Hertz, Heinrich Rudolf 

Geburtsdatum/-ort: 22.02.1857; Hamburg
Sterbedatum/-ort: 01.01.1894; Bonn
Beruf/Funktion:
  • Physiker
Kurzbiografie:

1863 X–1872 III Besuch einer privaten Bürgerschule in Hamburg

1872–1874 Privatunterricht zur Vorbereitung auf das Abitur

1874 IV–1875 III 2 Besuch der Prima der „Gelehrtenschule“ des Johanneums, Hamburg, bis Abitur

1876 IV–IX Studium des Bauingenieurwesens am Polytechnikum in Dresden

1877 X–1878 IX Einjährig-Freiwilliger beim 1. Garde-Eisenbahnreg. in Berlin

1878 XI–1880 II Studium der Physik und Mathematik an den Universitäten München, WS 1877/78 und SS 1878, und Berlin

1880 II 5 Promotion „magna cum laude“ in Berlin bei Hermann Helmholtz: „Über Induktion in rotierenden Kugeln“; Diplom vom 15. Mrz. 1880

1880 X–1883 III Assistent am Physikalischen Institut der Universität Berlin bei Helmholtz

1883 V 5 Habilitation für Mathematische Physik an der Universität Kiel: „Über Berührung fester elastischer Körper“; Antrittsvorlesung „Über die Grundlagen der mechanischen Wärmetheorie“

1883 V–1885 III Privatdozent an der Universität Kiel

1885 IV–1889 III Professor für Physik an der TH Karlsruhe. Antrittsvorlesung „Über den Energiehaushalt der Erde“ am 20. April 1885.

1889 IV–1893 XII Professor der Physik an der Universität Bonn

Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch-lutherisch
Auszeichnungen: Ehrungen (Auswahl): Korrespondierendes Mitglied der Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen (1888); Korrespondierendes Mitglied der Preussischen Akademie der Wissenschaften, Berlin (1889); Ehrenmitglied des Naturwissenschaftlichen Vereins zu Hamburg (1889); Lazarus-Preis der Académie des Sciences, Paris (1889); Rumford-Medaille der Royal Society of London (1890); postum: die weltweit vereinbarte Bezeichnung Hertz (Hz) für die Maßeinheit der Frequenz von Schwingungen (1935).
Verheiratet:

1886 (Karlsruhe) Elisabeth, geb. Doll (1864–1941)


Eltern:

Vater: Gustav Ferdinand (1827–1914), Dr. iur., Advokat, seit 1877 Richter, 1887–1904 Senator und Chef der Hamburger Justizverwaltung

Mutter: Anna Elisabeth, geb Pfefferkorn (1835–1910)


Geschwister:

4; Gustav (1858–1904), Rechtsanwalt, Rudolf (geb. 1861), Otto (1867–1884) und Melanie (geb. 1873)


Kinder:

2; Johanna Sophie Elisabeth (1887–1967), Kinderärztin, und Mathilde Carmen (1891–1975), zunächst Bildhauerin, später Biologin u. Tierpsychologin

GND-ID: GND/11855008X

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 235-241

Hertz, einer der bedeutendsten Physiker des 19. Jahrhunderts, wurde in eine angesehene und wohlhabende hanseatische Familie geboren. Seine Großeltern, Juden, ließen sich und ihren siebenjährigen Sohn, der Hertz Vater wurde, lutherisch taufen. Damit wurde es möglich, Bürgerrecht in Hamburg zu erwerben. Hertz Vater studierte Jura, wurde promoviert und mit 22 Jahren begann seine sehr erfolgreiche Karriere als Hamburger Rechtsanwalt. Bald konnte er eine eigene Kanzlei gründen und 1856 heiratete er die Tochter eines Frankfurter Arztes. Die glückliche Ehe prägte die Entwicklung der Kinder. Ganz unüblich für das 19. Jahrhundert ermöglichen die Eltern eine freie Entfaltung ihrer Kinder, zunächst ihres Ältesten, der schon früh viel Eifer und Begabung zeigte. Mit 6½ Jahren gaben ihn die Eltern in die Bürgerschule von Dr. Wichert Lange, die auf Reformpädagogik basierte und den Schülern eine vielseitige Ausbildung vermittelte, einschließlich manueller Fertigkeiten.

