Maueranschläge im 19./20. Jh.

Von Peter Schiffer

An das Deutsche Volk in der Amerikanischen Zone! Dwight D. Eisenhower, Oberster Befehlshaber der Amerikanischen Streitkräfte in Europa, 19. September 1945, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS J 151 Nr. 2647)
An das Deutsche Volk in der Amerikanischen Zone! Dwight D. Eisenhower, Oberster Befehlshaber der Amerikanischen Streitkräfte in Europa, 19. September 1945, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS J 151 Nr. 2647)

Definition der Quellengattung

Der heute nicht mehr gebräuchliche Begriff „Maueranschläge“ ist die zeitgenössische Bezeichnung für Plakate, die an gewöhnlichen Mauern angebracht wurden. Hier konnten sie von jedermann bemerkt und gelesen werden, ohne dass ein besonderer Aufwand nötig war oder besondere Kosten für die Anbringung entstanden. Maueranschläge sind von einfacher Machart, weitgehend ohne Graphik oder gar Bebilderung, also reine Textplakate. Mit ihnen veröffentlichte die Obrigkeit ihre Aufrufe, Appelle, Verordnungen, Gesetze, Befehle oder andere Informationen für die Bevölkerung. Gerne wurden Maueranschläge während der Kriege im besetzten Gebiet zur Information und Beeinflussung der heimischen Bevölkerung durch die Besatzungsmacht eingesetzt. Die Grenzen des Begriffs sind nicht genau festgelegt, der Übergang zu anderen Arten von Plakaten ist eher fließend. Sicherlich konnten Maueranschläge auch anderswo angebracht werden. Heftzweckspuren belegen die Anbringung an Holzwänden oder auch Schwarzen Brettern. Charakteristisch für die Maueranschläge sind Einfachheit und Schlichtheit, die Einfachheit in der Anbringung und im verwendeten Material sowie die Schlichtheit in der Gestaltung.

Historische Entwicklung

Die große Zeit der Maueranschläge war das 19. und 20. Jahrhundert. Ein massenhafter Einsatz solcher Kommunikationsmittel erfolgte schon im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71.[1] Die jüngsten Beispiele sind Anschläge der Alliierten aus der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs für die deutschen Besatzungszonen.

Aufbau und Inhalt

Die Qualität des Schriftträgers Papier war oft dürftig. Häufig wurde zeitungsdünnes Papier verwendet. Bei Anbringung im Freien dürfte das nicht allzu lange gehalten haben. Maueranschläge waren keine dauerhaft haltbaren Plakate. Ihre Verwendung erfolgte für den Tagesbedarf und ihre Herstellung war oft durch die Einschränkungen der Kriegswirtschaft geprägt.

Von den Elementen des Plakates fehlt bei Maueranschlägen in der Regel die bildliche Darstellung. Es handelt sich vielmehr um reine Textmitteilungen von offiziellen Bekanntmachungen. Der Text kann graphisch gestaltet sein, also verschiedene Schriftgrößen, Unterstreichungen oder Fettdruck für Hervorhebungen verwendet, vielleicht auch mit einem Zierrahmen eingefasst sein. Oft ist die Überschrift (häufig das Wort „Bekanntmachung“) durch große Lettern hervorgehoben. Auch eine einfache farbliche Gestaltung kann vorkommen, ist aber relativ selten. Zuweilen wird gefärbtes Papier bedruckt, um den Maueranschlag hervorzuheben. Von Besatzungsmächten veranlasste Maueranschläge sind in der Regel zwei- oder mehrsprachig gehalten: Sie geben den Text in der Sprache der Besatzungsmacht und in der Sprache des besetzten Landes wieder. Die im Ersten Weltkrieg in Belgien verwendeten Anschläge waren sogar dreisprachig: Deutsch, Französisch und Flämisch. Die Aufteilung der Textblöcke erfolgte entsprechend dreispaltig neben- oder in drei Abschnitten übereinander angeordnet. Maueranschläge der gleichen Einrichtung können eine gedruckte Nummerierung enthalten, also eine Serie (mit gleichem Herausgeber und gleicher Machart) darstellen.

