Kirchensteuer-Hebelisten

Von Carola Traub

Hebeliste über die Landes- und Ortskirchensteuer für das Steuerjahr 1938, Titelblatt, (Quelle: Pfarrarchiv Worndorf 57)
Hebeliste über die Landes- und Ortskirchensteuer für das Steuerjahr 1938, Titelblatt, (Quelle: Pfarrarchiv Worndorf 57)

Definition der Quellengattung

Das Instrument der Hebelisten wurde zum Einzug der Kirchensteuer eingesetzt. Kirchensteuern wurden seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zur Finanzierung des kirchlichen Lebens herangezogen, nachdem die Kirchen infolge der Säkularisation (1803ff.) ihr Vermögen größtenteils verloren hatten.

Historische Entwicklung

Vor den gravierenden Umbrüchen infolge der französischen Revolution (ab 1789) finanzierten sich die Kirchen und Klöster durch Erträge aus Besitztümern, welche sie durch Käufe und Spenden erhalten haben. Grundbesitz wurde als Lehen vergeben.

Der Reichsdeputationshauptschluss (1803) regelte die Entschädigung der Reichsfürsten für die Abtretung der linksrheinischen Gebiete an Frankreich. Die Kurfürsten von Kurmainz, Kursachsen, Kurböhmen, Kurbrandenburg und die Reichsfürsten des Herzogtums Bayern, Württemberg, die Hoch- und Deutschmeister des Deutschen Ordens und der Landgrafschaft Hessen-Kassel waren zur Beratung geladen.

Es wurde beschlossen, diejenigen weltlichen Fürsten abzufinden, welche Gebiete verloren hatten. Die Entschädigung wurde durch die Säkularisierung kirchlicher Herrschaften und die Mediatisierung festgelegter, weltlicher Herrschaften durchgeführt.

In der Folge der Säkularisierung verpflichteten sich die Reichsfürsten in gesonderten Verträgen zur Finanzierung der Institutionen der Kirchen. Vor allem der Unterhalt des Bischofs, der Kurie und des Domkapitels musste durch die weltlichen Herrschaften geleistet werden.

Den Pfarrgemeinden wurde die finanzielle Grundlage nicht entzogen. Die Pfründe diente zur Versorgung des Ortsgeistlichen, also letztlich der Seelsorge. Auch das Vermögen von Stiftungen, welche für den Unterhalt von Kirchengebäuden, die Abhaltung von Gottesdiensten oder zweckgebunden für Schulen oder karitative Aufgaben bestimmt waren, wurde nicht eingezogen. Im 19. Jahrhundert brach vor allem mit der Abschaffung des Zehnten eine weitere Säule der Finanzierung der Kirchen ohne Kompensation weg. Die weltlichen Herrschaften waren durch die Erhöhung der Ausgaben der Kirchen zu immer höheren Zahlungen verpflichtet. Immer mehr Länder führten deshalb eine Kirchensteuer ein, um die Gläubigen zur direkten Finanzierung heranzuziehen. Das Königreich Württemberg führte die Kirchensteuer 1887 ein, das Großherzogtum Baden folgte 1888 mit der sogenannten „örtlichen“ Kirchensteuer. Für Preußen und somit Hohenzollern wurde das Gesetz über die Vermögensverwaltung in den katholischen Kirchengemeinden am 20. Juni 1875 erlassen. Es erlaubte den Einzug von Kirchensteuern von den katholischen Kirchenmitgliedern. Genauer geregelt wurden Kirchensteuern in Preußen erst 1905 mit dem Gesetz zur Erhebung von Kirchensteuern in den katholischen Kirchengemeinden und Gesamtverbänden. Gesetze für den Einzug von Kirchensteuern in evangelischen Gemeinden folgten im selben Zeitraum. Den Hebesatz legten die Kirchengemeinden selbst fest und sie ließen ihn sich von staatlichen Institutionen genehmigen. Der Einzug der Kirchensteuer oblag den Ortskirchengemeinden. Infolge dieser Entwicklung entstanden Kirchensteuer-Hebelisten.

