Seufert, Wilhelm 

Geburtsdatum/-ort: 13.12.1885;  Feuerbach bei Kandern
Sterbedatum/-ort: 21.07.1974;  Lörrach
Beruf/Funktion:
  • evangelischer Ostasienmissionar
Kurzbiografie: 1885-1896 Feuerbach, Wollbach, Karlsruhe, Leopoldshafen
1897-1903 Grenzach, Hebelgymnasium Lörrach, 1904 Abitur
1904-1909 Theologiestudium in Straßburg und Heidelberg, 1909 Ordination
1909-1910 Einjährig-Freiwilliger im Badischen Leibgrenadier-Regiment Nr. 109 in Karlsruhe
1910-1912 Stadtvikar in Gernsbach und Mannheim
1912-1952 Missionar und Lehrer in Tsingtau
1914-1920 Kriegsgefangenschaft in Japan
1920-1922 Studium der Sinologie in Hamburg, 1922 Dr. phil.
1922 Rückkehr nach Tsingtau
1934 Dr. theol. h. c. (Heidelberg)
1939 (Sommer) Heimaturlaub, Lehrtätigkeit am Bad Godesberger Pädagogium Otto-Kühne-Schule, 1940 (Mai) Rückkehr nach Tsingtau
1952 (01.04.) Heimkehr nach Günterstal bei Freiburg i. Br., Pensionierung, Vortragstätigkeit
1973 Lörrach (Evangelisches Alters- und Pflegeheim)
1974 Goldenes Doktorjubiläum (Erneuerung des Diploms)
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1920 Karlsruhe, Beatrice, geb. Blind (1891-1973)
Eltern: Wilhelm Seufert (1850-1903), Pfarrer
Agnes, geb. Wied (1856-1927)
Geschwister: 9 (zwei starben im Kindesalter)
Kinder: keine
GND-ID: GND/1012577716

