Königsbach mit Stein

Bereich um den Standort der Synagoge, heute Saint-André-Straße 5, auf der Badischen Gemarkungskarte (1887). Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge schwer beschädigt und 1939 abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 965]
Bereich um den Standort der Synagoge, heute Saint-André-Straße 5, auf der Badischen Gemarkungskarte (1887). Während der Pogrome im November 1938 wurde die Synagoge schwer beschädigt und 1939 abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 965]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Fünf Zwölftel von Königsbach kamen Ende des 15. Jahrhunderts, zum größten Teil als heimgefallenes Lehen, an die Markgrafen von Baden, sieben Zwölftel gelangten als markgräflich-brandenburgisches Lehen 1518 an die Herren von Venningen-Königsbach und 1650 an die Herren von Saint Andre, die 1668-1685 auch den badischen Teil in Besitz hatten. Das brandenburgische Lehen, über das die Markgrafen von Baden erfolglos die Landeshoheit beanspruchten, kam 1806 an Baden.

Seit 1699 nahm Markgraf Friedrich VII. von Baden (1677-1709) eine Reihe von Juden in den Schutz auf, darunter eine Familie nach Königsbach. Die Eingabe der badischen Juden von 1718 um die Bestallung des Nathan Uri als Rabbinatsstellvertreter war auch von zwei markgräflichen Schutzjuden aus Königsbach unterzeichnet. 1740 wohnten im markgräflichen Teil drei Judenfamilien. Für jeden Juden aber, den die Markgrafen aufnahmen, nahmen die Herren von Saint Andre vier auf. So wohnten um 1750 auf badischer Seite 3, auf Saint Andrescher Seite 12 bis 15 Judenfamilien. 1751 drohte daher die markgräfliche Regierung dem Freiherrn von Saint Andre an, dass sie seinen Schutzjuden jeglichen Handel im Badischen verbieten werde, wenn er sich nicht an die proportionierliche Aufnahme von Juden halte. Dem Pfarrer von Königsbach waren die vielen Juden ebenfalls ein Dorn im Auge. Im Visitationsprotokoll von 1743, das sogar 23 jüdische Haushaltungen erwähnt, beklagt er sich, dass die hiesigen Juden den Sabbat - gemeint ist der christliche Sonntag - greulich schändeten. Sie handelten vor und unter der Kirche, schächteten und wuschen in öffentlichen Gassen.

Die Saint Andresche Grundherrschaft verlangte von ihren Juden außer dem Schutzgeld auch noch Zungengeld anstelle der ursprünglich abzuliefernden Zungen der von ihnen geschlachteten Tiere. Ferner hatte jeder Jude jährlich 6 Pfund Werg zu spinnen und eine Gans zu mästen. Auch zu Botengängen waren die Juden verpflichtet; davon kauften sie sich später für 20 Gulden jährlich los.

Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts hatten die Königsbacher Juden eine Synagoge, und zwar auf Saint Andrescher Seite in einem von der freiherrlichen Verwaltung gemieteten Hause.

Weil sich die Verwaltung oft in die Angelegenheiten der Juden einmischte und ihnen viele Strafen auferlegte, erhielten die Juden 1761 die Erlaubnis, auf der badischen Seite eine eigene Synagoge zu bauen. Der Plan kam jedoch wegen der Uneinigkeit der Juden selbst nicht zur Ausführung. Nach einer Beschreibung von 1850 handelte es sich bei der Synagoge um ein zweistöckiges Gebäude. Im oberen Stockwerk war der Betsaal, im unteren das Frauenbad, die Lehrerwohnung und ein Lehrzimmer untergebracht. Die Juden im benachbarten Stein, wo während des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kurzzeitig eine kleine Judengemeinde bestand (1709 3, 1738 4 Judenfamilien, 1825 12 Juden) kamen zum Gottesdienst in die Synagoge nach Königsbach. Durch die Mediatisierung der Herrschaft Saint Andre 1806 entfielen unter den Königsbacher Juden die Spannungen, die aus der verschiedenen Herrschaftszugehörigkeit erwachsen waren. Im Zuge der weiteren Emanzipation der Juden verbesserte sich auch ihre wirtschaftliche Stellung und das Zusammenleben mit den christlichen Bürgern. Als 1860 die Freiwillige Feuerwehr Königsbach gegründet wurde, gehörten zu den ersten Mitgliedern zwei Juden. Die karitativen Aufgaben der jüdischen Gemeinde nahmen ein Kranken- und ein Begräbnisverein wahr. Eine jüdische Schule wurde um 1835 eröffnet, an der bis zur Aufhebung der Konfessionsschulen unterrichtet wurde.