Die Interessen Hertz entwickelten sich mannigfach, ja „heterogen“ (M. Steiner und a., 1958, S. 13). Über die Schulpflichten hinaus las er viel, u.a. Bücher über Mathematik und Naturwissenschaften; sein unermüdlicher Beschäftigungsdrang trieb ihn, sich mit vielfältigen Dingen zu befassen: Der Vater richtete im Haus eine Werkstatt ein und Hertz lernte u. a. Papparbeiten auszuführen, Ton kneten, tischlern und drechseln. Sehr früh begann er physikalische Apparate anzufertigen. Mit 15 Jahren verließ Hertz die Bürgerschule. In seinem Zeugnis stand für alle Fächer „Vorzüglich“. Nur für Musik fehlte eine Note: Hertz war hoffnungslos unmusikalisch und von diesem Fach befreit.

Er ließ auch große Sprachbegabung erkennen, die seinen Vater veranlasste, ihn auf das Abitur im renommierten humanistischen Gymnasium, dem Johanneum, vorzubereiten. Zwei Jahre lang lernte er täglich bei Privatlehrern Latein, Griechisch und Mathematik und Sonntags besuchte er eine Gewerbeschule, um seine handwerklichen Fertigkeiten zu verbessern. Im Herbst 1874 wurde Hertz in die Oberprima der „Gelehrtenschule“ aufgenommen und bestand im März 1875 das Abitur, um das „Baufach zu studieren“, so in seinem Zeugnis der Reife (Eckert, 2010, S. 23). Die Prüfungsakten schreiben ihm zu: „eine scharfe Logik, ein sicheres Gedächtnis und Leichtigkeit, wenn auch keine Schönheit des Ausdrucks. Er ist für reales ebenso gut wie für abstraktes Denken gemacht“. Insgesamt sei er „eine gesunde, kräftige Natur, körperlich und geistig“ (Funkensprünge…, 1988, S. 3 in: Baden-Württemberg, 1988)

Zur Vorbereitung des Studiums ging Hertz als Praktikant für sechs Monate nach Frankfurt und erfuhr die Realität der Arbeit im Bauamt, die ihn absolut nicht begeisterte. Trotzdem hielt er durch und ließ sich anschließend beim Dresdener Polytechnikum immatrikulieren. Nach einem Semester pausierte er, um seine Militärpflicht abzuleisten. 1887 wurde er nach Militärübungen Leutnant der Reserve.

Im Herbst 1878 nahm Hertz sein Bauingenieur-Studium wieder auf und wechselte an die TH München, wo er bald begriff, dass seine Lebensaufgabe die reine Naturwissenschaft sei. Nach einer Vereinbarung mit seinem Vater immatrikulierte sich Hertz an der Universität, wo er zwei Semester lang intensiv Physik und Mathematik studierte. Rasch erkannte er, dass in Berlin die Voraussetzungen besser waren; Hermann Helmholtz (1821–1894) und Gustav Kirchhoff (1824–1887) lehrten dort. Hertz durfte als Praktikant im von Helmholtz geleiteten physikalischen Laboratorium arbeiten. „Schon während er die elementaren Übungsarbeiten durchführte“, erinnerte sich Helmholtz, „sah ich, dass ich es hier mit einem Schüler von ganz ungewöhnlicher Begabung zu tun hatte“ (Helmholtz, 1894, Vorwort, XI). Helmholtz stellte seinem Studenten als eine Preisaufgabe der Fakultät ein Thema, das Hertz meisterhaft löste. Er erhielt den Preis und durfte 1880, noch als Student, die Ergebnisse publizieren. Eine weitere Preisaufgabe, nun der Berliner Akademie, bezog sich auf das Problem, ob elektrodynamische Wirkungen bei den Dielektrika möglich sind. Sie stammte von Helmholtz und zielte auf die Prüfung der Maxwellschen Theorie des Elektromagnetismus. Helmholtz schlug die Aufgabe Hertz vor, aber nach einigen Monaten Arbeit erschien sie Hertz mit den damaligen Möglichkeiten der Experimentaltechnologie als unerfüllbar, woraufhin er aufgab. Das Problem der Maxwellschen Theorie jedoch beschäftigte ihn weiter.

Sein fünftes Semester benutzte er, um seine Doktorarbeit zu verfassen, die stark mathematischen Charakter hatte: Auf den Gleichungen und Methoden der damaligen Physik basierend berechnete Hertz die Induktion in rotierenden metallischen Kugeln, die durch deren Wechselwirkung mit Magneten entsteht. Im Januar 1880 legte er seine Dissertation der Philosophischen Fakultät vor, mit dem Gesuch, ihn im fünften Semester zum Doktorexamen zuzulassen. Vorgeschrieben war ein mindestens sechssemestriges Studium. Die Sondergenehmigung wurde erteilt und im Februar 1880 bestand Hertz seine Doktorprüfung in Physik, Theoretischer Physik, Philosophie und Mathematik mit „magna cum laude“. Prädikatspromotionen waren bei Helmholtz und Kirchhoff die Ausnahme.

