Kehl

Bereich um den Standort der Synagoge, heute Ecke Schulstraße - Kasernenstraße, auf der Badischen Gemarkungskarte (1862-63). Die Synagoge ist noch nicht eingezeichnet, da sie nach 1889 erbaut wurde. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge nur leicht beschädigt. Sie musste im Anschluss an die Stadt verkauft werden, die das Gebäude 1939 abbrechen ließ. [Quelle: Landesarachiv BW, GLAK H-1 Nr. 919]
Bereich um den Standort der Synagoge, heute Ecke Schulstraße - Kasernenstraße, auf der Badischen Gemarkungskarte (1862-63). Die Synagoge ist noch nicht eingezeichnet, da sie nach 1889 erbaut wurde. Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge nur leicht beschädigt. Sie musste im Anschluss an die Stadt verkauft werden, die das Gebäude 1939 abbrechen ließ. [Quelle: Landesarachiv BW, GLAK H-1 Nr. 919]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

1681 erbaute Vauban auf den Ruinen des zerstörten Dorfes Kehl die spätere Reichsfestung. Innerhalb ihrer Wälle entwickelte sich der 1774 zur Stadt erhobene Handelsplatz, während das ehemalige Dorf außerhalb der Mauern neu errichtet wurde. Seit dem Frieden von Ryswyk (1697) waren die Markgrafen von Baden im Besitz des später mehrfach zerstörten oder von den Franzosen besetzten Ortes. Dorf und Stadt Kehl wurden 1910 zu einer politischen Gemeinde vereinigt.

Die israelitische Gemeinde Kehl zählte zu den jüngsten Gemeinden Badens. Erst nach den Gesetzen von 1862, die den Juden mit der Gleichberechtigung auch die Niederlassungsfreiheit brachten, begann Kehl als Handelsplatz auf die Juden der Umgebung eine gewisse Anziehungskraft auszuüben. Hauptsächlich verlegten in den Jahren von 1870 bis 1890 Juden aus den ehemaligen hanauischen Ortschaften Lichtenau, Bodersweier, Rheinbischofsheim und Freistett ihre Wohnsitze nach Kehl. 1871 zählte man erst 2 Juden, 1875 9, 1880 aber bereits 90 in Dorf und Stadt. Durch Beschluss des Staatsministeriums vom 16. August 1881 wurde den 16 israelitischen Familien der Stadt Kehl das Korporationsrecht verliehen und damit die israelitische Gemeinde Kehl errichtet. Sie wurde dem Rabbinatsbezirk Bühl angeschlossen. Die Juden in Dorf Kehl wurden bis 1910 als Filialgemeinde geführt. Die Synagoge wurde 1889 an der Kasernenstraße, Ecke Schulstraße erbaut. In den folgenden Jahren wuchs die Zahl der Juden weiter an: 1895 131, 1900 151, 1905 156. Damit war die höchste Seelenzahl erreicht, die nun allmählich wieder zurückging. 1910 zählte Kehl 153 und 1925 113 Juden. Im Ersten Weltkrieg hatte die Gemeinde Jakob Bodenheimer, Artur Kaufmann, Josef Liebhold, Jakob Wertheimer und Fritz Blum als Gefallene zu beklagen. Die Toten begrub man früher in Freistett. 1924 wurde in Kehl als Teil des christlichen Friedhofs ein israelitischer Friedhof angelegt, auf dem 1939 die letzte Beerdigung stattfand. 1902 wurde ein Frauenverein zur Unterstützung der Mitglieder in Krankheitsfällen und zur Verrichtung der Bestattungszeremonien gegründet. Seit 1925 bestand eine Wandererfürsorgekasse zur Unterstützung der Aus- und Rückwanderer. Am öffentlichen Leben nahmen die Juden durch ihre Mitgliedschaft im Bürgerausschuss, in politischen Parteien und Vereinen teil.

