Baiertal

Bereich um den Standort der Synagoge, heute Synagogenplatz Ecke Mühlstraße - Pauline-Maier-Straße, auf der Badischen Gemarkungskarte (1882-1883). Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 101]
Bereich um den Standort der Synagoge, heute Synagogenplatz Ecke Mühlstraße - Pauline-Maier-Straße, auf der Badischen Gemarkungskarte (1882-1883). Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 101]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das Dorf Baiertal bestand in früherer Zeit nur aus adeligen Höfen, welche dem Deutschen Ritterorden und verschiedenen Geschlechtern gehörten, so u. a. den Freiherrn von Bettendorf, von Linzen und von May. Die Herrschaften hatten ihre eigene Gerichtsbarkeit, die 1659 durch eine allgemeine Dorfordnung geregelt wurde. Der durch den Ort fließende Gauangelbach war zugleich die Grenze zwischen Kraichgau und Kurpfalz. Ob die Baiertaler Juden kurpfälzische oder Deutschordensuntertanen waren, ließ sich ebenso wenig feststellen wie die Zeit der ersten Ansiedlung von Juden im Ort. Wahrscheinlich erfolgte sie nach dem Dreißigjährigen Kriege. Im 18. und 19. Jahrhundert wuchs die jüdische Gemeinde sehr stark, schmolz aber im 20. Jahrhundert infolge Abwanderung in die nahen Städte wieder zusammen. 1825 wohnten 149 (15,4 % von 966 Einwohnern), 1875 118, 1900 84, 1925 31 (1,8 % von 1751) und 1933 noch 25 Juden in Baiertal, knapp 1,4 % der Bevölkerung. Im Ersten Weltkrieg ist Leopold Marx gefallen.

Die Synagoge dürfte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebaut worden sein. 1863 wurde darin eine jüdische Schule eingerichtet, in der bis zur Aufhebung der Konfessionsschulen im Jahre 1876 die jüdischen Kinder unterrichtet wurden. Seit 1827 gehörte die Gemeinde Baiertal zum Rabbinatsbezirk Heidelberg. Wegen der geringen Seelenzahl wurde sie 1937 aufgelöst. Auf dem Synagogengrundstück, das die Gemeinde erwarb, errichtete später die Milchzentrale eine Sammelstelle.

Der größere Teil ist heute ein öffentlicher Platz. Einen eigenen Friedhof besaß die jüdische Gemeinde nicht.

Ein Teil der Baiertaler Juden war in kaufmännischen Berufen tätig. Der Synagogenvorsteher Nathan Gumberich war Mitinhaber einer Tabakwarengroßhandlung. Die Filiale der Mannheimer Zigarrenfabrik Heinrich Jacobi beschäftigte rund 80 Arbeiter. Als der allgemeine Druck auf die Juden sich auch hier bemerkbar machte, wanderte 1936 die erste Familie nach Palästina aus.

Am 10. November 1938 morgens kamen etwa 20 bis 30 SA-Leute und Zivilisten mit Kraftwagen und Fahrrädern von Wiesloch nach Baiertal, wo sie an sieben Judenwohnungen die Fensterläden aushängten und sie durch die Fenster in die Wohnungen warfen. In einigen jüdischen Häusern richteten sie mit Äxten zusätzliche Verheerungen an und bespritzten schließlich die Außenwände mit Kalk. Eine Synagoge gab es nicht mehr. Die jüdischen Männer wurden vorübergehend in das KZ Dachau verbracht.

Die noch anwesenden 14 Juden wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Der weitere Leidensweg von 8 dieser Deportierten - Babette Feibelmann, Nathan Gumberich, die Eheleute Cäsar und Rosa Kaufmann, Josef und Hannchen Kaufmann sowie Gustav und Julchen Oppenheimer - führt nach Auschwitz. Die bei ihrer Deportation aus Heidelberg elfjährigen Vettern Bernd und Siegmund Kaufmann kamen von Gurs nach Rivesaltes, wurden dort 1942 durch die Widerstandsbewegung befreit, konnten 1943 in die Schweiz fliehen und von dort 1946 nach Palästina auswandern. Johanna Marx überlebte in Frankreich. Das Schicksal der übrigen Deportierten bleibt ungewiss.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Baiertal, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

 

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Von Buridal bis Baiertal. Eine Gemeinde erzählt ihre Geschichte, hg. von Stadtteilverein Baiertal Wiesloch, 1988.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 216-217.
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