Im Herbst 1880 wurde er dann Assistent am physikalischen Laboratorium und hatte das Praktikum am physikalischen Institut zu betreuen. Selbständig war er auf der Suche nach geeigneten Fragestellungen zur Bearbeitung: Da er sich für eine akademische Laufbahn entschieden hatte, musste er sich natürlich um wissenschaftliche Publikationen bemühen und über eine Habilitation nachdenken. So entstanden während seiner Assistentenzeit etwa ein Dutzend gediegener Arbeiten über verschiedene Themen, besonders das theoretische Werk „Über die Berührung fester elastischer Körper“ (1881), dessen Ergebnisse bis heute in Mechanik und Technik von Bedeutung sind, und eine experimentelle Untersuchung über Verdampfung des Quecksilbers (1882), die in einer noch aktuellen Gleichung für die Verdampfungsgeschwindigkeit von Flüssigkeiten, die sog. Hertz-Knudsen-Formel, gipfelt.

Im Februar 1883 erhielt die Universität Kiel an Stelle eines planmäßigen Extraordinariats für „Mathematische Physik“ eine bezahlte Privatdozentenstelle. Es war erwünscht, dass ein angehender Physiker sich für dieses Fach in Kiel habilitiere. Nach der Empfehlung von Kirchhoff machte die Kieler Universität Hertz dieses Angebot. Auch wenn es ihm nicht leicht fiel, seinen Wirkungskreis zu verlassen, nahm Hertz das Angebot an. In Kiel wurde eine seiner schon publizierten Arbeiten als Habilitationsschrift anerkannt, und das Verfahren bald abgeschlossen.

Als Dozent las er zunächst ein „Repertorium zur allgemeinen Physik“ und „Mechanische Wärmetheorie“, im zweiten Semester „Optik für Mediziner“ und „Theoretische Elektrizität und Magnetismus“, wobei er die einfachen Demonstrationen in seiner Wohnung vorbereiten musste. Die Apparate des physikalischen Instituts waren nur dem Physik-Ordinarius zugänglich. Im nächsten Semester sollte Hertz wieder ein Repertorium und eine Vorlesung über Hydrodynamik lesen, außerdem aber las er öffentlich über die Konstitution der Materie, ein Gegenstand, den er als Buch zu bearbeiten plante. Das Manuskript dieser Vorlesung wurde erst 1999 veröffentlicht. Es ist eine allgemeinverständliche Version der Auffassung Hertz von der Elektrodynamik mit Betonung der Bedeutung der Maxwellschen Theorie, obwohl diese von den meisten deutschen Physikern damals eher als Kuriosität betrachtet wurde. Gleichzeitig legte Hertz seine elektrodynamischen Ansichten in einem wissenschaftlichen Artikel (1884) nieder – „eine theoretische Leistung ersten Ranges“, so Max Planck (1894, S. 278).

In Kiel erwies sich Hertz als erfolgreicher Dozent, der in seinem zweiten Semester etwa 50 Zuhörer hatte, eine beachtliche Zahl für die kleine Universität! Trotzdem fühlte er sich nicht zufrieden, da er keine Möglichkeiten für experimentelles Arbeiten hatte. Er musste sich also auf theoretische und literarische Tätigkeiten konzentrieren.

Im Herbst 1884 wurde in Karlsruhe bekannt, dass der Physikprofessor des Polytechnikums, Ferdinand Braun, seine Stelle zum Sommersemester 1885 verlassen werde. Auf den vakant werdenden Lehrstuhl wurde Hertz von zwei Seiten empfohlen, von Albert Ladenburg, damals Rektor der Kieler Universität, der als gebürtiger Badener ein Gewährsmann für Karlsruhe war und vom Badischen Ministerium als Berater hinzugezogen wurde, dann von Helmholtz, mit dem der für die Vorbereitungen der Berufung zuständige Carl Engler gesprochen hatte. In dem Bericht, den Engler und Franz Grashof (1826–1893) dem Ministerium vorlegten, stand über Hertz u. a.: „bald 28 […] wird Hertz als hervorragend tüchtig geschildert, als ein junger Physiker, der die größten Hoffnungen für die Zukunft erweckt“ und in Briefen der Professoren Ladenburg und Emmerling, er sei „als beliebter Lehrer sehr gerühmt“ (GLA Karlsruhe 448/2355).

Die Technischen Hochschulen galten damals als zweitrangig gegenüber den Universitäten und Hertz schwankte zunächst. Als er aber das physikalische Laboratorium gesehen hatte, entschied er sich sofort, den Ruf anzunehmen, obwohl ihm, wegen seines geringen Alters ein ziemlich bescheidenes Gehalt geboten war. Als Professor musste Hertz vornehmlich Physik, aber auch Elektrotechnik und Meteorologie unterrichten.

