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Grenzort Kehl: Brückenkopf – Festung – Europastadt

 

Plan der Stadt Straßburg mit Kehl und den Befestigungsanlagen am Rhein von Pieter Schenk (1660-ca.1718/19) [Quelle: Landesarchiv Saarbrücken, Bestand K Hellwig, Nr. 0944/wikipedia CC-BY-SA 3.0]
Plan der Stadt Straßburg mit Kehl und den Befestigungsanlagen am Rhein von Pieter Schenk (1660-ca.1718/19), [Quelle: Landesarchiv Saarbrücken, Bestand K Hellwig, Nr. 0944/wikipedia CC-BY-SA 3.0]

Der Rhein war schon immer eine wichtige Lebensader, eine überterritorial bedeutende wirtschaftliche Verbindung aber auch eine natürliche und politische Grenze, an der Konflikte mit militärischer Gewalt ausgetragen wurden. Die Gemeinden links und rechts des Stroms bekamen das zu spüren, so auch Straßburg und das benachbarte Kehl. Im 15. Jh. profitierten beide Orte von einer neu errichteten Holzbrücke. Das Projekt war ein gewaltiges Unternehmen, da der Strom ständigen Veränderungen unterworfen war und die Brücke immer wieder repariert und angepasst werden musste. Das Dorf Kehl und weitere Siedlungen wie das heute eingemeindete Sundheim unterstanden einem Kondominat unter Beteiligung der Herren von Geroldseck und Nassau, von dem um 1500 ein Teil an die Markgrafen von Baden kam. Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges hatte die Brücke eine Länge von fast eineinhalb Kilometern. Wegen ihrer strategischen Bedeutung war sie stets in die operativen Verteidigungsmaßnahmen Straßburgs einbezogen, wobei Kehl als jenseitigem Brückenkopf Bedeutung zukam.

Größere Verteidigungsanlagen um Kehl entstanden mit den Schanzen des Dreißigjährigen Krieges, die unzerstört blieben. Dies änderte sich gegen Ende des Holländischen Krieges (1672–1679), als Kehl von Frankreich angegriffen und eingenommen wurde. Kurz darauf wurde auch Straßburg besetzt. Kehl erhielt Festungsstatus und eine neue Zitadelle, Kern der nach Plänen von Vauban und Tarade eingeleiteten Baumaßnahmen. Derweil verließ die Kehler Bevölkerung die Festung und gründete südöstlich davon eine Siedlung gleichen Namens. Nach dem Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688–1697) fielen das Dorf und die Festung, nun Garnisonsstandort und Reichsfestung, zurück an das Heilige Römische Reich und unterstanden ab 1698 Baden-Baden unter Ludwig Wilhelm, dem Türkenlouis. Das Spiel wiederholte sich mehrfach. Ein erweitertes, noch umfassenderes Bastionssystem entstand während des Spanischen Erbfolgekriegs (1701-1714). Nach der neuerlichen Besetzung durch Frankreich 1703 entstand unter Einbeziehung der beiden Städte sowie dem Rheinübergang und den Flussauen eine der stärksten und beherrschendsten militärischen Anlagen am Oberrhein. Und ein weiteres Mal stellten die Friedensvereinbarungen von Rastatt und Baden den vorherigen Zustand wieder her.

Während der rund 60-jährigen Friedensperiode im 18. Jh. fiel die Festung 1771 an Baden-Durlach und erhielt kurz darauf Stadtrecht. Neue Kriege überzogen die Region nach der Französischen Revolution und unter Napoleon. Wie gehabt wechselte die Herrschaft, jetzt zwischen Frankreich, Österreich und Baden, bei dem es schließlich blieb. Es folgten neue Aufbauarbeiten. Die Verteidigungsanlagen wurden nach 1815 entfernt. Ab den 1860er Jahren überspannte eine Eisenbahnbrücke den Rhein, Bestandteil einer direkten Bahnverbindung Paris – Wien. Doch noch kehrte keine Ruhe ein. Während des Deutsch-Französischen Krieges fielen sowohl Teile Straßburgs als auch Kehl den Angriffen der jeweils gegnerischen Seite zum Opfer. Von 1919 bis 1930 und nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Kehl zu Frankreich. Immer wieder war die Bevölkerung des Grenzgebiets von Evakuierungsmaßnahmen betroffen. Bis 1953 die letzten französischen Einheiten den Ort verließen, wurden in Kehl auch Wohnungslose aus Straßburg untergebracht.

Heute gehört Kehl zum ersten, 2005 eingerichteten Eurodistrikt (Strasbourg-Ortenau). Sichtbares Zeichen ist die 1960 freigegebene Europabrücke über den Rhein sowie die autofreie Brücke der zwei Ufer mit ihren Gartenanlagen.

Mehr zu den deutsch-französischen Beziehungen finden Sie im Themenblock: Unser Nachbar Frankreich - Zwischen Feindberührung und »amitié« auf LEO-BW.

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