21.11.1975; Reutte in Tirol
Beruf/Funktion:
  • Fabrikant, MdL (Baden)-DDP, MdB-parteilos
Kurzbiografie:

1911 Realgymnasium Weinheim bis Abitur

1911–1914 Studium der Botanik, Geologie und Zoologie in Bonn und Berlin, dazwischen Gastsemester in Hastings und Reading

1914 Eintritt in den väterlichen Betrieb

1919–1925 MdL (Baden)-DDP

1919–1945 Gemeinderat, ab 1935 „Ratsherr“ in Weinheim

1922 Mitglied der Firmenleitung

1925–1933 Geschäftsführender Landesvorsitzender der DDP-Baden

1943 NSDAP-Mitglied Nr. 8 938 088; rückwirkend auf 1941 datiert

1945 Kommissarischer Bürgermeister der Stadt Weinheim, gleichzeitig Landrat

1945–1947 Internierung aufgrund seiner Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Deutschen Bank während der NS-Zeit; Spruchkammerverfahren am 6.6.1947: „entlastet“

1947–1971 Mitglied der Parteilosen Wählervereinigung und Stadtrat in Weinheim

19491953 MdB, bis 1952 Hospitant der FDP-Fraktion, stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Außenhandelsfragen und des Beirates für handelspolitische Vereinbarungen

1949 Mitglied der Bundesversammlung

19571971 Präsident der IHK Mannheim

Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Auszeichnungen: Ehrungen: Ehrenbürger der Stadt Weinheim (1949); Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (1953), mit Stern (1959); Ehrensenator der Universität Heidelberg (1961); Ehrenbürger der Stadt Schönau/Odenwald und Ehrenvorsitzender der Freien Wähler, Landesverband Baden-Württemberg (1962); Ehrendoktor der TH Aachen (1962); Ehrenbürger der Stadt Agudos/Brasilien (1966); Ehrenring der Stadt Mannheim (1971); Ehrenpräsident der IHK Mannheim (1971); Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg (1975).
Verheiratet:

1922 (Weinheim) Sibille, geb. Sternberg (1900–1973)


Eltern:

Vater: Hermann Ernst (1856–1923), Lederfabrikant

Mutter: Helene, geb. Siegert (1855–1939)


Geschwister:

9; Hermann Ernst jr. (1881–1920), Auguste Elisabeth (1884–1946), Karl Johann (1886–1983), Hans Werner Paul (1888–1966), Helene Johanna (1889–1917), Otto Helmut (1890–1940), Adolf Emil (1894–1977), Sophie (1896–1963) und Elsbeth Mathilde Maria (1900–1986)


Kinder:

Ursula Sibille (1929–2016) und Harley von Löwis of Menar (geb. 1933), Adoptivsohn

GND-ID: GND/119348691

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 149-155

Der Sohn eines Weinheimer Lederfabrikanten studierte nach dem Abitur am heimischen Realgymnasium zunächst in Bonn und Berlin Botanik, Zoologie und Geologie. Unterbrochen wurde das Studium durch einen Gastaufenthalt an den Universitäten in Hastings und Reading, wo Freudenberg nicht nur englische Sprachkenntnisse auffrischte, sondern auch das politische System des Vereinigten Königsreichs kennenlernte. Die Durchsetzung des britischen Mehrheitswahlrechts sollte in späteren Jahren zu einem seiner zentralen Anliegen werden.

Bis zum Ausbruch des I. Weltkrieges waren die Grundlagen für eine wissenschaftliche Karriere geschaffen. Nachdem jedoch mehrere seiner Brüder einberufen wurden, folgte Freudenberg dem Wunsch seines Vaters und trat in den Familienbetrieb ein, zumal er wegen einer Knie- und Armverletzung wehruntauglich war.