Das erste Jahr in Karlsruhe verging über der Erarbeitung der großen Experimentalvorlesung über Physik mit Vorbereitungen zu Demonstrationen. Dazu war es notwendig, die Einsatzmöglichkeiten der vorhandenen Apparate und Einrichtungen zu klären. Die Frage über ein eigenes Forschungsgebiet blieb bis Herbst 1886 unentschieden. „Ein glücklicher Zufall“ (Hertz, 1892, Untersuchungen, S. 2), veränderte dies plötzlich. Er führte Versuche mit Induktionsspulen für seine Vorlesung durch und bemerkte: beim Entladen eines Kondensators durch eine Spule sprangen „Nebenfunken“ auch in der Funkenstrecke bei einer anderen, danebenliegenden Induktionsspule. In modernen Begriffen: Die erste Spule war Sender, die zweite Empfänger elektromagnetischer Schwingungen. Das verstand Hertz zunächst noch nicht, erkannte aber, dass dies eine hochinteressante Erscheinung war, denn es musste sich um sehr schnelle durch Funken erzeugte elektrische Schwingungen handeln. So begannen für Hertz zwei Jahre intensivster Arbeit mit Höchstleistungen, ausgehend von dieser „überraschenden Eigenschaft des elektrischen Funkens, welche durch keine Theorie vorausgesehen war“ (1892, Untersuchungen, S. 3–4).

In einem ersten Schritt konstruierte er ein Gerät, heute als „Hertzscher Dipol“ oder „Hertzscher Oszillator“ bekannt, das ihm ermöglichte, regelmäßige, reproduzierbare hochfrequente elektrische Schwingungen zu erzeugen und bei einem anderen Gerät mit Funkstrecke, also „Resonator“, die „Nebenfunken“ zu induzieren. In anstrengender Arbeit erforschte Hertz dann nach und nach das entdeckte Neuland. Sein Weg war nicht „so zielstrebig, wie man in Nachhinein annehmen möchte“ (Eckert, 2010, S. 91). Die wichtigsten Etappen und Ereignisse wurden zunächst von Hertz selbst beschrieben (1892, Untersuchungen…, Einleitende Übersicht) und später aufgrund seines Nachlasses, einschließlich der Laborprotokolle, 1995 von H. G. Hertz, M. G. Dongel und 1997 von Fölsing ausführlich rekonstruiert.

Hertz untersuchte die von ihm beobachteten Schwingungen von verschiedenen Seiten, insbesondere die Bedingungen, die Einfluss auf die Induktionswirkung ausüben. Die erste Publikation „Über sehr schnelle elektrische Schwingungen“ wurde im März 1887 zum Druck gegeben.

Als Nebenergebnis im Frühjahr 1887 machte er noch eine andere bedeutende Entdeckung: Hertz beobachtete und beschrieb den „Photoeffekt“, der durch ultraviolettes Licht hervorgerufen wird. Er ahnte, dass dieser Effekt von großer Bedeutung sei, überließ dessen Erforschung aber anderen, um vom Hauptthema nicht abzuweichen.

Mehrere Monate experimentierte er mit verschiedenen Isolatoren mit dem Ziel, die alte Preisaufgabe von 1879 zu lösen. Diesmal war er erfolgreich und Ende 1887 legte er den Artikel „Über die Induktionserscheinungen…“ vor.

Nebenbei kamen verschiedene Beobachtungen über Induktionswirkungen zusammen, insbesondere über die Rolle räumlicher Verhältnisse: Abstand und gegenseitige Ausrichtung von Oszillator und Resonator. Dabei trat die Wellennatur der Induktionswirkung immer deutlicher hervor, auch wenn Hertz noch immer vorsichtig von „Wirkungen“ sprach. Der Tagebucheintrag vom 7. November 1887 lautete: „Stehende elektrische Schwingungen in geradlinig gespannten Drähten aufgefunden von 3 m Wellenlänge“ (Heinrich Hertz 1927, S. 180, auch 1977, S. 234). Aufgrund dieser wichtigen Beobachtung ersann Hertz ein Verfahren zur Bestimmung der Ausbreitungsgeschwindigkeit seiner „Wirkungen“: Die stehenden Wellen in Drähten konnten mit durch die Luft fortgeleitete Wirkung zur Interferenz gebracht werden und daraus die Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektrodynamischen Wirkungen entlang des Drahtes ermittelt werden. Im Dezember 1887 fand Hertz heraus, dass diese mit etwa zwei Drittel Lichtgeschwindigkeit endlich ist. Hier unterlief ihm anfangs ein Fehler: Die Ergebnisse waren, wie er später erkannte, durch Reflexionen von den Wänden und den großen eisernen Ofen verzerrt. Wären sie richtig gewesen, hätten sie bedeutet, dass die Maxwellsche Theorie wenigstens korrigiert werden müsse. Diese Schlussfolgerung musste natürlich zuverlässig bestätigt werden.

