Flehingen mit Bauerbach

Vorderansicht aus den Plänen zum Neubau einer Synagoge in Flehingen, 1872. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 357 Bezirksamt Bretten 8911]
Vorderansicht aus den Plänen zum Neubau einer Synagoge in Flehingen, 1872. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 357 Bezirksamt Bretten 8911]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das zum schwäbischen Ritterkanton Kraichgau gehörende Flehingen befand sich seit 1368 in kurpfälzischem Lehensbesitz der Herren von Flehingen. Nach deren Aussterben 1636 wurde das Dorf an die Grafen Wolff-Metternich verliehen. 1803 fiel es an Baden.

Die älteste Kunde über die Anwesenheit von Juden in Flehingen gibt ein Verzeichnis der jüdischen Familien in der Pfalz vom Jahre 1548. Damals wohnte der Jude Isaak in Flehingen. Nach der völligen Verwüstung des Dorfes im Dreißigjährigen Krieg - 1634/38 wurde es gleichsam weggefegt - erlaubte der Graf von Wolff-Metternich 1650 auch Katholiken und Israeliten die Ansiedlung, um das protestantische Dorf rasch wieder zu bevölkern. Der von den Juden wohl schon im 16. Jahrhundert angelegte Friedhof an der Straße nach Gochsheim reichte bald nicht mehr aus. Mit Erlaubnis des Grafen durften sie ihn durch einen „am steilen Berghang liegenden öden Platz" vergrößern, für den sie eine jährliche geringe Abgabe zahlten. Im Laufe der Zeit wurden hier zahlreiche Juden benachbarter Ortschaften beigesetzt.

Aus der Zeit der Kriege Ludwigs XIV. wird von einem Flehinger Juden eine mutige Tat berichtet: Als Melac mit seinen Heerhaufen in Flehingen einrückte, waren alle Bewohner des Dorfes geflohen mit Ausnahme des Juden Abraham, Affrohmle genannt. Bei ihrem Abzug legten die Franzosen im Schloß, im Pfarrhaus und in der Dorfmühle Feuer. Affrohmle machte sich sogleich daran, den beginnenden Brand unter Lebensgefahr zu löschen, um Schloss und Dorf zu retten. Der Graf erließ ihm dafür die Schutzgeldzahlung.

Die Zahl der Juden wuchs im 18. und 19. Jahrhundert beträchtlich an. Als die jüdische Gemeinde 1827 dem Rabbinatsbezirk Bretten zugewiesen wurde, zählte sie fast 160 Seelen. Das waren rund 14 Prozent der Einwohner Flehingens. Die bestehende Synagoge wurde zu klein und sollte bereits 1841 durch einen Neubau ersetzt werden. Zunächst begnügte man sich mit der Errichtung eines Schulgebäudes für die jüdischen Kinder. Die Synagoge wurde 1863 nochmals repariert. 1873 wurde die Genehmigung für einen Neubau erteilt. Er wurde in eingeschossiger Bauweise an der Gochsheimer Straße errichtet. Bis 1875 war die Gemeinde auf 138 Köpfe zusammengeschmolzen, bis 1900 auf 114, bis 1925 auf 83 und bis 1933 auf 59.

Längsschnitt aus den Plänen zum Neubau einer Synagoge in Flehingen, 1872. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 357 Bezirksamt Bretten 8911]
Längsschnitt aus den Plänen zum Neubau einer Synagoge in Flehingen, 1872. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 357 Bezirksamt Bretten 8911]

Die Stimmung der Bevölkerung war um die Jahrhundertmitte den nach voller bürgerlicher Gleichberechtigung drängenden Juden wenig günstig. Im Interesse ihrer eigenen Sicherheit baten 1848 23 israelitische Schutzbürger aus Flehingen in einer Eingabe an die Erste Kammer des Badischen Landtags darum, von der Emanzipation ausgenommen zu werden. Mit der Gesetzgebung von 1862 änderte sich die Stellung der Juden. So waren jüdische Mitbürger vor 1933 im Flehinger Gemeinderat vertreten. Der Israelitische Frauenverein und der Männerverein, die sich karitativen Aufgaben widmeten, nahmen eine geachtete Stellung ein. Der Orientalist Jakob Barth (1851-1914), Dozent am Rabbinerseminar und Professor an der Universität in Berlin, der grundlegende Arbeiten zur semitischen Sprachwissenschaft veröffentlichte, stammte aus Flehingen. Auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs fielen die Juden Ferdinand Schlesinger, Hermann und Louis Barth.

