Odenheim mit Menzingen

Bereich um den Standort der Synagoge in der ehemaligen Klosterkirche von Odenheim, heute Untere Klosterstraße 20, auf der Badischen Gemarkungskarte (1883-85). Die Gemeinde löste sich 1937 auf. Das baufällige Gebäude wurde 1940 abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 1408]
Bereich um den Standort der Synagoge in der ehemaligen Klosterkirche von Odenheim, heute Untere Klosterstraße 20, auf der Badischen Gemarkungskarte (1883-85). Die Gemeinde löste sich 1937 auf. Das baufällige Gebäude wurde 1940 abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK H-1 Nr. 1408]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Anfang des 12. Jahrhunderts stiftete der dem Geschlechte der Grafen von Lauffen entstammende Erzbischof Bruno von Trier auf seinem Erbgut Odenheim ein Benediktinerkloster. Der im Spätmittelalter stark verweltlichte adelige Konvent wurde 1494 in ein Kollegiatstift umgewandelt und sein Sitz aus Sicherheitsgründen 1507 in die ummauerte Stadt Bruchsal verlegt. Zum Stiftsgebiet gehörten außer Odenheim noch sieben weitere Dörfer. Bei der Säkularisation des Ritterstifts im Jahre 1803 fiel Odenheim an Baden.

Schon im Mittelalter soll in Odenheim eine Judengemeinde bestanden haben. Sichere Nachrichten über die Anwesenheit von Juden haben wir aber erst aus dem 18. Jahrhundert. 1740 befindet sich unter den Juden, die sich in Karlsruhe ein Haus bauten, auch einer aus Odenheim. 1762 wohnten etwa zehn Judenfamilien hier. 1825 lebten im Stiftsdorf 75 Juden, 1875 106, 1900 72, 1925 36 und 1933 20. Im Ersten Weltkrieg fiel Hermann Harry Freund.

Seit 1827 gehörte die israelitische Gemeinde Odenheim zum Rabbinatsbezirk Bruchsal. Der Gottesdienst wurde in der zur Synagoge umgestalteten ehemaligen Klosterkirche gefeiert. Die Toten fanden ihre letzte Ruhe auf dem jüdischen Friedhof in Oberöwisheim. Da die Israelitische Religionsgemeinde Odenheim 1937 nur noch aus zwei Familien bestand, löste sie das Badische Staatsministerium durch Beschluss vom 8. Januar 1937 auf. Der Israelitische Oberrat wies die wenigen verbliebenen Juden der Gemeinde Bruchsal zu. Die Synagoge in der Klosterstraße, die nicht mehr benutzt und gepflegt wurde, verfiel und musste später abgebrochen werden.

Die Odenheimer Juden waren zunächst alle Landwirte und Viehhändler, aber schon bald nach den Judengesetzen von 1808 wandten sie sich auch anderen Erwerbszweigen zu. Bis um 1900 gab es mehrere jüdische Metzgereien. Als sie aufgegeben wurden, schächtete man Rinder und Kälber nach jüdischer Vorschrift im Schlachthaus des Metzgermeisters Josef Günther.
Eine starke Verbesserung des wirtschaftlichen Lebens in Odenheim brachte die Einführung der Tabakindustrie durch die Familie Flegenheimer. Um 1811 zog Moses Flegenheimer aus Tairnbach nach Odenheim. Wie seine Glaubensgenossen im Dorf war er Landwirt und Viehhändler. Er erwarb als einer der ersten Juden das badische Bürgerrecht. Gegenüber dem Friedhof besaß er eine größere Wiese, die noch heute nach ihm den Flurnamen „Moschebuckel" trägt. Zwischen 1830 und 1840 fermentierte er Tabak für eine auswärtige Firma. Sein Sohn Simon führte den väterlichen Betrieb weiter und kaufte um 1853 das alte Gasthaus „Zum Ochsen" und die Gemeindebäckerei, die ebenfalls von der Familie Flegenheimer betrieben wurde. Die Enkel des Moses Flegenheimer, Adolf und Isidor, gründeten 1898 die Zigarrenfabrik Flegenheimer & Co. Sie bauten zu diesem Zweck den „Ochsen" neu auf und richteten in dem Saal über der Wirtschaft die Fabrik ein. 1807 wurde die um 1900 in Odenheim gegründete Zigarrenfabrik Hotz ersteigert und deren Arbeiterstamm übernommen. Vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigte die Firma Flegenheimer 180-200 Personen. Um diese Zeit errichtete die Firma Heidelberger aus Mannheim zwei Zigarrenfabriken in Odenheim. Der Hauptsitz der Firma Flegenheimer wurde 1914 nach Heidelberg-Kirchheim verlegt.