Dank einer glücklichen Nebenbeobachtung konnte Hertz die Apparatur konstruieren, die Wellen statt von einigen Metern nur von 25–40 cm zu erzeugen ermöglichte. Nun kehrte er zu Messungen über Ausbreitungsgeschwindigkeit seiner „Wirkungen“ zurück und führte sie jetzt fehlerfrei durch, worauf er deren Gleichheit mit der Lichtgeschwindigkeit feststellte. Nun begann Hertz „Endspurt“. Binnen drei Wochen fast kontinuierlicher Arbeit – daneben musste er noch seine Vorlesungen halten – konnte Hertz für seine „Wirkungen“ Beugung, Brechung und Polarisation beweisen, die für Licht in der Optik seit Langem bekannt waren und die bedeuten, dass es sich um Transversalwellen handelt. In acht Tagen verfasste er die sofort berühmt gewordene Schrift „Strahlen elektrischer Kraft“, nach dem Zeugnis von Hertz Frau, seiner Ansicht nach „die beste seiner Arbeiten“ (Heinrich Hertz 1927, S. 203, auch 1977, S. 270, Brief von Elisabeth Hertz an die Schwiegereltern vom 9. Dezember 1888). Helmholtz erhielt sie am 11. Dezember und am 13. stellte er sie der Akademie der Wissenschaften vor. Sie erschien bereits Ende 1888. Dieser Artikel krönte Hertz zweijährige Arbeit; denn damit wurde das Ziel erreicht, „Zweifel an der Identität von Licht, strahlender Wärme und elektrodynamischer Wellenbewegung zu beseitigen“ (ebd., S. 1397)

Inzwischen musste Hertz Angelegenheiten seiner Berufung an eine Universität klären. Zur Vorgeschichte gehörte ein Ruf nach Gießen im Sommer 1888. Friedrich Althoff (1839–1908), der mächtige preußische Hochschulreferent, veranlasste eine Besprechung über andere Möglichkeiten. Auf dessen Einladung hin besuchte Hertz im Oktober 1888 Berlin und erhielt am 10. Dezember das Angebot zur Auswahl: Berlin als Nachfolger von Gustav Kirchhoff oder Bonn als Nachfolger von Rudolf Clausius (1822–1888). Hertz antwortete, dass er Bonn bevorzuge, weil er in Berlin nur als Theoretiker hätte tätig sein können. Das physikalische Institut dort unterstand Helmholtz. Hertz besuchte Bonn am 22. Dezember.

Sofort nach seiner Rückkehr, noch am Heiligen Abend, schrieb Hertz dem Direktor der Karlsruher TH, dass er den Ruf nach Bonn zum 1. April 1889 angenommen habe und setzte, wohl nicht ohne Ironie, hinzu: „Ich weiß nicht, ob ich mich zu entschuldigen habe, dass ich jenen Ruf annahm, ohne vorher der hiesigen Regierung die Möglichkeit zu geben, mich durch Verbesserung meines Gehaltes hier zu halten“ (GLA Karlsruhe 76/9942, Brief Hertz vom 24. Dez. 1888).

Anfang 1889 fasste Hertz seine Karlsruher Ergebnisse allgemeinverständlich in Form eines Vortrags „Über Beziehungen zwischen Licht und Elektrizität“ zusammen. Zunächst hielt er ihn am 22. Februar 1889 vor den 60 Mitgliedern des Naturwissenschaftlichen Vereins in Karlsruhe. Er musste bald danach seinen Auftritt wiederholen, diesmal im übervollen Hörsaal der TH, wobei er großen Beifall erntete. Am 21. September 1889 hielt er wohl eine überarbeitete Fassung vor der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Heidelberg (1889, Tageblatt, S. 144–149). Sein Erfolg war groß. Der Vorsitzende, Georg Quincke, Physikprofessor in Heidelberg, sagte dazu, dass „wir wieder an dem Beginn einer neuen Epoche der Naturforschung stehen“ (ebd. S. 149). Der Vortrag wurde als Broschüre bis zur 13. Auflage 1923 herauszugeben.

Danach verfasste Hertz zwei bedeutende theoretische Aufsätze zur genaueren Darstellung der Maxwellschen Theorie (1890, Über die Grundgleichungen der Elektrodynamik…), wodurch die Maxwellsche Theorie ihre moderne Form in der Geschichte der Physik gewann, in der sie den späteren Physiker-Generationen bekannt wurde.