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 432-434

Als der Theologiestudent Seufert im Thomasstift in Straßburg dem zehn Jahre älteren Privatdozenten der Theologie Albert Schweitzer begegnete, bereitete sich dieser durch ein Medizinstudium auf den Aufenthalt in Lambarene vor. Schweitzers Vorbild regte Seufert an, seine lebensbestimmende Entscheidung zu treffen: Er beschloß, dem Beispiel Schweitzers zu folgen. Es läßt sich nur mutmaßen, weshalb sich Seufert für Ostasien entschied, auszuschließen ist nicht, daß der Einfluß Schweitzers, des großen Verehrers der altchinesischen Weisen, dabei mitgespielt hat.
So trat der 27jährige, nach kurzen Vikarsjahren, im Dienst der Deutschen Ostasienmission die weite Reise nach dem kaiserlichen Tsingtau an, das das Deutsche Reich 14 Jahre zuvor für 99 Jahre gepachtet hatte. In der Zeit der Ankunft Seuferts fuhr der deutsche Gouverneur noch in prächtiger Pferdedroschke mit livrierten Dienern auf dem Bock durch die Stadt; aber der imperiale Glanz verschwand schon nach zwei Jahren: Am 7.11.1914 eroberten die Japaner Tsingtau. Seufert, der frühere Karlsruher Leibgrenadier, hatte als Vizefeldwebel im Verband des Marine-Detachements bei der Verteidigung der Stadt mitgewirkt, überlebte und geriet in japanische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst im Frühjahr 1920 entlassen wurde. Auf der Heimreise nach Europa lernte er seine spätere Ehefrau kennen, übrigens eine Enkelin von Karl Blind, dem Kampfgenossen Struves und Heckers. Nach der Hochzeit in Karlsruhe siedelte das junge Paar nach Hamburg über, wo Seufert seinen sinologischen Studien nachging und promovierte. Japanisch und Chinesisch hatte er während der Gefangenschaft gelernt. Wenige Tage nach der mündlichen Prüfung trat das Ehepaar die Reise nach Tsingtau an, wo Seufert seine Ämter als Missionar, Lehrer an der deutschen Schule – die zeitweise bis zu 1 400 Schüler hatte – und als Pfarrer der deutschen Gemeinde wiederaufnahm. Auch standen vier Kliniken des Missionswerkes in seiner Obhut. Die Anfangsschwierigkeiten waren groß. Nach den chinesischen Gesetzen, die Seufert genauestens beobachtete, mußten Chinesen an der Spitze der Schule stehen. Aber de facto hielt Seufert die Zügel des Geschehens in der bis zum Abitur führenden großen Anstalt fest in der Hand. Der Religionsunterricht durfte nur auf freiwilliger Basis und nur außerhalb der Unterrichtsstunden gegeben werden. Außer Religion gab Seufert Deutsch, Englisch und Geschichte. Bis zum Ende, d. h. bis 1952, sei es nie zu ernsteren Konflikten zwischen Europäern und Chinesen gekommen, berichtet Seufert.
1938 marschierten wieder die Japaner in Tsingtau ein, und die Arroganz der der Schule aufgenötigten unfähigen japanischen Lehrer rief viele Spannungen hervor, denen Seufert mit dem ihm angeborenen diplomatischen Geschick zu begegnen wußte. Im Mai 1939 trat das Ehepaar den fälligen Heimaturlaub an. Der Kriegsausbruch machte die Rückkehr vorerst unmöglich. Erst im Mai 1940 konnten Seufert und seine Frau den Zug in Richtung Rußland-Sibirien-China besteigen, und dies nur mit Hilfe des Hamburger NS-Reichsstatthalters Karl Kaufmann, der persönlich alle Paß- und Zollschranken beiseite räumte, obwohl Seufert ihm gegenüber aus seiner das „Dritte Reich“ ablehnenden Haltung kein Geheimnis gemacht hatte.
1945, nach der Niederlage Japans, kehrten wieder die Chinesen nach Tsingtau zurück, und die amerikanischen Sieger hielten zunächst ihre schützende Hand über die Schule und die anderen Einrichtungen der Mission, bis schließlich im Juni 1949 mit dem Einzug der chinesischen Kommunisten in Tsingtau die letzte Etappe der Tätigkeit Seuferts dort anbrach. Er unterrichtete noch bis Juni 1951 an der jetzt von Kommunisten dirigierten Schule, beendete aber seine Arbeit, als er zwar in den von den Schülern ausgestellten Zeugnissen – so war es damals dort üblich – als „vorzüglicher und gerechter Lehrer“ bestätigt wurde; jedoch wurde seine „Umerziehung zum Kommunismus“ für nötig gehalten. Die Missionare wurden jetzt als „Spürhunde des Imperialismus“ angesehen.
Nach seiner fast vierzigjährigen Tätigkeit in Fernost zog Seufert folgendes Resümee: Wir „bitten Gott, daß Er die Zeit heraufführen möge, in der nach unserer Lebenszeit ein neuer Kontakt mit China möglich sein wird und eine Zusammenarbeit mit den dort verbliebenen Christen wieder beginnen kann, die freilich von der einstigen Missionsarbeit grundverschieden sein muß.“ Die Aufgabe des Missionars sah Seufert ausschließlich in der Funktion des Helfers, ohne europäische Überheblichkeit und ohne Inanspruchnahme von Privilegien. Seuferts Gesinnung war ökumenisch. In den Wirren der Kriegsereignisse bewies er persönlichen Mut. Der katholische Missionsbischof Olbert berichtete, daß Seuferts mannhaftes Eintreten für seine katholischen Brüder und Schwestern deren Rettung im Gefängnis bedeutet habe.
Leider konnte Seufert, einer der wenigen deutschen Ostasienexperten von Rang, seine einzigartige fernöstliche Erfahrung nicht auf einem Universitätsstuhl weiterreichen. 1940 sollte er eine Professur in Halle antreten, unter den Auspizien seines verehrten Straßburger Lehrers Johann Ficker (1861-1944); aber nach der Antrittsvorlesung riet ihm dieser, so schnell wie möglich nach China zurückzukehren, da er bei dem Freimut, mit dem er aufzutreten gewohnt sei, bald im KZ landen werde. Verständlich ist, daß Seufert bei der enormen Arbeitslast des Missionars und Lehrers nur wenig publizieren konnte. Aber diese wenigen Schriften zeugen von vollkommener Vertrautheit mit der ostasiatischen Geisteswelt und sicherem Urteilsvermögen.
Quellen: Mitteilungen von Herbert Seufert, Neffe von Wilhelm Seufert, Bonn
Werke: Urkunden zur staatlichen Neuordnung unter der Han-Dynastie, 1922; Der Konfuzianismus als geistiger Hintergrund des chinesischen Kommunismus, in: Neckarauer Hefte Nr. 13, 1964; Rückblick auf die China-Arbeit; Tsingtau in Geschichte und Gegenwart (beide Aufsätze in: Elisabeth Seufert, Wilhelm Seufert (siehe Literatur))
Nachweis: Bildnachweise: im Besitz von Herbert Seufert, Bonn-Bad Godesberg

Literatur: Erich Kühn, In memoriam D. Dr. phil. Wilhelm Seufert, Neckarauer Blätter der Ostasienmission (Heidelberg 1974); Elisabeth Seufert, Wilhelm Seufert (Privatdruck Karlsruhe 1974)
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