Außer den Zigarrenfabriken gab es um 1933 in Odenheim an jüdischen Unternehmen eine Kohlen- und Schuhhandlung, zwei Manufakturwarengeschäfte und eine Geschirrhandlung. Im Gegensatz zur wirtschaftlichen Bedeutung spielten die Juden im öffentlichen Leben nur eine geringe Rolle. Siegmund Odenheimer stiftete das heute noch stehende  Siegfriedsbrunnendenkmal in Odenheim.

Der organisierte Boykott am 1. April 1933 wurde in Odenheim nicht durchgeführt. Bald aber hatten auch die Odenheimer Juden von Mitgliedern der NSDAP Schikanen und Kränkungen aller Art zu erdulden, so dass schon zwischen 1935 und 1937 fast alle ihre Geschäfte verkauften - die Zigarrenfabriken wurden „arisiert" - und nach den USA (8), nach Frankreich (4) und Argentinien (1) auswanderten. In Odenheim starben nach 1933 zwei Juden. In der Kristallnacht im November 1938 kam es zu keiner Aktion gegen die Juden, da die Gemeinde bereits aufgelöst und nur noch fünf jüdische Bürger anwesend waren. Am 22. Oktober 1940 wurden die letzten vier Juden nach Gurs deportiert. Einer von ihnen konnte nach den USA auswandern. Die übrigen sind verschollen. Die nach Frankreich ausgewanderten vier Odenheimer Juden wurden 1943/44 von der Gestapo verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Dort wurden drei ermordet, der vierte im Frühjahr 1945 im KZ Buchenwald.

Seit 1921 nahmen auch die wenigen Juden des Nachbarortes Menzingen als Filialgemeinde am religiösen Leben der jüdischen Gemeinde Odenheim teil. Als Besitzung des gleichnamigen Geschlechtes gehörte der Marktflecken Menzingen zum Ritterkanton Kraichgau, bis er 1806 an Baden fiel.

Ostwand der ehemaligen Synagoge in Menzingen, 2003. Anfang der 1920er Jahre wurde das Gebäude an die Gemeinde verkauft. Danach diente es viele Jahre schulischen Zwecken, heute wird es als Wohnhaus genutzt. [Quelle: Alemannia Judaica, Foto: Joachim Hahn]
Ostwand der ehemaligen Synagoge in Menzingen, 2003. Anfang der 1920er Jahre wurde das Gebäude an die Gemeinde verkauft. Danach diente es viele Jahre schulischen Zwecken, heute wird es als Wohnhaus genutzt. [Quelle: Alemannia Judaica, Foto: Joachim Hahn]

Schon vor der Reformation waren in Menzingen Juden ansässig. Das Dorfbuch vom Jahre 1546 enthält Strafbestimmungen über Wuchergeschäfte zwischen Juden und Christen. Während des Dreißigjährigen Krieges sind die Menzinger Juden größtenteils abgewandert, da in dem verarmten und nahezu ausgestorbenen Dorfe keine Handelsgeschäfte mehr zu machen waren. Nach den Kriegswirren kehrten sie allmählich wieder zurück. 1693 erlaubte die Herrschaft jedem Juden in Menzingen, je 2 Stück Vieh jährlich zu schächten. Die Erlaubnis wurde später mehrfach erweitert. Dagegen erhoben die Menzinger Metzger und Gastwirte Klage, die im württembergischen Güglingen verhandelt und entschieden wurde. Bei Strafe von 5 Gulden wurde den Menzinger Juden verboten mehr als je 4 Stück Groß- und Kleinvieh jährlich zu schlachten. Die Zunge bekam die Herrschaft.

1800 lebten 16 jüdische Familien mit 74 Seelen in Menzingen. Fünfzig Jahre später war die Zahl auf 24 Familien mit 100 Erwachsenen und 19 Schulkindern angewachsen. Die jüdische Gemeinde hatte seit langer Zeit eine eigene Schule mit einem jüdischen Lehrer. Als Schulhaus diente das Haus Nr. 92 in der Hauptstraße. Eine Synagoge wurde 1787 erbaut. Seit 1827 gehörte Menzingen zum Rabbinatsbezirk Bretten. Die Toten wurden auf dem Verbandsfriedhof in Oberöwisheim beigesetzt.