Der Anfang von Hertz Tätigkeit in Bonn galt rein theoretischen Bemühungen. Mit dem Experimentieren musste er noch warten, bis die nötigen Apparaturen angeschafft waren. Unterdessen arbeitete er intensiv theoretisch und vollendete die im Februar 1889 in Karlsruhe begonnenen „Grundgleichungen der Elektrodynamik“. Auch ein großes Werk über die Prinzipien der Mechanik nahm er in Angriff. Außerdem bereitete Hertz eine Sammlung seiner Arbeiten vor, die er unter dem Titel „Untersuchungen über die Ausbreitung der elektrischen Kraft“ mit dem „Einleitenden Überblick“ Ende 1891 in Druck gab.

Im Herbst 1891 führte Hertz noch eine experimentelle Arbeit durch, die seine letzte Publikation werden sollte: wichtige Beobachtungen über die Kathodenstrahlen. Deren Fortsetzung überließ er seinem Assistenten Philipp Lenard, der auf diesem Forschungsfeld so erfolgreich war, dass ihm 1905 der Nobelpreis verliehen wurde. Lenard war es auch, der Hertz „Gesammelte Werke“ postum herausgab.

Im Sommer 1892 trat bei Hertz eine seltene Krankheit in Erscheinung, eine Art Entzündung in Nasen- und Ohrenhöhlen, unter der er stark litt. Im Oktober dieses Jahres war er bettlägerig und ahnte bereits Anfang 1893, dass diese Krankheit unheilbar sei: „Nichts ist schwerer als ein Kampf, den man nicht mehr um den Sieg kämpft, sondern um nicht unanständig zu fallen“, gab er zu (Heinrich Hertz, 1927, S. 250, auch 1977, S. 332, Brief an die Eltern vom 3. Januar 1893). Er kämpfte, indem er sein letztes Werk, über die Prinzipien der Mechanik, zum Druck vorbereitete. Die Krankheit unterdessen schritt unaufhaltsam fort. Letztendlich führte sie zur Blutvergiftung, der Hertz erlag.

Die weltweit erschienenen Nachrufe spiegeln die Bedeutung seines Werks wider und betonten, dass Hertz die Maxwellsche Lehre über die elektromagnetischen Wellen experimentell bestätigt hatte. Seltener nur war hinzugefügt, dass Hertz diese Theorie in eine vollkommenere Form gebracht hatte. Von technischen Anwendungsmöglichkeiten der „Hertzschen Wellen“ sprach man zunächst nicht. Diese wurden erst Jahre später erkannt – dann aber ungemein schnell.

Die Bedeutung der Entdeckung Hertz für das Entstehen der Funktechnik ist heute klar. Vielleicht wird sie am besten durch die Tatsache symbolisiert, dass die erste Funkmitteilung in der Geschichte, die Alexander Popov (1859–1906) im Mai 1895 zwischen zwei Gebäuden der Sankt-Petersburger Universität über etwa 500 m gesendet hatte, lautete: „Heinrich Hertz“.

Hertz gehört zwar der Epoche der klassischen Physik an, seine Leistungen aber, insbesondere die experimentelle Entdeckung von elektromagnetischen Wellen und die Entdeckung des Photoeffekts, machen ihn zum Vorbereiter der modernen Physik und der Ära weltweiter Kommunikation.

Während der NS-Zeit mangelte es nicht an Bemühungen, Hertz Bedeutung zu schmälern oder zu verleugnen; denn nach den Nürnberger Gesetzen war er „Halbjude“. Seine Witwe und beide Töchter mussten 1936 nach England emigrieren. Geradezu grotesk mutet eine in Karlsruhe 1938 erschienene Schrift an, die die sog. „Mannschaft“ der Fakultät für Physik zum „Reichsberufswettkampf“ unter dem Titel „Heinrich Hertz in seinem Wirken und Schaffen unter besonderer Berücksichtigung seiner rassischen Gebundenheit“ einreichte. Die Autoren mühten sich um den Nachweis, dass die experimentellen Arbeiten Hertz durch seine „arische Hälfte“ bestimmt seien, die theoretischen aber durch sein „jüdisches Blut“. Damit erreichten sie den „Reichssieg“ in der Sparte Naturwissenschaft (KIT-Archiv, 28104/11)!

Mit dem Kriegsanfang, so berichtete der Universitätsarchivar Klaus-Peter Hoepke (1932–2004) 1997 dem Verfasser, verlangten die Machthaber, die Büste von Hertz, die Mathilde Hertz 1925 zum 100–jährigen Bestehen der TH geschaffen hatte, aus deren Ehrenhof zu entfernen und einzuschmelzen. Der Hausmeister aber versteckte sie und half nach dem Krieg, sie wieder auf der alten Stelle zu präsentieren.