Das Jahr 1919 markiert den Beginn der politischen Laufbahn Freudenbergs, als er für die DDP zum damals jüngsten Gemeinderat Weinheims gewählt wurde. Bei den Wahlen zum Landtag fiel er zwar zunächst durch, rückte aber noch im selben Jahr in das Karlsruher Rondell nach. Hier gehörte Freudenberg dem Finanzausschuss an, in dem er für liberale Grundanliegen wie den Erhalt der badischen Simultanschule und den Freihandel eintrat. Daneben nahm er die Interessen seines Wahlkreises wahr und erwartungsgemäß die Belange der Lederindustrie. Auch wenn es um die Förderung des Mannheimer Nationaltheaters und der Handelshochschule ging, war Freudenberg immer ein entschiedener Fürsprecher. Außerdem setzte sich für die weitere Neckarkanalisation ein, die während der Inflation zeitweilig zum Erliegen zu kommen drohte.

Nach dem Tod seines Vaters verzichtete Freudenberg auf eine erneute Landtagskandidatur und trat an die Spitze der Firma, die er als „primus inter pares“ (Scholtyseck, 2016, S. 440) gemeinsam mit seinen Brüdern Hans und Otto sowie seinem Vetter Walter leitete. Gleichzeitig blieb er der Politik als geschäftsführender Landesvorsitzender der DDP verbunden und entlastete so den als Reichstagsabgeordneten und Minister in Berlin stark beanspruchten Parteivorsitzenden Hermann Dietrich.

Das Verhältnis Freudenbergs zum Nationalsozialismus gestaltete sich immer schwierig, war aber auch in sich nicht ohne Widersprüche. Gemäß der liberalen Familientradition und auch, weil einige Familienmitglieder mit jüdischen Frauen verheiratet waren und das Reich verlassen mussten, stand Freudenberg dem Nationalsozialismus grundsätzlich ablehnend gegenüber. Bei Wahlkämpfen während der Endphase der Weimarer Republik attackierte er die NSDAP scharf. Hitler könne bestenfalls Kurhaus- oder Zirkusdirektor werden, niemals jedoch verantwortlicher Staatsmann. Wegen solcher Äußerungen verlor Freudenberg nach der NS-„Machtergreifung“ einige Leitungsaufgaben, auch die Aufsichtsratsposten im Badenwerk und im Großkraftwerk Mannheim. Obwohl nicht NS-Mitglied, blieb er aber Weinheimer Gemeinderat und wurde nach der Einführung der „Deutschen Gemeindeordnung“ 1935 zum „Ratsherrn“ ernannt. Das mag auf einen Wink des NS-Ministerpräsidenten Walter Köhler zurückgehen, der aus Weinheim stammte. Sicherlich spielte daneben der Gedanke eine Rolle, die in Weinheim anerkannte Persönlichkeit und den größten Steuerzahler der Stadt weiter in die Kommunalpolitik einzubinden.

Die wirtschaftliche Entwicklung der Firma Carl Freudenberg war seit Beginn des I. Weltkrieges durch den Niedergang der Lederbranche geprägt. Die Firma durchlief damals einen Diversifizierungsprozess. Die Lederverarbeitung bildete zwar in den 1920er und 1930er Jahren noch immer das Kerngeschäft, war jedoch rückläufig. Abfälle der Lederproduktion verwertend begann Freudenberg inzwischen, neue Produktionsfelder zu erschließen. So fertigte das Unternehmen jetzt u. a. Lederfaserplatten, Kunstdärme und Dichtungen, aber auch Gummisohlen und Vliesstoffe. Durch diese Ausweitung der Produktpalette, die mit zunehmender Verwissenschaftlichung einherging, wurde die Grundlage des bis heute erfolgreichen Mischkonzerns Freudenberg gelegt, der inzwischen ganz ohne Lederverarbeitung auskommt. Mit den in den 1930er Jahren gefertigten Produkten, zumal Dichtungen, war die Firma gut in die Rüstungsproduktion eingebunden. Freudenberg hat dies nach 1945 nur bedingt eingestanden.

