Das Tennenbacher Güterbuch – ein mittelalterliches Großprojekt
Bücher zu schreiben, fällt dem einen leichter, dem anderen schwerer. Das war schon immer so und wird gewiss auch so bleiben. Indes sind Bücher in unserer Zeit längst etwas ganz Alltägliches, wir sind gewohnt mit ihnen umzugehen. Und wer gar selbst ein Buch schreiben will, dem stehen vielerlei Hilfsmittel zur Verfügung, die zumindest die technische Seite der Arbeit erleichtern.
Ganz anders im Mittelalter. Damals gehörten Bücher zunächst ganz zur Welt der Geistlichkeit. In Klöstern und Stiften dienten sie anfangs allein dem liturgischen Gebrauch im Gottesdienst, dann auch der Verwaltung des Güterbesitzes. Lange Zeit galten sie als große Kostbarkeiten. Denn bis ins späte Mittelalter schrieb man, weil das Papier noch nicht erfunden war, auf Pergament, das heißt auf Tierhaut, die zuvor sorgfältiger Bearbeitung bedurfte. Überdies schrieb man mit Geflügelfedern, in der Regel mit Gänsekielen, die kunstvoll präpariert werden mussten. Folglich war im Mittelalter die Herstellung selbst einfacher Bücher stets mit dem denkbar größten Aufwand verbunden.
Dem Güterbuch des einstigen Zisterzienserklosters Tennenbach im Schwarzwald kommt unter den nahezu 13.000 Berainen (Urbaren, Lagerbüchern) des Generallandesarchivs sowohl aufgrund seiner Gestalt und Ausstattung als auch seines Inhalts bei Weitem der erste Rang zu. Entstanden ist es zwischen 1317 und 1341, als die Mönche ihre Eigenwirtschaft aufgaben und die Klostergüter zur Leihe an zinspflichtige Bauern ausgaben. Konzipiert und großenteils auch selbst ausgeführt hat es der Klostercellerar Johann Zenlin. Mitgeholfen hat neben anderen vor allem der Klosterbruder Johann Meiger (Meier). In dem Vierteljahrhundert, während dessen das Güterbuch entstand, haderte Zenlin immer wieder mit dem Vorhaben, auf das er sich, gedrängt von seinen Mitbrüdern, eingelassen hatte. Stets fürchtete er, er werde die Vollendung des monumentalen Werks gar nicht mehr erleben. Schließlich erlebte er sie aber doch. Und 1336, also noch vor der Fertigstellung, wählte der Konvent ihn zum Abt – gewiss Ausdruck der Anerkennung, die er sich mit der Arbeit an dem kräftezehrenden Großprojekt erworben hatte. Abt Zenlin starb 1353 hochbetagt.
Sein Werk freilich hat ihn und sein Kloster um viele Jahrhunderte überdauert. Für die Nachwelt stellt es eine historische Quelle von unschätzbarem Wert dar, verzeichnet es doch nicht allein akribisch alle Güter und Gerechtsame der Tennenbacher Mönche in mehr als 230 Orten des ganzen Breisgaus, sondern es bietet darüber hinaus mancherlei Informationen chronikalischer Art. Mitunter sind in den Text sogar theologische und philosophische Notizen und Betrachtungen eingestreut. Von besonderer Bedeutung ist eine Abschrift des Freiburger Stadtrechts, die den entsprechenden Ortsartikel einleitet. Es handelt sich dabei um die älteste Überlieferung des Freiburger Stadtrechts überhaupt. So nimmt es nicht wunder, dass dieses Werk in allem größte Sorgfalt zu erkennen gibt – in seiner Anlage, in der beinahe kalligrafischen Schrift und nicht zuletzt in den vielfach kunstvoll gestalteten Initialen.
Gleich auf der ersten Seite sind auch in einer Initiale die Menschen dargestellt, denen wir dieses Güterbuch verdanken: Abt Johann Zenlin und sein Helfer Johann Meiger, Letzterer eben im Begriff aufzuschreiben, was ein Bauer über Abgaben und Dienste berichtet, die er dem Kloster schuldet. So mühsam und zeitraubend mussten alle in dem Güterbuch dokumentierten Informationen erst einmal erfragt werden. Denn entsprechende Aufzeichnungen, die man einfach hätte abschreiben können, gab es in Tennenbach davor nicht.
Kurt Andermann