Quellen:

GLA Karlsruhe: 76/9942, Personalakte Hertz; 448/235, Akte der TH Karlsruhe über die Besetzung des Lehrstuhls für Physik; 235/4235 Akte des Kultusministeriums über die Besetzung der Lehrstühle für Physik: KIT-Archiv (ehemals UA Karlsruhe): Bestand 28104 Nr. 8, 9, 10, 11, 12: Sammlung Heinrich Hertz; 10001/2355: TH Karlsruhe, Lehrstuhl für Physik 1840–1946.

Werke: Versuche zur Feststellung einer oberen Grenze für die kinetische Energie der elektrischen Strömung, in: Wiedemanns Annalen der Physik und Chemie 10, 1880, 414–448; Über die Berührung fester elastischer Körper, in: Journal für die reine und angewandte Mathematik. 92, 1881, 156–171; Über die Verdunstung der Flüssigkeiten, insbes. Quecksilbers im luftleeren Raum, in: Wiedemanns Annalen der Physik und Chemie 17, 1882, 177–193; Über den Druck des gesättigten Quecksilberdampfes, ebd., 193–200; Über das Gleichgewicht schwimmender elastischer Platten, ebd., 22, 1884, 449–455; Über die Beziehungen zwischen den Maxwellschen elektrodynamischen Grundgleichungen und den Grundgleichungen der gegnerischen Elektrodynamik, ebd. 23, 1884, 84–103; Über sehr schnelle elektrische Schwingungen, ebd. 31, 1887, 421–448; Über einen Einfluss des ultravioletten Lichts auf die elektrische Entladung, in: Sitzungsberichte der Preussischen Akademie der Wissenschaften 1887, 2. Halbbd., 487–490, ausführlicher in: Wiedemanns Annalen der Physik und Chemie 31, 1887, 983–1000; Über Induktionserscheinungen, hervorgerufen durch die elektrischen Vorgänge in Isolatoren, in: Sitzungsberr. der Preuss. Akad. der Wissenschaften 1887, 2. Halbb., 885–896, auch in: Wiedemanns Annalen der Physik und Chemie 34, 1888, 273–285; Über Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektrodynamischen Wirkungen, in: Sitzungsberichte der Preussischen Akademie der Wissenschaften, 1888, 1. Halbbd., 197–210, auch in: Wiedemanns Annalen der Physik und Chemie 34, 1888, 551–569; Über elektrodynamische Wellen im Luftraume und deren Reflexion, Wiedemanns Annalen der Physik und Chemie 34, 1888, 609–623; Die Kräfte elektrischer Schwingungen, behandelt nach der Maxwellschen Theorie, ebd. 36, 1889, 1–22; Über Strahlen elektrischer Kraft, in: Sitzungsberichte der Preussischen Akademie der Wissenschaften 1888, 2. Halbbd., 1297–1307, auch in: Wiedemanns Annalen der Physik und Chemie 36, 1889, 796–806; Über die Fortleitung elektrischer Wellen durch Drähte, ebd. 37, 1889, 395–408; Über die Beziehungen zwischen Licht und Elektrizität, in: Tageblatt der 62. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Heidelberg vom 16. bis 23. Sept. 1889, 144–149, als Broschüre 2–3. Aufl. 1889, 9. Aufl. 1895, 13. Aufl. 1923; Über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für ruhende Körper, in: Wiedemanns Annalen der Physik und Chemie 40, 1890 577–624; Über die Grundgleichungen der Elektrodynamik für bewegte Körper, ebd. 41, 1890, 369–399; Untersuchungen über die Ausbreitung der elektrischen Kraft, 1892, 2. Aufl. 1894, als Bd. II der in Gesammelte Werke; Über die Durchgang der Kathodenstrahlen durch dünne Metallschichten, in: Wiedemanns Annalen der Physik und Chemie 45, 1892, 28–32. Die Prinzipien der Mechanik in neuem Zusammenhange dargestellt, 1894, auch in: Gesammelte Werke, Bd. III, 21910, Reproausg. 1963, Einleitung zum Werk mit zusätzlichen Materialien und Kommentaren, in: Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 263, 1984; Heinrich Hertz, Erinnerungen-Briefe-Tagebücher. Zusammengest. von Johanna Hertz, 1927, 2. erweit. Aufl. zweisprachig Deutsch und Englisch, hgg. von Mathilde Hertz und Charles Susskind, 1977; Über sehr schnelle elektrische Schwingungen. Vier Arbeiten, Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Nr. 251, 1971; Albrecht Fölsing (Hg.), Die Constitution der Materie. Eine Vorlesung über Grundlagen der Physik aus dem Jahre 1884, 1999.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (um 1892) S. 229, aus: Heinrich Hertz. Gesammelte Werke, Bd. I (Titelbild). – Fotos von Büsten in: Heinrich Hertz. Erinnerungen, 1977, Büste von A. Küpers, 1894, Titelbild; Fridericiana, Hertz 41, 1988, 84; Büste von Mathilde Hertz, 1925 (vgl. Literatur).