Während des „Dritten Reichs“ war das Unternehmen in eine Reihe von Arisierungen verwickelt. Die Übernahme des Schuhherstellers Tack durch Freudenberg gehörte zu den ersten Arisierungen überhaupt. Der Besitzer dieser Firma, Hermann Krojanker, war 1932 in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Seine Probleme wuchsen durch die NS-„Machtübernahme“. Krojanker scheiterte bei dem Versuch, sein Unternehmen formal zu arisieren und bot seine Firma Freudenberg zum Kauf an. Die Verkaufsverhandlungen verliefen, wie die Familie Krojanker nach 1945 bestätigte, im Rahmen guter Kontakte zwischen Geschäftsleuten, der Kaufpreis wurde durch einen neutralen Gutachter ermittelt. Freudenberg versuchte sogar, Krojanker den gesamten Kaufpreis z. T. durch verdeckte Zahlungen zukommen zu lassen, was das NS-Regime jedoch verhinderte. Indes steht fest, dass die Firma Freudenberg durch die Übernahme von Tack erheblich profitierte; denn dadurch war Freudenbergs Unternehmen an der gesamten Fertigungskette, von der Ledergerbung über die Schuhherstellung bis zum Vertrieb beteiligt. Tack brachte ein großes Filialnetz im deutschen Schuhmarkt ein, das Freudenberg eine beherrschende Stellung bescherte.

Freudenberg war auch 1938 bei der Arisierung der Lederwerke Sigmund Hirsch in Weinheim beteiligt, die auf die Gerbung von Rossleder spezialisiert gewesen war. Sie wurden direkt vom Weinheimer Stammwerk übernommen. Wiederum legte Freudenberg auf die Feststellung eines angemessenen Kaufpreises Wert, jedoch erhielten die vormaligen Eigner von Hirsch aufgrund der Reichsfluchtsteuer und immer restriktiveren Auswanderungsgesetzen nur einen geringen Teil davon. Wie bei Tack fanden die Verhandlungen in einem fast freundschaftlichen Rahmen statt, obwohl das die negativen Begleitumstände nicht umgehen konnte. Die Familien Hirsch und Freudenberg blieben dauerhaft in Kontakt. Arthur Hirsch nannte Freudenberg bei seiner Befragung durch das FBI einen zuverlässigen Geschäftsmann, der auch Kontakt zu Juden hatte, als dies nicht mehr opportun gewesen sei.

Joachim Scholtyseck konnte nachweisen, dass die Firma Freudenberg im Laufe der 1930er Jahre bei Arisierungen zum Zug zu kommen suchte, in ihr Portfolio passende Betriebe ermittelte und sich einzuverleiben suchte. Der Übernahmeversuch der Del-Ka Schuhindustrie in Österreich scheiterte dennoch trotz inzwischen guter Kontakte ins Wirtschaftsministerium in Berlin am österreichischen Widerstand, weil mittelständische Unternehmen aus der Region bevorzugt waren. So scheiterten auch Arisierungsversuche im Sudetenland.

Wie andere Unternehmen ging die Firma Freudenberg später bei Arisierungen in besiegten Ländern weitaus ungehemmter vor. In Frankreich gelang es dem Weinheimer Unternehmen, mit der Société Chromex eine Firma einzugliedern, an deren Gründung sie finanziell beteiligt gewesen war. Interesse zeigte Freudenberg auch am Lothringischen Schuhhersteller Chaussures André. Eine Kapitalbeteiligung daran kam aber nicht zustande, weil die Vichy-Regierung die Arisierung in eigener Regie durchführte und den Einstieg der Firma Freudenberg durch bürokratische Hindernisse verhinderte.

Immer deutlicher wurden moralische Bedenken im Laufe der Zeit dem wirtschaftlichen Interesse untergeordnet, sichtbar auch an über 1800 Zwangsarbeitern während des Krieges. Es spricht aber für Freudenbergs persönliche Integrität, dass er sich wie ein „Sklavenhalter“ (Scholtyseck, 2016, S. 384) fühlte und sich deswegen besonders um die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter bemühte. Wegen der besseren Behandlung bevorzugten viele Zwangsarbeiter eine Beschäftigung bei Freudenberg.