Über die neuere Geschichte der jüdischen Gemeinde Königsbach, die seit 1827 zum Rabbinatsbezirk Karlsruhe, seit 1885 zum Bezirk Bretten gehörte, haben wir nur spärliche Kenntnisse, da die Akten und eine Ortschronik 1945 beim Einmarsch feindlicher Truppen von diesen verbrannt wurden. Die Zahl der jüdischen Einwohner betrug 1825 156, 1875 220 - fast 11Prozent der Bevölkerung -, 1900 167, 1925 162 und 1933 102. Im Ersten Weltkrieg hatte die israelitische Gemeinde drei Gefallene zu beklagen.

Der überwiegende Teil der Königsbacher Juden ernährte sich von Vieh- und Pferdehandel. Einige waren zugleich Metzger. Soweit es sich noch feststellen ließ, waren 1933 noch 24 Juden in dieser Berufsgruppe tätig. Etliche waren Reisende von Pforzheimer Uhren- und Schmuckwarenfabriken. Die Zahl der jüdischen Einzelhandelsgeschäfte für die Dinge des täglichen Bedarfs scheint verhältnismäßig gering gewesen zu sein. Bekannt ist das Manufakturwarengeschäft Jakob Dreyfuß und das Zigarrengeschäft Berta Daube. Julius Zimmern war von 1927 bis April 1933 Lehrer an der Volksschule Königsbach und wurde auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem Dienst entfernt.

Religionslehrer und Kantor der israelitischen Gemeinde war von 1902 bis 1938 Abraham Srog. Bis Ende 1938 waren alle jüdischen Gewerbetreibenden zur Aufgabe ihrer Geschäfte gezwungen. über die Hälfte der Juden wanderte nach den USA, nach Palästina, Argentinien, Brasilien und Frankreich aus. Viele zogen zunächst nach Pforzheim oder andere Städte innerhalb Deutschlands.

In der Kristallnacht im November 1938 kamen aus Karlsruhe und Pforzheim SA- und SS-Leute, die meisten in Zivil, mit einem Lkw angefahren, um in Königsbach die „Judenaktion" durchzuführen. Eine Gruppe demolierte und plünderte das Manufakturwarengeschäft des Jakob Dreyfuß, eine zweite Gruppe verwüstete das Innere der Synagoge, und eine dritte Abteilung schob die Chaisen aus dem Hof des Pferdehändlers Tiefenbronner, stürzte sie in den in der Nähe befindlichen Bach und zertrümmerte sie.

Bei der Zerstörung des Gotteshauses mussten die Juden Gebetbücher und andere Ritualien aus der Synagoge tragen und in ein vor dem Hause brennendes Feuer werfen. Unter diesen Juden befand sich auch der damals weit über 50 Jahre alte Pferdehändler Benjamin; er wurde von einem SA-Mann aus Pforzheim erkannt, mit dem er vor 1933 wegen eines Pferdehandels und wegen eines SA-Aufmarsches in Königsbach Auseinandersetzungen gehabt hatte. Der SA-Mann versetzte Benjamin mit einer Latte einen Schlag auf den Hinterkopf, so dass er bewußtlos und blutend liegenblieb. Einige Bürger, die dem Bewusstlosen Hilfe bringen wollten, wurden durch SA-Leute daran gehindert. Selbst ein vorbeikommender Arzt ließ Benjamin unversorgt liegen.

