Großeicholzheim 

Lageplan zum Bau einer Synagoge in Großeicholzheim, 1886. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge zerstört. Das Gebäude blieb als Wohnhaus erhalten. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 338 1917]
Lageplan zum Bau einer Synagoge in Großeicholzheim, 1886. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge zerstört. Das Gebäude blieb als Wohnhaus erhalten. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 338 1917]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Schloss und Dorf Großeicholzheim waren vom 13. Jahrhundert an als pfälzische Lehen im Besitz verschiedener Familien. Als heimgefallenes Lehen wurde das Dorf 1603-1691 fast ununterbrochen als besondere Kellerei unter dem kurpfälzischen Oberamt Mosbach verwaltet. 1691-1803 war es im Lehensbesitz der Grafen von Degenfeld, wurde 1803 dem neu gebildeten Fürstentum Leiningen zugeschlagen und fiel 1806 an Baden.

1716 wird erstmals ein Jude in Großeicholzheim genannt. Während der Regierungszeit des Kurfürsten Karl Theodor (1742-1799), dessen aufwendiger Kunstliebhaberei auch die Schutzgelder der Juden sehr willkommen waren, bildete sich in Großeicholzheim eine starke Judengemeinde, die beim Anfall des Dorfes an Leiningen 14 Familien zählte. Sie hielten ihre Gottesdienste in einer eigenen „Synagoge" ab. Wahrscheinlich wurde so ihr Betsaal genannt.

Das Marktrecht machte Großeicholzheim für die Juden besonders anziehend. Die meisten trieben Viehhandel, einige Kramhandel mit den Bauern aus dem Odenwald. Wegen Sonntagshandel kam es nicht selten zu Beschwerden.

Die jüdische Gemeinde Großeicholzheim gehörte seit 1827 zum Rabbinatsbezirk Mosbach. 1884 wurde anstelle einer baufälligen eine neue Synagoge in der Wettgasse erbaut. Die Verstorbenen fanden ihre letzte Ruhe auf dem jüdischen Friedhof der Nachbargemeinde Bödigheim. Eine Chewra Kaddischa, gegründet 1847, und ein Frauenverein dienten der Wohlfahrtspflege. Das jüdische Brauchtum wurde bis in die jüngste Zeit gepflegt. Am Laubhüttenfest wurde bis 1933 vor dem Hause des Imanuel Kälbermann eine Laubhütte aufgestellt.

Grundrisse zum Bau einer Synagoge in Großeicholzheim, 1886. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge zerstört. Das Gebäude ist als Wohnhaus erhalten. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 338 1917]
Grundrisse zum Bau einer Synagoge in Großeicholzheim, 1886. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge zerstört. Das Gebäude ist als Wohnhaus erhalten. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 338 1917]

Bis zum Ersten Weltkrieg wuchs die Gemeinde nur noch geringfügig und schmolz dann innerhalb weniger Jahre auf die Hälfte zusammen. 1825 zählte sie 99, 1875 111 und 1900 112 (14,8 Prozent von 758 Einwohnern) Mitglieder. 1925 lebten dagegen nur noch 56 Juden in Großeicholzheim und ebensoviel 1933. Von ihnen hatte das beste Geschäft der Viehhändler Moses Marx, der zugleich das Gasthaus „Zum Lamm" innehatte. Max Kälbermann betrieb neben dem Viehandel noch ein kleines Schuhgeschäft. Simon Freudenthal war Inhaber einer Metzgerei mit Kolonialwarengeschäft. Siegfried Rosenthal hatte ein Textilwaren- und Klara Westheimer ein Woll- und Weißwarengeschäft.

Bis 1933 war ein Jude Mitglied des Gemeinderats; andere betätigten sich im Gesangverein und im Sportverein. Im Ersten Weltkrieg opferten Ludwig Rosenthal, Maximilian Stein, Julius und Heinrich Wertheimer ihr Leben für das deutsche Vaterland.

Die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten setzte in Großeicholzheim früh ein. Am ersten Tage des Pessachs im Jahr 1933 wurde bei Siegfried Rosenthal, der Mitglied der SPD und des Reichsbanners war, eine Hausdurchsuchung - angeblich nach verbotener politischer Literatur - vorgenommen, er selbst in sogenannte Schutzhaft genommen. Bis Ende 1933 befand er sich im KZ Heuberg. Zum wirtschaftlichen Boykott wurde ebenfalls bereits 1933 aufgerufen. Der Geschäftsverkehr mit den Juden ging jedoch nur langsam zurück. Von 1935 an mussten sie nacheinander ihre Geschäfte aufgeben und früher oder später auswandern. Die Familien Kälbermann und Spatz fanden in Argentinien, die Familie Rosenthal sowie die Kinder der Familie Zimmern in den USA eine neue Heimat. Weitere Zufluchtsländer für die insgesamt 28 Emigranten waren Uruguay, England und Palästina. In Großeicholzheim starben bis 1940 noch 8 Gemeindemitglieder. 6 zogen in andere deutsche Städte.

In der Kristallnacht im November 1938 wurden in der Synagoge Fenster eingeworfen und die Inneneinrichtung zum Teil zerstört. Eine Anzahl Männer drang in das jüdische Gasthaus „Zum Lamm" ein. Sie demolierten Möbelstücke und misshandelten die Eheleute Marx. In der folgenden Nacht fand eine „Nachaktion" statt. Nach der Vorführung des Films „Patrioten" im Saal des Gasthauses „Löwen" drangen in später Nachtstunde unter Anführung eines auswärtigen Gendarmeriebeamten einige Leute nochmals in die Synagoge ein, schlugen mehrere heilgebliebene Fenster ein und warfen Bänke und den Ofen um. Beim Schuhhändler Kälbermann sollen sie Schuhe und dem Judenlehrer Scheuermann ein Fässchen Wein aus dem Keller gestohlen haben, den sie im „Löwen" verzechten.

Am 22. Oktober 1940 wurden aus Großeicholzheim 16 Juden nach Gurs deportiert, darunter 2, die nach 1933 zugezogen waren. Mindestens die Hälfte von ihnen fand etwa zwei Jahre später den Tod in den Gaskammern von Auschwitz. In Südfrankreich starben im Lager Gurs Max Kälbermann und Berta Marx, im Lager Noe Amalie Kälbermann. Die übrigen sind verschollen.

Die ehemalige Synagoge, in der nach dem Kriege Wohnungen eingerichtet wurden, befindet sich seit 1953 im Besitz des Gesangvereins Liederkranz. Eine hebräische Inschrift über dem Eingang ist noch erhalten und erinnert an den früheren Zweck des Gebäudes.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Schmitt, Karl Martin, Geschichte des Pfarrdorfes Großeicholzheim, 1957.

Ergänzung 2023:

Heute befindet sich das Gebäude der ehemaligen Synagoge nicht mehr im Besitz des Gesangvereins Liederkranz.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Großeicholzheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Landauer, Rudolf/Lochmann, Reinhart, Spuren jüdischen Lebens im Neckar-Odenwald-Kreis, hg. von Landratsamt NOK, Buchen 2008.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 294-296.
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