Einen moralischen Tiefpunkt bildete die „Schuhprüfstrecke“ im KZ Sachsenhausen. Seit 1937 hatten Rentner der Firma Freudenberg die Haltbarkeit von Sohlen aus Lederersatzstoffen auf einem Rundkurs in und um Weinheim geprüft. Unter den Bedingungen des Krieges wollte Freudenberg mehr Lederersatzstoffe testen und schlug hierfür junge Männer vom Reichsarbeitsdienst vor. Eingesetzt wurden jedoch Häftlinge im KZ Sachsenhausen, die für über 70 weitere Unternehmen u.a. unter schlimmsten Bedingungen auf einer 700 m langen Strecke Schuhsohlen prüfen mussten. Mit oft zu kleinen Schuhen mussten sie über 40 km am Tag laufen, wobei es mehrere hundert Tote gegeben haben soll. Es darf angenommen werden, dass diese Zustände der Weinheimer Firma nicht ganz unbekannt waren, zumal sich ihre Mitarbeiter vor Ort über die Ergebnisse der Schuhprüfung informierten. Nach dem Krieg blieb dieser dunkle Punkt der Firmengeschichte über Jahrzehnte verborgen. Es steht also außer Frage, dass das Unternehmen Freudenberg an den NS-Untaten nicht unbeteiligt war, was auch einen Schatten auf seinen Leiter wirft, wenngleich ihn persönlich keinerlei Vorwürfe treffen.

Auf der anderen Seite steht der Dauerzwist mit dem Regime. Schon 1933 war Freudenberg von der Staatsanwaltschaft Mannheim wegen „demokratischer Rechthaberei“ abgemahnt worden. Vier Jahre später nahm das Sondergericht Mannheim Ermittlungen gegen ihn auf wegen Beleidigung der Hitlerjugend und 1942 ermittelte das Reichssicherheitshauptamt wegen Freudenbergs „demokratischer Gesinnung“, der Pflege von Geschäftsverbindungen nach England, Schweden und in die Schweiz sowie Kontakten zu jüdischen Familienmitgliedern im Ausland. Die Ermittlungen aber wurden ergebnislos eingestellt. Wahrscheinlich ist der Parteieintritt des Gesamtvorstands der Firma 1943 als Konzession zu werten und erfüllte vor allem eine Schutzfunktion.

Im April 1945 war die kampflose Übergabe Weinheims an die Amerikaner Freudenbergs Verdienst. Damit hat er auch die Voraussetzungen zum Neuanfang des weitgehend unbeschädigten Betriebs in Weinheim geschaffen. Für kurze Zeit wurde er von der Besatzungsmacht zum Bürgermeister ernannt, am 27. Mai aber wegen einer angeblich kritischen Äußerung über die Amerikaner verhaftet. Die Vorwürfe waren bis zum September entkräftet, jedoch Ende Oktober wurde Freudenberg erneut interniert, diesmal bis Februar 1947, weil er während des „Dritten Reichs“ dem Aufsichtsrat der Deutschen Bank angehört hatte. Erst das danach eröffnete Spruchkammerverfahren entlastete ihn vollständig und schuf die Grundlagen für seine Rückkehr in die Politik.

Schon 1947 war Freudenberg bei den Kommunalwahlen Kandidat der von ihm gegründeten Parteilosen Wählergemeinschaft, PWG, und 1949 kandidierte er bei der Bundestagswahl als unabhängiger Bewerber erfolgreich in Mannheim-Land. Die FDP/DVP hatte auf die Aufstellung eines eigenen Kandidaten verzichtet, den ihm angebotenen Parteieintritt hatte Freudenberg aber abgelehnt. Seine unabhängige Kandidatur sollte ein Zeichen setzen: Die Weimarer Republik war nach seiner Überzeugung an Zwistigkeiten der viel zu zahlreichen Parteien zugrunde gegangen. Solche Streitereien dürften sich nicht wiederholen. Deshalb bedürfe es parteiloser Kandidaten, die erfahrene, auch in Wirtschaft und Gesellschaft verankerte Persönlichkeiten sein müssten. Nach Freudenbergs Überzeugung trug auch das Weimarer Wahlrecht Schuld am Untergang der Demokratie; denn es habe die Parteienzersplitterung beschleunigt und zur Entfremdung zwischen Wähler und Gewählten geführt. Darum wollte Freudenberg das Mehrheitswahlrecht, das zu einem stabilen Zwei-, allenfalls Drei-Parteien-System führe, und eine stabile Bindung der Wähler an ihre Repräsentanten schuf.

