Leutershausen mit Lützelsachsen

Die Synagoge in Leutershausen, um 1906. Das Gebäude wurde vor den Pogromen im November 1938 an die Gemeinde Leutershausen verkauft und blieb unbeschädigt. Nach Instandsetzung wurde es 2001 zum Haus der Kultur und Begegnung. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1071]
Die Synagoge in Leutershausen, um 1906. Das Gebäude wurde vor den Pogromen im November 1938 an die Gemeinde Leutershausen verkauft und blieb unbeschädigt. Nach Instandsetzung wurde es 2001 zum Haus der Kultur und Begegnung. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1071]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Leutershausen gehörte bis 1611 als pfälzisches Lehen den Herren von Hirschberg. Dann fiel die Ortsherrschaft an die Pfalz zurück. Bis zum Anfall an Baden 1803 wurde Leutershausen an verschiedene Familien verliehen, seit 1701 an die des pfälzischen Kanzlers Franz Melchior von Wiser.

Um 1550 zahlte der Jude Jakob von „Luttershausen" 20 Gulden Schutzgeld im Jahr. Sein Aufenthalt in Leutershausen geriet bald in Vergessenheit, so dass ein Centschreiber 1692 angibt, es habe niemals ein Jude im Ort gewohnt. Seit 1715 ist die Familie des Handelsmannes Meyer Levi im Dorf nachweisbar. 1728 erwarb er das Haus Hauptstraße 1. 1781 wurde dieses Haus im Auftrag der Eigentümer durch den Landrabbiner Hirsch an die Leutershausener Judenschaft verkauft, die darin ihre erste Synagoge einrichtete. Als 1742 Kurfürst Karl Theodor den Juden seiner Niedergerichtsherren den Handel in der Pfalz verbieten wollte, protestierte der Graf von Wiser energisch gegen diese Absicht, da er seit über 40 Jahren das Recht genieße, Juden in Leutershausen zu halten. 1825 betrug ihre Zahl 103 und stieg bis 1875 auf 135 an. 1823 wurde in der Vordergasse ein Judenbad gebaut. 1858 erwarb die jüdische Gemeinde, die seit 1827 zum Rabbinatsbezirk Heidelberg gehörte, das Haus Mittelgasse 15 und richtete in ihm eine jüdische Volksschule ein. 1862 schließlich wurden zwei Grundstücke am Schriesheimer Tor erworben und darauf 1867 eine neue Synagoge errichtet (Hauptstraße 27). Auf dem Friedhof in Hemsbach bestattete die Gemeinde ihre Toten.

Die jüdischen Einwohner lebten zum größten Teil vom Vieh- und Getreidehandel. Nach Aufhebung des Zunftzwanges gab es auch einen jüdischen Wirt und mehrere Handwerker am Ort. Ihr Verhältnis zur christlichen Bevölkerung war gut. Vor 1933 waren sie im Bürgerausschuss vertreten. Einige waren Mitglieder im Sportverein oder im Kriegerverein. Selmar Ansbacher, Benno Friedmann und Leo Mayer fielen im Ersten Weltkrieg.

1933 wohnten 43 Angehörige der jüdischen Religionsgemeinschaft in Leutershausen. Bis 1935 zogen noch 3 weitere zu. Sie betrieben eine Metzgerei, ein Schuh- und ein Kolonialwarengeschäft. Fünf Juden bestritten als Viehhändler ihren Lebensunterhalt. Zwar wurde schon früh ein „Stürmer-Kasten" aufgestellt, aber zu Übergriffen gegen die Juden kam es nicht. Auch in der Kristallnacht erfolgten keine Ausschreitungen. Die Synagoge blieb unzerstört. Sie ging in Gemeindeeigentum über und diente während des Krieges als Gefangenenlager. Später wurde sie an einen Fabrikanten verkauft und wird heute teils als Lager, teils als Wohnstätte genutzt.

Insgesamt 24 Juden aus Leutershausen wanderten nach den USA aus, 5 nach Palästina und 2 nach Argentinien. Das Schicksal von 9 Juden, die bis 1938 weggezogen sind, ist ungeklärt. 5 wurden von ihren neuen Wohnsitzen aus am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert, davon gelang 4 die Auswanderung nach Amerika, während eine Jüdin in Gurs verstarb. Eine Jüdin war vor Beginn der Deportationen in der Heimat gestorben.

Schon vor 1925 war die jüdische Gemeinde in Lützelsachsen der in Leutershausen als Filiale angegliedert worden. Das Dorf gehörte ebenfalls 1803 zur Kurpfalz und fiel dann an Baden.

