Hockenheim

Vorderansicht aus den Plänen zum Umbau der Synagoge in Hockenheim, um 1877. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK G Hockenheim]
Vorderansicht aus den Plänen zum Umbau der Synagoge in Hockenheim, um 1877. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK G Hockenheim]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das 1895 zur Stadt erhobene Hockenheim kam 1275 vom Hochstift Speyer an die Kurpfalz, 1803 an Baden.

1510 erlaubte Pfalzgraf Ludwig V. (1508-44) dem Juden Samuel Abraham, gegen einen Jahreszins von 6 Gulden in Hockenheim zu wohnen. 1550 wurde auch dessen Sohn Moses in den Schutz nach Hockenheim aufgenommen. Für den Schirmbrief zahlten Vater und Sohn zusammen 56 Gulden. Mehr als zwei Judenfamilien ließen die Kurfürsten der Pfalz an kleineren Orten nicht zu. Noch 1722 und 1743 sind deshalb nur zwei Judenfamilien ansässig. Sie handelten mit Vieh, Pferden, Heu und Getreide. Auch das Metzgergewerbe scheinen sie ausgeübt zu haben, da es in den Ratprotokollen heißt, dass sie kein „unbesehenes" Fleisch verkaufen durften. Als der Schutzjude Mordge Abraham dieses Gebot übertrat und außerdem keinen Schutzbrief vorweisen konnte, musste er innerhalb vier Wochen den Ort räumen. Da er eine Strafe von 1½ Gulden nicht bezahlte, wurde ihm obendrein Zinngeschirr gepfändet.

Noch 1809 waren die fünf Hockenheimer Juden Lazarus, Marx Lußheimer, Joseph Marx Salomon, Samuel und Hirsch Halle arme Hausierhändler. Doch rasch mehrte sich in großherzoglich badischer Zeit Zahl, Wohlstand und Bildung der Hockenheimer Juden, begründet durch den Handel mit Hopfen und Tabak sowie durch die Errichtung von Zigarrenfabriken. 1825 wohnten in Hockenheim die jüdischen Familien Leser, Marx, und Samuel Lußheimer, Abraham Adelsberger, Löb und Jacob Alexander, Daniel Krämer, Benjamin und Samuel Hockenheimer, die Witwe von Hirsch Halle und Alexander Halle, insgesamt 46 Personen. 1839 zählte man 68, 1849 90 Juden. 1858 war mit 133 Juden die Höchstzahl erreicht. Die reichgewordenen Zigarrenfabrikanten und Hopfenhändler verlegten allmählich wegen der besseren Geschäftsverbindungen und des gehobeneren Lebensstandards ihre Wohnsitze nach Mannheim. In Hockenheim lebten 1875 130, 1900 112, 1925 45 und im Juni 1933 52 Juden.

Die israelitische Gemeinde Hockenheim gehörte seit 1827 zum Rabbinatsbezirk Heidelberg. Der Gottesdienst wurde zuerst in einem Wohnhaus abgehalten. 1833 bauten sich die Juden eine Synagoge in der Ottostraße, die 1877 wegen Baufälligkeit umgebaut und renoviert wurde. Etwa gleichzeitig mit dem Bau der Synagoge erwarben sie am Rande des Hardtwaldes gegenüber dem christlichen Friedhof ein Stück Land, auf dem ein jüdischer Friedhof angelegt wurde. 1846 wurde im Keller des Hauses Goth in der Ottostraße ein rituelles Frauenbad eingerichtet. Die jüdischen Kinder besuchten von 1820 bis 1843 eine jüdische Volksschule. Ein Frauenverein und ein Wohltätigkeitsverein widmeten sich karitativen Aufgaben.