Literatur:

(Auswahl) ADB 50, 1905, 256–259; NDB 8, 1969, 213 f.; Dictionary of Scientific Biography 6, 1972, 340–350; Poggendorffs biographisch-literarisches Handwörterbüch III, 1898, 623, IV, 1904, 626 f., VI, 2. Teil, 1937, 1094, VIIa, Supplement, 1971, 283–286; Hermann Helmholtz, Wahlvorschlag für Heinrich Hertz, 1889, in: Physiker über Physiker, 1975, 114 f.; ders., Vorwort; in: Heinrich Hertz, Gesammelte Werke, Bd. III, 1894, IX–XXIV, auch auszugsweise in: Physikalische Blätter 10, 1954, 219–226; Max Planck, Heinrich Hertz, Rede zu seinem Gedächtnis 14. Febr. 1894, in: M. Planck, Abhandlungen und Vorträge, 1858, Bd, III, 268–288; D. E. J. , Heinrich Hertz †, in: Nature 49, 1894, 265 f.; Oliver Lodge, The Work of Hertz, in: Nature 50, 1894, 133–139; M. Doll, Mitteilungen über Heinrich Hertz, in: Verhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Karlsruhe 11, 1888–1895, 355–359; H. Kaiser, Heinrich Hertz und die modernen Anschauungen über Elektrizität, in: Dt. Revue 33, 1908, Bd. 3, 10–21; J. Zenneck, Die Versuche von Hertz und die drahtlose Telegraphie, in: Physikalische Zeitschrift 24, 1923, 420–425; Philipp Lenard, Große Naturforscher, 1929, 298–308, 41941, 321–330; Franz Wolf, Heinrich Hertz, in: Die TH Fridericiana Karlsruhe, FS zur 125–Jahrfeier, 1950, 67–73; Giovanni Lampariello, Das Leben und Werk von Heinrich Hertz, in: Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen Heft 43, 1955, 7–36 (mit Diskussionsbeiträgen); Maximilian Steiner, Walther Gerlach, Wolfgang Paul, In Memoriam Heinrich Hertz, 1958; Gustav Hertz, Heinrich Hertz, sein Leben und sein Werk, in: Ostwalds Klassiker, Nr. 251, 1971, 9–31 (mit Titelbild); Funkensprünge –100 Jahre Radiowellen – Heinrich Hertz, in: Baden-Württemberg, 1988, Nr. 1, 2–64 (mit Bildnachweis); 100 Jahre Entdeckung der elektromagnetischen Wellen durch Heinrich Hertz in Karlsruhe, in: Fridericiana, Zeitschrift der Universität Karlsruhe Hefte 41, 1–97 und 42, 1–92, 1988 (mit Bildnachweis); Joseph E. Mulligan, Heinrich Hertz and the development of physics, in: Physics Today, 42, Nr. 3, 1989, 50–57; Manuel G. Dongel, On the process of H.s conversion to Hertzian waves, in: Archive for history of exact sciences 43, 1991, 1–27; Joseph E. Mulligan (Ed.), Heinrich Rudolf Hertz (1897–1894). A collection of articles and addresses, 1994; H. G. Hertz, M. Dongel, Hertz’ laboratory notes of 1887, in: Archive for history of exact sciences 49, 1995, 197–270; Siegfried Jaeger, Vom erklärbaren, doch ungeklärten Abbruch einer Karriere – Die Tierpsychologin und Sinnesphysiologin Mathilde Hertz (1891–1975), in: Horst Gundlach (Hg.), Untersuchungen zur Geschichte der Psychologie und der Psychotechnik, 1996, 228–262; Albrecht Fölsing, Heinrich Hertz. Eine Biographie, 1997 (B zwischen 304 und 305); J. F. Mulligan, H. G. Hertz, An unpublished lecture of Heinrich Hertz“On the energy balance of the Earth”, in: American Journal of Physics 65, 1997, 36–45; Gudrun Wolfschmidt (Hg.), Heinrich Hertz (1857–1894) and the development of communication, Proceedings of the Symposium for History of Science, Hamburg, October 8–12, 2007, 2008; Michael Eckert, Heinrich Hertz, 2010 (Bilder S. 10, 17, 31, 67, 84, 86).

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