Vermutlich nach dem Dreißigjährigen Kriege, spätestens im Laufe des 18. Jahrhunderts haben sich hier Juden niedergelassen. 1825 machten die 97 Juden 10,3 Prozent der Einwohnerschaft aus. 1875 waren es 85, 1900 29, 1925 21 und 1933 noch 13 Juden.

Seit 1827 gehörte die israelitische Gemeinde zum Rabbinatsbezirk Heidelberg. 

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erbaute sie eine Synagoge. Einen jüdischen Friedhof hat es in Lützelsachsen nie gegeben. Die Toten wurden auf dem Verbandsfriedhof in Hemsbach an der Bergstraße beigesetzt.

Die Juden erwarben ihren Lebensunterhalt in der Regel durch Handel mit Vieh und Textilwaren. 1933 waren nur noch die Brüder Beni und Max Benjamin als Viehhändler tätig. An jüdischen Ladengeschäften gab es in neuerer Zeit ein Mehl- und Futtermittelgeschäft, ein Kolonialwarengeschäft, ein Textilgeschäft und eine koschere Metzgerei.

Über Ausschreitungen gegen die Juden während der Herrschaft der Nationalsozialisten ist nichts bekannt. Zu dieser Zeit war ihre Zahl schon so klein, dass sie nicht mehr in Erscheinung traten. Unter dem allgemeinen wirtschaftlichen Boykott waren sie gezwungen, ihre Geschäfte aufzugeben. 3 Juden starben nach 1933 noch in der Heimat, 4 suchten sich in den USA eine neue Existenz und 2 zogen 1939 nach Weinheim. Sie sind später in der Deportation umgekommen. Die letzten 5 Juden aus Lützelsachsen wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Von ihnen wurde 1 befreit, 3 im Alter zwischen 78 und 82 Jahren starben in Gurs und 1 Verschollener ist vermutlich in einem Vernichtungslager im Osten ermordet worden. Die jüdische Gemeinde wurde offiziell durch einen Beschluss des Badischen Staatsministeriums vom 12. Oktober 1937 aufgelöst.

Die ehemalige Synagoge wurde 1938 verkauft und zu einem Wohnhaus umge­baut. Sie blieb deshalb in der Kristallnacht unversehrt. Ein Lamm mit einer Fahne an der vorderen Giebelwand deutet auf die frühere Eigenschaft als Kultgebäude hin.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Fitzer, Valentin, Lützelsachsen, ein Streifzug durch die Geschichte des Dorfes und seiner Umgebung, 1928. 
  • Fresin, Josef, Heimatbuch Leutershausen an der Bergstraße, 1960.

Ergänzung 2023

1985 erwarb die Gemeinde Hirschberg das Gebäude der ehemaligen Synagoge von Leutershausen. Seit 2001 wird es nach umfangreichen Renovierungsmaßnahmen als Haus der Kultur und Begegnung genutzt.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Leutershausen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Leutershausen

  • Gutjahr, Rainer, Zur Geschichte der Juden in Leutershausen (Auszug eines Beitrags für das Heimatbuch), in: Alte Synagoge Leutershausen. Haus der Kultur und Begegnung. Gemeinde Hirschberg a.d.B. Festschrift zur Eröffnung 2001, S. 11-26.
  • Gutjahr, Rainer, Der israelitische Elementarunterricht im badischen Leutershausen an der Bergstraße zwischen dem „Judenedikt“ von 1809 und der Einführung der Simultanschule 1876, in: Landesgeschichte und Geschichtsdidaktik. Festschrift für Rainer Jooß (Gmünder Hochschulreihe Nr. 24), hg. von Gerhard Fritz, Schwäbisch Gmünd 2004, S. 53-71.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Schnurr, Erhard, Die Juden aus Leutershausen und Großsachsen in der nationalsozialistischen Verfolgung. Zur Erinnerung an die ehemaligen jüdischen Mitbürger der Gemeinde Hirschberg an der Bergstraße, hg. von Arbeitskreis Ehemalige Synagoge Leutershausen e.V., Hirschberg 2010.
  • Twiehaus, Christiane, Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien, (Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg), Heidelberg 2012, S. 31-33.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 364-365.

Lützelsachsen

  • Fresin, Josef, Ortschronik von Lützelsachsen, Weinheim 1965, S. 57-64.
  • Gutjahr, Rainer, Vier Dokumente zur Geschichte der Juden in Lützelsachsen an der Bergstraße, in: Unser Museum. Mitteilungen des Förderkreises des Museums Weinheim 18 (2007), S. 24-30.
  • Gutjahr, Rainer, Weinheimer und Lützelsachsener Juden im 18. Jahrhundert. Eine Nachlese, in: Unser Museum. Mitteilungen des Förderkreises des Museums Weinheim 12 (2001), S. 9-11.
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