Nach seinem spektakulären Wahlerfolg wurde Freudenberg mit über 40% der abgegebenen Stimmen der seither einzige parteilose Abgeordnete, der in den Bundestag einzog. Freudenberg schloss sich erwartungsgemäß als Hospitant der FDP-Fraktion an, die ihn in die Ausschüsse für Außenhandelsfragen und innergebietliche Neuordnung entsandte, wo Freudenberg sich vor allem mit wirtschaftspolitischen Fragen auseinandersetzte. Wie in der Weimarer Zeit forderte er als Vertreter einer exportorientierten Industrie den Abbau von Zolltarifen und trat für die Schaffung eines europäischen Wirtschaftsgebiets ein. Im heutigen Land betrieb Freudenberg aus wirtschaftlichen Gründen den Zusammenschluss der drei Nachkriegsländer. Als Gegenpol zur „Arbeitsgemeinschaft der Badener“ gründete er die „Vereinigung Südwest“ in Nordbaden mit Freudenberg als Vorsitzendem. Ihre Geschäftsstelle war in Weinheim.

Es war Freudenberg, der im Ausschuss für Innergebietliche Neuordnung den Gedanken einbrachte, Südwestdeutschland in vier Abstimmungsbezirke zu untergliedern. So sollte verhindert werden, dass das mehrheitlich für einen Südweststaat eingestellte Nordbaden durch Südbaden überstimmt wurde. Das wäre bei einer Auszählung nach alten Ländern möglich gewesen. Diesen Vorschlag für den Abstimmungsmodus unterbreitete Freudenberg zunächst Reinhold Maier. Nachdem auch Gebhard Müller zugestimmt hatte, wurde er letztlich Grundlage des Abstimmungsgesetzes im Bundestag, auch wenn Freudenberg seinen Entwurf zu Gunsten der Vorlage von Kurt-Georg Kiesinger und Karl Gengler zurückzog, die jedoch Freudenbergs Auszählmodus enthielt. Freudenberg war also einer „der Wegbereiter Baden-Württembergs“ (Schadt, 2002, S. 30).

In der Neugliederungsdiskussion und in Wirtschaftsfragen gab Freudenberg die Linie seiner Fraktion vor, über die Ausarbeitung eines Wahlgesetzes für die Bundestagswahl 1953 aber kam es zum Konflikt mit der Fraktion, aus der Freudenberg Anfang Dezember 1952 ausschied. Grund hierfür war die von Freudenberg geforderte Unabhängigkeit, die in seinem Eintreten für das Mehrheitswahlrecht zum Ausdruck kam. Mit der „Deutschen Wählergemeinschaft“ forderte Freudenberg Wahlkreise, in denen gewählt sei, wer die einfache Mehrheit, mindestens jedoch ein Drittel aller abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hatte. War dieses Quorum verfehlt, sollte eine Stichwahl zwischen beiden zuvor Bestplatzierten stattfinden.

Auch mit seiner Haltung zum Generalvertrag bzw. zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft war Freudenberg von der FDP-Linie abgewichen. Die Unterstützung der Liberalen, die im Bundestagswahlkampf 1953 einen eigenen Kandidaten aufstellten, fiel also weg, was die Aussichten für Freudenbergs Wiederwahl minderte. Er kandidierte dennoch, unterlag aber mit nur knapp 20% der gültigen Stimmen. Diese Niederlage leitete seinen Rückzug aus der Bundespolitik ein. Freudenberg blieb aber bis zum Beginn der 1970er Jahre als Mitglied der parteilosen Wählergemeinschaft auf Kreisebene und in seiner Heimatstadt aktiv.

Neben seinem politischen Engagement hat Freudenberg nach 1945 noch mehr als zweieinhalb Jahrzehnte maßgeblich die Geschicke seines Konzerns geprägt, bis 1962 als Vorstandssprecher, dann noch zehn Jahre als Vorsitzender der Gesellschafterversammlung.