Laut Art. 137, Abs. 6 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 war Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts die Erhebung von Kirchensteuern erlaubt. Die staatlichen Behörden stellten die Steuerlisten über die Mitglieder der Religionsgemeinschaften zur Verfügung. Die Höhe der Kirchensteuer, als Annexsteuer, bemaß sich an der Einkommens- bzw. Lohnsteuer. In gesonderten Gesetzen wurde der staatliche Einzug der Kirchensteuer geregelt.

In der Zeit des Nationalsozialismus war die rechtliche Grundlage zum Einzug der Kirchensteuer das Reichskonkordat von 1933. Ab 1935 oblag der Kirchensteuereinzug dem Arbeitgeber, abhängig von der Lohnsteuer. Auf der Lohnsteuerkarte wurde nun die Konfession eingetragen. Im Jahre 1941 beendeten die staatlichen Institutionen die Unterstützung beim Einzug der Kirchensteuer. Im Zuge dieser Weigerung zogen die Kirchen wieder eigenständig die Kirchensteuer ein.

Die Bundesrepublik Deutschland nahm 1949 den staatlichen Einzug der Kirchensteuer in das Grundgesetz auf (Art. 140 GG). Eine Ausnahme bildet Bayern, welches 1942 eigens zu diesem Zweck Kirchensteuerämter eingerichtet hat, die bis heute bestehen. Jedes Bundesland legt den Hebesatz selbst fest.

Aufbau und Inhalt

Kirchensteuer-Hebelisten werden auf Kirchengemeindeebene angelegt. Die Listen nennen die Namen der Kirchensteuerpflichtigen, meist in alphabetischer Reihenfolge, und den entrichteten Betrag. Enthalten sind außerdem der zu erwartende Hebesatz und die Information darüber, wer die Liste angelegt hat.

Säumige Zahler werden ebenfalls gekennzeichnet, wie auch verstorbene oder verzogene Mitglieder der Kirchengemeinden. Je nach Ausführlichkeit werden zudem Berufsstände und Verwandtschaftsbeziehungen der Kirchensteuerpflichtigen angegeben.

Quellenkritik und Auswertungsmöglichkeiten

Kirchensteuer-Hebelisten wurden von einzelnen Kirchengemeinden zwar je nach Bedarf zeitlich begrenzt, aber zugleich periodisch angelegt, sodass die Namen der Kirchensteuerpflichtigen darin regelmäßig in Erscheinung treten. Kirchensteuer-Hebelisten bieten daher vielfältige Auswertungsmöglichkeiten für Familienforscher: Die Nennung evangelischer oder katholischer Familien in den Listen lässt beispielsweise Rückschlüsse auf die Aufenthaltsdauer einer Person vor Ort zu, da Namen verstorbener Personen häufig mit einem Kreuz gekennzeichnet sind. Meistens sind nur die Familienvorstände gelistet, der Eintrag eines neuen Namens kann durch einen Zuzug oder die Verheiratung einer Person begründet sein. Treten Kinder von Kirchensteuerpflichtigen in selbstständige oder abhängige Arbeitsverhältnisse ein, werden sie ebenfalls kirchensteuerpflichtig und separat gelistet. Häufig werden sie durch den Hinweis des Verwandtschaftsgrades in Relation zu anderen Kirchensteuerpflichtigen gesetzt.

Durch den bekannten Hebesatz und die Höhe der entrichteten Kirchensteuer lässt sich die Höhe des Einkommens der Kirchensteuerpflichtigen ableiten. Letztere in Verbindung mit Berufsbezeichnungen erlauben Rückschlüsse auf Bildungsgrad und Schichtenzugehörigkeit der Kirchensteuerpflichtigen und liefern damit sozial- und wirtschaftgeschichtlichen Forschungsfragen wichtiges Quellenmaterial. Bei der Auswertung von Kirchernsteuer-Hebelisten ist auf den variierenden Wert der (historischen) Währung zu achten.