Abgesehen von einer Sack- und Deckenfabrik und einer bedeutenderen Getreide-, Mehl- und Futtermittelgroßhandlung betrieben die Juden durchweg Handelsgeschäfte kleineren Umfangs: ein Woll- und Weißwarengeschäft, ein Stoff- und Kurzwarengeschäft, ein Herrenkonfektions- und Maßgeschäft, ein Leder- und Schuhmachereibedarfsartikelgeschäft, ein Uhren- und Schmuckgeschäft, ein Feuerzeug- und Rauchwarenimport- und -exportgeschäft und eine Altmaterialgroßhandlung. Ferner gab es 1933 eine jüdische Metzgerei, einen Pferdehändler und fünf Viehhändler, deren bedeutendster Louis Bensinger war. Der jüdische Arzt Dr. Karl Rosenthal, der bis 1938 seine Praxis ausübte, ist 1944 in Auschwitz umgekommen.

Einige Juden suchten gleich nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in Straßburg nach einer neuen Existenz. Der Großteil der Kehler Juden wanderte zwischen 1935 und 1938 über Straßburg nach Frankreich aus.

15 Juden, unter ihnen Louis Bensinger, fanden in den USA eine neue Heimat. Weitere suchten in Argentinien und Palästina neue Erwerbs- und Lebensmöglichkeiten.

Am 28. Oktober 1938 wurde die polnische jüdische Familie Schwarzkächel nach Polen abgeschoben. Die Eheleute Pinkas und Laje Schwarzkächel sollen später im Ghetto Bresko erschossen worden sein. Der Sohn Arnold ist vermisst.

In der Kristallnacht im November 1938 zerstörten Parteiformationen die Synagoge. Die jüdischen Männer aus Kehl und den umliegenden Ortschaften wurden in die Stadthalle gebracht, wo sie misshandelt und zu unwürdigen Handlungen gezwungen wurden. Anschließend kamen sie für mehrere Wochen nach Dachau.

Am 22. Oktober 1940 wurden aus Kehl 22 Juden nach Gurs deportiert. Dort starben Rosa Bensinger und Rosa Dreifuss, Emmy Marx und Emil Dreifuss bald nach der Entlassung aus dem Lager (1943) in einem französischen Hospiz. 4 Personen wurden aus Gurs befreit. Mindestens 9 starben in den Gaskammern von Auschwitz.

Heinrich Bodenheimer und Willi Schwarzkächel, die nach Frankreich ausgewandert waren, wurden ungefähr 1942 verhaftet, nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet. Von den Juden, die nach 1933 nach Karlsruhe, Mannheim, Köln oder Wuppertal weggezogen waren, kamen 10 in Theresienstadt, Auschwitz oder einem anderen Vernichtungslager im Osten ums Leben. Nur Margot Wertheimer, die 1941 von Württemberg aus nach Riga deportiert wurde, hat überlebt.

Nach Kehl kehrte 1953 ein Jude, der 1938 nach Frankreich ausgewandert war, zurück. An der Stelle der ehemaligen Synagoge steht heute ein Wohn- und Geschäftshaus.
 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Metz, Friedrich, Kehl und das Hanauerland, 1931. 
  • Rusch, Otto, Geschichte der Stadt Kehl und des Hanauerlandes, 1928.
 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Kehl, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • 8. Mai 1945 - 8. Mai 1985, (Veröffentlichung Nr.1 der Tulla-Realschule Kehl), 1985.
  • Hornung, Klaus, Kehl 1840-1940, (Bildband).
  • Jüdische Mitbürger in Kehl zwischen 1930 und 1950. Versuch einer Dokumentation, erarb. durch Schüler der Klasse 10b der Tulla-Realschule Kehl, 1982.
  • Peter, Friedrich, Kehl 1933-45. Dokumentation, (Veröffentlichung der Tulla-Realschule Kehl), 1988.
  • Peter, Friedrich, Das Schicksal der Juden in Kehl und im Hanauerland unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, 1990.
  • Rosenthal, Nicolas, Hagada des 20. Jahrhunderts - ein Vermächtnis, hg. von Historischer Verein Kehl, 2000.
  • Stüwe, Hartmut, Kehl im Dritten Reich. Stadtgeschichte 1933-1945, Kehl 1997.
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