Wie überall waren die ersten Nachkriegsjahre durch Mangel geprägt. Vor allem Produkte wie Schuhe und Schuhsohlen hatten Konjunktur, die auch als Tauschmittel verwendet werden konnten. Daneben fertigte Freudenberg andere Notprodukte wie „Dachschindeln zur Reparatur von Beschussschäden, Krückenkapseln und Gärverschlüsse aus Gummi, Knöpfe aus Kunstharz und Pfannen aus Blech“ (150 Jahre Freudenberg, 1999, S. 91). Freudenberg selbst und sein Unternehmen waren damals als betont sozial geschätzt. Schon 1948 stellte der Freudenberg-Konzern seinen Arbeitnehmern Material und Geräte zur Verfügung, um auf dem Werksgelände Bausteine für den Wohnungsbau herstellen zu können. 1949 folgte die Gründung der Wohnbauhilfe, mit deren Unterstützung Konzernmitarbeiter bis zur Gegenwart 13 000 Wohneinheiten in Weinheim und Umland bauen konnten.

Die 1950er und 1960er Jahre waren durch weitere Expansion, Ausweitung der Produktpaillette und der Geschäftsfelder des Konzerns geprägt. Schon 1947/48 wurden Vlieseline-Einlagestoffe für die Textilindustrie produziert. Damals entstanden die Vileda-Fenstertücher. Auch Tochtergesellschaften wurden ab 1950 in mehreren westeuropäischen Ländern und in den USA errichtet. Ab 1950 begann das Unternehmen Kautschukbodenbeläge zu produzieren, eine Fortentwicklung der Nora-Schuhsohlen. Hieraus wurde 1967 der genoppte Fußbodenbelag Norament gefertigt, der damals im Frankfurter Flughafen Verwendung fand. Durch den Einstieg in die Schwingungstechnik konnte Freudenberg 1957 ein weiteres Produktionsfeld erschließen. Zusammen mit einem italienischen Dichtungshersteller produzierte die Freudenberg-Gruppe Stoßdämpfer, Schwingungsdämpfer und Ultrabuchsen.

Zwei Jahre vor seinem Ausscheiden gründete Freudenberg mit der Nippon-Oil Seal Industry Company in Tokio eine wichtige Partnerschaft auf dem Feld der Dichtungstechnik im japanischen Markt. Auch im Bereich der Vliesstoffe wurde mit japanischen Unternehmen kooperiert. Damit wurde der expandierende japanische Markt erschlossen und zugleich ein umfassender wechselseitiger Technologieaustausch begonnen. Als Freudenberg 1962 als Vorstandssprecher ausschied, zählte sein Konzern 11 000 Mitarbeiter, 6 000 mehr als bei Kriegsende.

Die Erfolgsgeschichte des Unternehmens setzte sich unter Freudenberg als Vorsitzendem der Gesellschafterversammlung fort; u. a. ging 1966 der Schmierstoffhersteller Klüber Lubrication, München, in den Besitz der Freudenberg-Gruppe über.

Freudenberg investierte in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre in Südbrasilien auch in die Aufforstung der Araukarie, einer dort heimischen Konifere, was durchaus einen wirtschaftlichen Aspekt hatte. Da Raubbau betrieben worden war, musste künftig mit Mangel und Preisanstieg bei Bauholz und langfaserigem Zellstoff gerechnet werden. Auf Veranlassung Freudenbergs wurde in Brasilien ein Forstbetrieb mit 13 000 ha Fläche, ein Spanplattenwerk und ein Sägewerk sowie eine Forstarbeitersiedlung errichtet. Bis 1974 weilte Freudenberg häufig in Brasilien und hatte das Land intensiv kennengelernt. Diesen Betrieb führte Freudenberg auch nach seinem Ausscheiden aus allen übrigen Funktionen weiter. Sein Engagement darf durchaus auch als umweltpolitisch motiviert gewertet werden.

Ohne Zweifel ist Freudenberg einer der bedeutendsten südwestdeutschen Industriellen im 20. Jahrhundert, dessen politisches Engagement und auch Haltung im „Dritten Reich“ inzwischen eingehend erforscht sind, nicht ohne Schatten auch auf die Gesamtleistung der Persönlichkeit zu werfen. Freudenbergs unternehmerisches Wirken ab 1945 und seine umfassende Verbandstätigkeit sind jedoch noch ein Desiderat eingehender wissenschaftlicher Forschung.