Längsschnitt aus den Plänen zum Umbau der Synagoge in Hockenheim, um 1877. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK GLAK G Hockenheim]
Längsschnitt aus den Plänen zum Umbau der Synagoge in Hockenheim, um 1877. Während der Pogrome im November 1938 wurde das Gebäude durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK GLAK G Hockenheim]

Während der Weimarer Republik befand sich die Mehrzahl der Hockenheimer Zigarrenfabriken in jüdischem Besitz. Sie beschäftigten insgesamt rund 800 Personen. Die bekanntesten Zigarrenfabriken waren die Firma Halle & Bensinger sowie die Firma J. Hockenheimer & Söhne. Der Fabrikant Halle war ein Nachkomme des 1802 in Reilingen als Vorsinger tätigen Hirsch Philippsohn, der bei der Einführung der Familiennamen bei den Juden den Namen Hirsch Halle annahm.

Die zu Beginn des Dritten Reiches in Hockenheim wohnhaften Juden betrieben Textilgeschäfte, Viehhandel, Fell- und Häutehandel oder lebten als Rentner. Am Boykottag, dem 1. April 1933, standen vor jüdischen Geschäften Doppelposten der SA, doch kam es zu keinen Gewalttaten gegenüber den Juden. Bis zur Kristallnacht am 9./10. November 1938 hat man in Hockenheim den Juden nichts in den Weg gelegt. Eine jüdische Zigarrenfabrik, die um die Erlaubnis bat, das Hockenheimer Wappen als Warenetikett benutzen zu dürfen, bekam sie ohne Anstand erteilt. Die jüdischen Einzelhandelsgeschäfte dagegen gingen nicht mehr so gut, weil sich viele Kunden, eingeschüchtert durch die nationalsozialistischen Hetzparolen, nicht mehr getrauten, jüdische Läden zu betreten. In der Kristallnacht wurden die Geschäfte geplündert und die Synagoge bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Die meisten Juden hatten bis 1939 das Land verlassen. Einige tauchten in den Großstädten unter. Am 22. Oktober 1940 wurden die letzten sechs Juden aus Hockenheim nach Gurs deportiert. Die Familie Hermann Mayer - Eltern und zwei Kinder - konnte aus dem Lager Gurs entkommen. Die Eheleute Jakob und Regina Baumgarten wurden in Auschwitz umgebracht. Von den Juden, die nach 1933 aus Hockenheim weggezogen waren, kamen mindestens acht Personen in Gurs, Auschwitz oder Theresienstadt ums Leben. Ein in sogenannter Mischehe verheirateter seit 1940 getaufter jüdischer Bürger kehrte 1945 aus Theresienstadt zurück. Der Friedhof am Hockenheimer Motodrom mit seinen 49 Grabstätten wird von der Gemeinde gepflegt.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Brauch, Ernst, Hockenheim. Stadt im Auf- und Umbruch, 1965. 
  • Ders., Aus zwölf Jahrhunderten Geschichte Hockenheims, 1933. 
  • Halle, Edwin, Die Nachkommen des Cha san Hirsch ben Feibil (masch.), 1965.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Hockenheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Brauch, Ernst, Das Schicksal der Hockenheimer Juden, in: Hockenheim. Stadt im Auf- und Umbruch. 1965, S. 185-194.
  • Germania Judaica, Bd. 3, 1. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1987, S. 564.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Huth, Hans, Die Kunstdenkmäler des Landkreises Mannheim, in: Die Kunstdenkmäler Badens X,3 (1967), S. 85, 92-93.
  • Loeb, Walter A., Lass dir die Fremde zur Heimat – aber nie die Heimat zur Fremde werden, in: Dokumentation der Stadt Hockenheim zum 1200jährigen Bestehen, 1969, S. 70-71.
  • Meyer-Düttingdorf, Margit/Offenloch-Brandenburger, Felicitas, Jüdisches Leben in Hockenheim - ein Teil unserer Stadtgeschichte, hg. vom „Arbeitskreis Jüdische Geschichte in Hockenheim“, 1998.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 307-308.
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