Seit jeher lebten die Flehinger Juden in der Hauptsache vom Viehhandel. Noch 1933 gab es ein Dutzend Viehhändler. Außerdem waren sechs Ladengeschäfte im Besitz jüdischer Bürger. Infolge des wirtschaftlichen Boykotts mussten bis 1938 alle Geschäfte aufgegeben werden.

Am 10. November 1938 wurde die Synagoge bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Von den 72 Juden, die nach 1933 in Flehingen wohnten, starben 5 in ihrem Heimatort, 9 zogen fort, 47 wanderten nach den USA, 1 in die Schweiz, 1 nach Kanada und 3 nach Frankreich aus. Die nach Frankreich emigrierte Familie Uhl wurde später von der Gestapo verhaftet und in das Lager Gurs eingeliefert. Siegmund Uhl starb dort, seine Ehefrau und seine Tochter wurden 1942 nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Aus Flehingen wurden am 22. Oktober 1940 10 Juden nach Gurs deportiert. Von diesen starb 1 dort, 6 wurden in Auschwitz ermordet, und 3 überlebten in Frankreich.

Heute leben keine Juden mehr in Flehingen. Auf dem Synagogengrundstück steht heute ein Wohnhaus mit einer Bäckerei. In Gemeindebesitz befindet sich das ehemalige jüdische Schulgebäude. Der alte Teil des stimmungsvollen Friedhofs mit sehr alten Grabstätten steht unter Denkmalschutz. Der neuere Teil wird von der Gemeinde gepflegt.

Vor der 1936 erfolgten Eingemeindung waren die Juden von Sickingen (1925 13, 1933 12) der Flehinger jüdischen Gemeinde als Filialgemeinde angegliedert.

Im ehemals speyerischen Bauerbach lebten 1809 17 Juden. Als die Gemeinde 1825 der Bezirkssynagoge Bretten zugewiesen wurde, umfaßte sie bereits 67 Seelen. Zwischen 1820 und 1827 wurde zunächst ein Bethaus errichtet, später auch eine Synagoge mit rituellem Bad an der Hauptstraße. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der Juden laufend ab (1875 36, 1887 14, 1895 12). Im Oktober 1894 wurde die Gemeinde aufgelöst, die verbleibenden Juden der benachbarten Gemeinde Flehingen zugewiesen. Bis 1900 waren sämtliche Juden aus Bauerbach abgewandert. Die Synagoge wurde 1895 zu einem heute noch benutzten Wohnhaus umgebaut.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

 

  • Ders., Der Kraichgau und seine Orte, 1878.

  • Feigenbutz, Leipold, Der Amtsbezirk Bretten, 1890. 

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Flehingen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Flehingen

  • Banghard, Karl, Fünf Schneeballen. Zwölf Jahrhunderte. Ein Kapitel Geschichte des Kraichgaues Flehingen-Sickingen 779-1979, S. 148-184.
  • Jung, Martin, Die württembergische Kirche und die Juden in der Zeit des Pietismus (1675-1780). (Studien zu Kirche und Israel), Band 13, Berlin 1992.
  • Schönfeld, Wolfgang, Geschichte der jüdischen Familie Schlessinger in Flehingen, Eppingen 2017.
  • Schönfeld, Wolfgang, Jüdische Familien aus Flehingen. Lebenswege und Schicksale, Eppingen 2022.
  • Schönfeld, Wolfgang, Jüdisches Leben in Flehingen, Eppingen 2015.
  • Schönfeld, Wolfgang, Schicksale jüdischer Familien in Flehingen, Eppingen 2013.
  • Stude, Jürgen, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1990.

Bauerbach

  • Bickel, Otto und Willy, Bauerbach. Vom Reichsdorf zum Brettener Stadtteil, 1978, S. 188, 253-254, 304-305.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Stude, Jürgen, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1990.
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