Kommune Urach, „Kaisers Kulis“ und „Stalingrad“

Das abenteuerliche Leben des anarchistischen Schriftstellers Theodor Plievier (1892-1955)

Theodor Plievier [Quelle: Deutsche FotothekPorträts, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6548895]
Theodor Plievier [Quelle: Deutsche FotothekPorträts, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6548895]

„Die Eroberungsziele sind unser Verderben, ohne sie wäre Frieden. Wir könnten wieder arbeiten und hätten zu fressen. Und die anderen sind doch auch Menschen. Die Völker müssen zusammenkommen und sich verständigen. Das Morden ist sinnlos. […] Der Krieg ist ein riesengroßes Geschäft. […] Nieder mit dem Krieg!“

Das Zitat stammt aus dem Roman „Des Kaisers Kulis. Roman der deutschen Hochseeflotte“, der dem Schriftsteller Theodor Plievier 1930 zum internationalen Durchbruch verhalf. Darin verarbeitete er seine Erfahrungen als Matrose auf dem Hilfskreuzer Wolf während des Ersten Weltkriegs sowie die menschenverachtenden Zustände an Bord. Noch kurz vor Kriegsende 1918 hatten unzählige Soldaten einen sinnlosen „ehrenvollen“ Tod gefunden. Ab Ende Oktober 1918 wurden Matrosenaufstände zum Ausgangspunkt von Unruhen, die im November 1918 das gesamte Reich erfassten. Am Ende des Monats dankte der Kaiser ab. Die Kriegsjahre, die in scharfem Gegensatz zur heroischen Propaganda gestanden hatten, prägten eine ganze Generation Überlebender, deren Familien und Hinterbliebener. Plievier, der an den Widerständen in Wilhelmshaven teilgenommen hatte, berichtete als Redakteur einer Matrosenzeitung über die Ereignisse.

Das Leben von Theodor Plievier war unstet und ereignisreich. Er wurde 1892 als Sohn einer aus den Niederlanden stammenden Familie in Berlin geboren. Eine Handwerkerlehre brach er ab und begab sich stattdessen auf Wanderschaft. Anschließend arbeitete er als Matrose für die deutsche Handelsmarine. Von 1910 bis 1913 setzte er sein Wanderleben in Südamerika fort und verdiente den Lebensunterhalt als Viehtreiber, Bergmann, Goldsucher und Mitarbeiter des deutschen Konsulats von Pisagua in Chile. Zurück in Deutschland wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Hier lernte er die anarchistischen Matrosen Gregor Gog und Karl Raichle kennen. Mit ihnen tat er sich zur lebensreformerisch ausgerichteten Kommune im „Haus am Grünen Weg“ in Urach zusammen. Plievier gründete den anarchistisch ausgerichteten „Verlag der Zwölf“ und heiratete Maria Stoz aus Urach. Die Eheleute zogen nach Berlin, wo sie der bitteren Armut der Nachkriegsjahre ausgesetzt waren. Das Paar bekam drei Kinder. Tochter Viktoria starb 1923 an Lungenentzündung. Theodor Plievier hielt die Familie mit Jobs über Wasser. Er schrieb für anarchistische Zeitschriften, übersetzte Bücher und engagierte sich in der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD). In der von ihm betriebenen Teestube verkehrten anarchistische Exilrussen. Nach „Des Kaisers Kulis“ entstand 1932 „Der Kaiser ging, die Generäle blieben. Ein deutscher Roman“. Das Manuskript für „Demokratie“, den letzte Band der geplanten Trilogie, ging 1933 nach Plieviers Flucht aus Deutschland verloren. Während der Jahre im Exil lebte er mit seiner Partnerin, der Schauspielerin Hildegard Piscator, hauptsächlich in Moskau. 1943 trat er dem Nationalkomitee Freies Deutschland bei und arbeitete für die Sowjet-Propaganda. Dadurch bekam er Zugang zu Feldpostbriefen deutscher Soldaten. 1943/44 wurde „Stalingrad“ als Fortsetzungsroman über die Zeitschrift Internationale Literatur veröffentlicht, der authentisch den Untergang der 6. Armee wiedergibt.

Während der ersten Nachkriegsjahre arbeitete Plievier in der Sowjetischen Besatzungszone, konnte sich mit den autoritären Verhältnissen jedoch nicht anfreunden und sah die Zukunft in einem vereinten Europa. Während einer Vortragsreise blieb er 1947 im Westen und ließ sich am Bodensee nieder. Nach der Trennung von Hildegard und der Scheidung von Maria ging er 1950 eine zweite Ehe mit Margarete Grote ein. Eine Tochter wurde geboren. Nach „Stalingrad“ erschienen 1952 „Moskau“ und 1954 „Berlin“, womit Plievier seine zweite Trilogie abschließen konnte. Infolge des Kalten Krieges siedelte die Familie 1953 ins Tessin über, wo Plievier 1955 starb.

Das Manuskript des Romans „Demokratie“ blieb verschollen. Interessante Details zu den Grundlagen lieferte jedoch Plieviers „Wiedergutmachungsakte“. Sie war zusammen mit weiteren Quellen Gegenstand eines Erschließungsprojekts zur Provenienzforschung in Südbaden: Plievier hatte sich mit den Versailler Friedensverhandlungen, dem amerikanisch Präsidenten Woodrow Wilson (1856-1924) und der Blockade seines 14-Punkte-Programms durch die europäischen Siegermächte auseinandergesetzt. Dazu führte er Interviews mit Bevollmächtigten der Waffenstillstandskommission von Compiègne, die Originaldokumente beisteuerten.

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