Hinweise zur Benutzung

Kirchensteuer-Hebelisten sind vor allem dezentral in Beständen der Kirchengemeinden in den Pfarrarchiven zu finden oder zentral in Landeskirchlichen oder (Erz-)Bischöflichen Archiven. Die Hebelisten sind entweder handschriftlich oder maschinenschriftlich verfasst. Je nach Überlieferungslage können die Listen jahrgangsweise oder einzeln in die entsprechenden Archive gelangt sein. Es ist auch möglich, dass entweder in einzelnen Jahren oder sogar nie auf örtlicher Ebene eine Kirchensteuer erhoben wurde, je nach Vermögen und Bedarf der Kirchengemeinden. In diesen Fällen wurden natürlich auch keine Hebelisten überliefert. In Hebelisten sind personenbezogene Daten zu finden. Als private Archivträger bestimmen die Kirchen eigenständig den Zugang und die Schutzfristen.[1]

Anmerkungen

[1] Vgl. Anordnung (2014), S. 280: „§ 9, Schutzfristen. (1) Die Schutzfristen werden ab dem Schlussdatum der jeweiligen Archivalieneinheit berechnet. (2) Die Nutzung von Archivgut, für das nachfolgend keine spezielle Regelung getroffen ist, ist zulässig nach Ablauf einer Schutzfrist von 40 Jahren. (3) Für Archivgut, das sich nach seiner Zweckbestimmung oder nach seinem wesentlichen Inhalt auf eine oder mehrere natürliche Personen bezieht (personenbezogenes Archivgut), beträgt die Schutzfrist ebenfalls 40 Jahre. Sie endet jedoch nicht vor Ablauf von 1. 30 Jahren nach dem Tod der betroffenen Person oder der Letztverstorbenen von mehreren Personen, deren Todesjahr dem Archiv bekannt ist, 2. 120 Jahren nach der Geburt der betroffenen Person oder der Geburt der Letztgeborenen von mehreren Personen, deren Todesjahr dem Archiv nicht bekannt ist, 3. 70 Jahren nach Entstehung der Unterlagen, wenn weder das Todes- noch das Geburtsjahr der betroffenen Person oder einer der betroffenen Personen dem Archiv bekannt sind. […]“

Literatur

  • Anordnung über die Sicherung und Nutzung der Archive der katholischen Kirche (Kirchliche Archivordnung – KAO), in: Amtsblatt der Erzdiözese Freiburg 6 (2014), S. 277–281.
  • Gatz, Erwin, Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, Bd. 6: Die Kirchenfinanzen, Freiburg/Basel/Wien 2000.
  • Gutmann, Gerold, Entstehung und Entwicklung der Kirchensteuer in der Diözese Rottenburg (Stuttgarter historische Studien zur Landes- und Wirtschaftsgeschichte 8), Ostfildern 2007.
  • Hammer, Felix, Rechtsfragen der Kirchensteuer (Jus ecclesiasticum 66), Tübingen 2002.
  • Hartmann, Gerhard, Kirchensteuer, in: Historisches Lexikon Bayerns, https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kirchensteuer (12.07.2017).
  • Hense, Ansgar, Aktuelle Erläuterungen zur Kirchenfinanzierung, Stellungnahme für die deutsche Bischofskonferenz vom 22. September 2010, www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse/2010-150-StaatsleistungenSept2010-Prof_Hense.pdf (12.07.2017).
  • Hermann, Horst, Kirche, Klerus, Kapital. Hintergründe einer deutschen Allianz (Forum Religionskritik 2), Münster/Hamburg 22003.
  • Meuthen, Jörg, Die Kirchensteuer als Einnahmequelle von Religionsgemeinschaften. Eine finanzwissenschaftliche Analyse (Europäische Hochschulschriften Reihe 5: Volks- und Betriebswirtschaft 1467), Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1993.
  • Suhrbier-Hahn, Ute, Das Kirchensteuerrecht. Eine systematische Darstellung, Stuttgart 1999.

Zitierhinweis:  Carola Traub, Kirchensteuer-Hebelisten, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: [...], Stand: 06.07.2017.

 

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