Der Gendarmeriemeister veranlasste schließlich seinen Abtransport mit einem Sanitätskraftwagen in das Pforzheimer Krankenhaus. Benjamin genaß von den erlittenen Verletzungen wieder und ist später nach den USA ausgewandert. Die jüdischen Männer wurden einige Wochen im KZ Dachau festgehalten und hatten vielerlei Schikanen und Misshandlungen zu erdulden. Königsbacher Bürger beteiligten sich bei der Aktion gegen die Juden nicht.
Emil Daube, Einkäufer bei der Viehgroßhandlung Strauß in Augsburg, wurde dort 1938 verhaftet und in das KZ Sachsenhausen-Oranienburg eingeliefert, wo er 1940 angeblich erschossen wurde. Seine Ehefrau wurde am 22. Oktober 1940 von Pforzheim nach Gurs deportiert und 1942 in Auschwitz ermordet. Samuel Maier fiel 1940 in Grafeneck der Euthanasie zum Opfer.
Am 22. Oktober 1940 wurden aus Königsbach 10 Juden nach Gurs deportiert. Dort starben 2; 5 wurden später in Auschwitz ermordet. Erna Wassermann wurde aus Gurs entlassen.

Irene Karle, deren „arischer" Ehemann am 31. März 1945 als Volkssturmmann fiel, wurde im Februar 1945 von Pforzheim aus nach Theresienstadt deportiert, kehrte aber nach Kriegsende wieder zurück. Von den übrigen Königsbacher Juden, die von Pforzheim aus deportiert wurden, kamen mindestens sechs in Auschwitz um. David Daube wurde im Mai 1944 in Brüssel verhaftet; über Malines, Auschwitz und Groß-Rosen führte sein Leidensweg nach Dachau, wo er offenbar noch in den letzten Tagen vor der Befreiung sein Leben verlor.

Zwölf Jahre Judenverfolgung haben die große Judengemeinde Königsbach zerstreut und vernichtet. Der ehemalige Synagogenplatz dient heute als Fabrikeinfahrt. Auf dem jüdischen Friedhof mahnt ein Gedenkstein an die im Dritten Reich schuldlos umgebrachten jüdischen Einwohner.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Freiwillige Feuerwehr Königsbach, Festschrift zum 100jährigen Jubiläum, 1960. 
  • Sander, Friedrich, Die Visitationsprotokolle der ehemaligen Diözese Stein aus den Jahren 1743 bis 1793, in: Soweit der Turmberg grüßt 13, 1961.

Ergänzung 2023:

Auf einem Teil des ehemaligen Synagogenplatzes findet sich heute eine Garage samt Zufahrt.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Königsbach, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Mehne, Joachim/Rummel, Uwe, Auf den Spuren jüdischer Bürger. Eine Arbeitsgemeinschaft des Bildungszentrums Königsbach berichtet, in: Der Enzkreis Jahrbuch 6, 1995, S. 172-186.
  • Mehne, Joachim, Jüdisches Königsbach. Einladung zu einem Rundgang, 2002.
  • Mehne, Joachim/Rummel, Uwe, „Ob die Erne wohl noch lebt?“. Ein Bericht aus dem Projekt „Spurensuche: Die Königsbacher Juden“, in: 25 Jahre Bildungszentrum Königsbach, 1996, S. 21-26.
  • Mehne, Joachim/Wolf, Dieter und Schülerinnen und Schülern der Arbeitsgemeinschaft "Spurensuche" des Lise-Meitner-Gymnasiums Königsbach, Spuren jüdischen Lebens in Königsbach. Eine Einführung, hg. von der Gemeinde Königsbach-Stein, 1998.
  • Sander, Friedrich, Königsbacher Heimatbuch, 1986, S. 266-285.
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