Für die im 19. Jahrhundert stark anwachsende Gemeinde wurde die alte Synagoge zu klein. 1836 gründete daher die jüdische Gemeinde einen Synagogenbaufonds, in den jeder Steuerpflichtige für je 100 Gulden Vermögen wöchentlich 1 Kreuzer zu zahlen hatte. Weitere Baubeträge waren bei Beschneidungen und Trauungen zu entrichten. Erst 1870 konnte die neue Synagoge errichtet werden. Nach der Auflösung der israelitischen Gemeinde am 7. Dezember 1921 wurde sie an die politische Gemeinde verkauft; sie richtete in dem Gebäude eine Gewerbe- und Industrieschule ein.

Da der kleine Ort den zahlreichen Juden keine Existenzmöglichkeit mehr bot, setzte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Abwanderung in die umliegenden Städte ein, die im Mai 1921 ihren Abschluss fand. Die Familien Herzog, Lindauer, Stiefel und Westheimer ließen sich in Bruchsal nieder, wo sie bessere Lebensverhältnisse vorfanden. Die Abwanderung war für das geschäftliche und wirtschaftliche Leben des Dorfes ein empfindlicher Verlust. Die Juden galten als umsichtig, fleißig und sparsam. Sie hielten fest am Glauben ihrer Väter, nahmen aber ebenso während des Ersten Weltkrieges an den täglichen Kriegsandachten in der evangelischen Kirche teil.

1933 waren nur noch sieben Juden in Menzingen wohnhaft. Josef Stiefel betrieb seit 1914 das Lebensmittel- und Manufakturwarengeschäft seines Vaters und handelte mit Fellen. Im Dezember 1938 wanderte er mit seiner Familie als letzter Jude aus Menzingen nach den USA aus, nachdem er im Zusammenhang mit den Ereignissen der Kristallnacht etliche Tage in Dachau interniert gewesen war.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Becher, Otto, Zur Geschichte der Juden in Menzingen, in: Aus Bruhrain und Kraichgau, 1928, Nr. 1/2. 
  • Hodecker, Friedrich, Odenheim, Eine Wanderung durch 2000 Jahre Odenheimer Geschichte, 1962. 
  • Reichert, Heinrich, Streitfragen um den Siegfriedsbrunnen bei Odenheim, in: Aus Bruhrain und Kraichgau, 1933, Nr. 2.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Odenheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Odenheim

  • Gehrig, Franz, Hilsbach. Chronik der höchstgelegenen Stadt im Kraichgau, 1979, S. 197.
  • Heimatbuch Östringen. Geschichte einer Stadt, 1982.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Familienbuch (Ortssippenbuch) von Odenheim (Landkreis Karlsruhe), hg. vom Heimatkundlichen Arbeitskreis Odenheim, (Deutsche Ortssippenbücher Bd. 269, Badische Ortssippenbücher Bd. 86), 2000.
  • Fetzer, Ralf, Untertanenkonflikte im Ritterstift Odenheim vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Alten Reiches, (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg 150), 2002, S. 37 und S. 87-88.
  • Stude, Jürgen, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1990.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 219-220.

Menzingen

  • Becher, Otto, Zur Geschichte der Juden in Menzingen, in: Bruhrain und Kraichgau. Bruchsaler Geschichtsblätter, Nr. 1/2 (1928), S. 1-4.
  • Bienwald, Günter, Menzingen. Ein Gang durch seine 1200 Jahre Geschichte, 1970, S. 52-56.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Jung, Norbert, Kleine Zeittafel zur Geschichte der Juden in Menzingen, hg. von Norbert und Elka Jung, 2. Aufl., Heilbronn 2021.
  • Schmitt, Rolf, Biografien von Dina Lindauer geb. Löwenthal (1900-1998) und Hans Moritz Lindauer (1927-1945). Wie der Name Lindauer nach Menzingen kam, in: Gedenkschrift zur 5. Stolpersteinverlegung in Bruchsal am 27.3.2019, hg. von der Stadt Bruchsal, Bruchsal 2019.
  • Stude, Jürgen, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1990.
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