Überlieferungslage

Maueranschläge sind im Original hauptsächlich in Sammlungen überliefert wie im HStA Stuttgart, Bestand J 151, verstreute Einzelstücke können sich auch in Nachlässen oder anderen Beständen finden.[2] Schon während des Krieges wurden sie gesammelt und manchmal als Buch oder Broschüre für die Zeitgenossen gedruckt, so dass sie hier gebündelt greifbar sind.[3]

Quellenkritik und Auswertungsmöglichkeiten

Maueranschläge umfassen meist juristische Texte, also Gesetze und Verordnungen. Das sind normative Quellen, die nur etwas über ein gewünschtes Verhalten oder einen gewünschten Zustand aussagen, nicht aber den tatsächlichen Zustand beschreiben oder feststellen. Häufig kommt es zu Wiederholungen der Vorschriften oder zu Verschärfungen, ein Zeichen dafür, dass der gewünschte Zustand keineswegs erreicht war.

In den Maueranschlägen spiegelt sich das Verhältnis der Besatzungsmacht zum Untertan oder zum besetzten Land wider. Inhaltlich dienten die Maueranschläge z.B. zur Bekanntgabe kriegswirtschaftlicher Maßnahmen wie der Festsetzung von Höchstpreisen, Erfassung von militärisch verwertbaren Vorräten, oder zur Bekanntgabe der Bestrafung Einheimischer. Sie schärften auch erwünschte Verhaltensweisen bei der Bevölkerung des besetzten Gebietes ein, wie Einhaltung der Sperrstunden, Verdunkelungsmaßnahmen oder Versammlungsverbote.

Eine interessante Gruppe bilden die Maueranschläge mit „Informationen“ über die Kriegslage, mit denen der Widerstand gebrochen oder zumindest entmutigt werden sollte. In der Heimat dienten Maueranschläge etwa der Aufforderung zur Rekrutierung, zu Spendenaufrufen und zur Propaganda gegen die feindlichen Mächte, aber auch zur Stärkung des nationalen Selbstbewusstseins, zur Werbung für kulturelle Veranstaltungen und zur Bekanntgabe kriegswirtschaftlicher Maßnahmen.

Hinweise zur Benutzung

Wie andere Plakate sind Maueranschläge normal benutzbar. Wegen des Zeitabstandes und ihres öffentlichen Charakters gibt es keine Nutzungseinschränkung. Allenfalls aus Gründen der Bestandserhaltung kann bei schlecht erhaltenen Stücken die Benutzung des Originals in Einzelfällen verweigert werden. Wegen des unhandlichen Formates kann die Nutzung bei digitalisierten Beständen[4] bequem im Internet am heimischen PC erfolgen. Auch die zeitgenössischen Drucke[5] ermöglichen eine bequeme Nutzung, auch wenn sie die Stücke verkleinert oder nur als Text wiedergeben.

Anmerkungen

[1] Französische politische Mauer-Anschläge.
[2] Z.B. in HStAS Q 2/43 Unterlagen der Familie Beisbarth Bü 193, J 150 Flugschriftensammlung bis 1945, Rubrik „Weltkrieg – Maueranschläge“ und in einigen M-Beständen des Hauptstaatsarchivs.
[3] Z.B. Französische politische Mauer-Anschläge und Der Weltkrieg im Maueranschlag. Die Tatsache, dass die gedruckten Maueranschläge an der Front zum Verkauf angeboten wurden (vgl. J 151 Nr. 1240), belegt das große Interesse der Zeitgenossen. Wiedergabe von Maueranschlägen auch in: Anschläge.
[4] Die ca. 3000 Stück umfassende Sammlung von Maueranschlägen im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Bestand J 151) ist vollständig digitalisiert und online benutzbar.
[5] Französische politische Mauer-Anschläge; Der Weltkrieg im Maueranschlag.

Literatur

  • Anschläge. Politische Plakate in Deutschland 1900–1970, hg. u. komment. von Friedrich Arnold, Ebenhausen bei München 1973.
  • Französische politische Mauer-Anschläge während der Zeit vom September 1870 bis zum Mai 1871, ins Deutsche übertragen von Otto Simon, Amsterdam/Leipzig 1894.
  • Schiffer, Peter, Vorwort zu Bestand J 151 Maueranschläge (19.06.2017).
  • Der Weltkrieg im Maueranschlag. Naturgetreue Nachbildungen der Originale von Bekanntmachungen und Aufrufen während des Krieges 1914–1916, 1. Einfall der Russen in Ostpreußen. Befreiung Ostpreußens, 2. Bekanntmachungen im Elsass und in Lothringen. Aus der Zeit des Russeneinfalls in Ostpreußen, 4. Aufrufe der belgischen Regierung vor und während des Krieges, 3 Bd., Straßburg/Leipzig 1916–1917.

Zitierhinweis: Peter Schiffer, Maueranschläge im 19./20. Jh., in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: […], Stand: 28.06.2017.

 

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