Quellen:

Übersicht über Materialien in 40 Archiven zur Geschichte der Firma Carl Freudenberg zwischen Kaiserreich und Nachkriegszeit in: Joachim Scholtyseck, Freudenberg. Ein Familienunternehmen, in: Kaiserreich, Demokratie u. Diktatur, 2016, 585–588. – FirmenA Freudenberg in Weinheim; StadtA Weinheim Nachlass Richard Freudenberg; Verhandlungen des Badischen Landtages, Protokollheft, 1. Legislaturperiode 1919–1921, 2. Legislaturperiode 1921–1925; Stenographische Berichte über die Verhandlungen des deutschen Bundestages 1949–1953.

Werke: Die Industrie-Mineralien, 1913; Von Feuerbergen und ihren Schrecken, 1926; Ansprachen der Herren Hans Freudenberg und Richard Freudenberg bei der Zusammenkunft der Karlsruher Hochschulvereinigung am 9. Dezember 1949, 1949; Die soziale und politische Verantwortung des Unternehmertums, 1952; Leistung und Bedeutung der Familie Hirsch in Weinheim, in: Daniel Horsch (Hg.), Die jüdische Gemeinde in Weinheim an der Bergstraße, 1964, 29–34.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (um 1950), StadtA Weinheim, Rep. 32 Nr. 9022.

Literatur:

Hermann Pinnow, 100 Jahre Carl Freudenberg. 1849–1949, 1949; Gegenwartsaufgaben der Erwachsenenbildung: FS zum 70. Geburtstag von Richard Freudenberg, 1962; Carl Freudenberg, Richard Freudenberg. 70 Jahre, 1962; Richard Freudenberg. 80 Jahre, 1972; Sibille Freudenberg, Gesammeltes Leben. Auszüge aus Tagebüchern, Briefen und Reiseberichten, 1974; Carola Bury, Der Volksentscheid in Baden, 1985; dies, Die politischen Auseinandersetzungen zwischen Badenern und Südweststaatlern (1948–1951), in: Paul-Ludwig Weinacht (Hg.), Gelb-rot-gelbe Regierungsjahre, 1988; Richard Freudenberg: Erinnerung an einen Großen: Zum 100. Geburtstag des Ehrenbürgers, in: Weinheimer Jahrbuch 1991/92, 114–116; Stefan der Wilderotter, Richard Freudenberg: Liberaler Politiker und unabhängiger Bundestagsabgeordneter 1992; Petra Bräutigam, Mittelständischer Unternehmer im Nationalsozialismus. Wirtschaftliche Entwicklungen und soziale Verhaltensweisen in der Schuh- und Lederindustrie Badens und Württembergs, 1997; 150 Jahre Freudenberg. Die Entwicklung eines Familienunternehmens von der Gerberei zur internationalen Firmengruppe, 1999; Sibylla Schuster, Die Lederfabriken Freudenberg und Hirsch in der Zeit des Dritten Reiches, in: Die Stadt Weinheim zwischen 1933 und 1945, 2000, 313–349; Sibylla Schuster, Richard Freudenberg (1892–1975), in: 125 Jahre Schulgeschichte, 41–43; Jörg Schadt, „Richard Lederherz“, Der Fabrikant Freudenberg war ein Wegbereiter des Landes, in: Momente 2002, Heft 4, 28–30; Anne Sudrow, Vom Leder zum Kunststoff. Werkstoff-Forschung auf der „Schuhprüfstrecke“ im Konzentrationslager Sachsenhausen 1940–1945, in: Helmut Maier (Hg.), Rüstungsforschung im Nationalsozialismus, 2002, 214–249; Konrad Exner, Richard Freudenberg – Einflussreicher Unternehmer im Badischen Parlament: (1919–1925), in: BH 88, 2008, 616–623; Anne Sudrow, Der Schuh im Nationalsozialismus. Eine Produktionsgeschichte im deutsch-britisch-amerikanischen Vergleich, 2010; Joachim Scholtyseck, Freudenberg. Ein Familienunternehmen, in Kaiserreich, Demokratie und Diktatur, 2016, 585–588 (vgl. Quellen).

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