Philippsburg mit Oberhausen

Bereich um den Standort der Synagoge, heute Ecke Alte Kirchenstraße - Weißetorstraße, auf dem Plan der Stadt Philippsburg von 1893. Die Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört, das Grundstück im Anschuss verkauft. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 390 Nr. 3961]
Bereich um den Standort der Synagoge, heute Ecke Alte Kirchenstraße - Weißetorstraße, auf dem Plan der Stadt Philippsburg von 1893. Die Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört, das Grundstück im Anschluss verkauft. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 390 Nr. 3961]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Udenheim, seit 1623 nach Bischof Philipp Christoph von Sötern Philippsburg genannt, hatte als fürstbischöflich-speyerische Residenz- und Festungsstadt im 17. und 18. Jahrhundert ein schweres wechselvolles Schicksal. 1723 verlor es den Rang als Residenzstadt an Bruchsal, 1803 wurde die Festung geschleift. Bei der Säkularisation des Hochstifts Speyer im Jahre 1803 fiel die Stadt an Baden.

1337 wird in einem Vergleich Bischof Gerhards von Speyer mit seinen Juden über die Ablösung einzelner Steuern und Dienste durch eine Bede auch Udenheim als Judenwohnort erwähnt. Nach dem Pogrom von 1348/49 scheinen sich in den nächsten Jahrhunderten keine oder nur vereinzelte Juden in der Stadt aufgehalten zu haben.

Der Festungsbau, mit dem Fürstbischof Philipp Christoph 1615 begann, zog Juden herbei. Auch während des Dreißigjährigen Krieges und der Kriege Ludwigs XIV. befanden sich Juden in der späteren Reichsfestung. In Grimmelshausens „Simplicissimus" wird ein Jude in der Festung beauftragt, für den völlig abgerissenen Simplicissimus Pferd und Kleider zu beschaffen. Nach den Kriegswirren bat der im Dienste des damaligen französischen Kommandanten von Philippsburg stehende bischöflich speyerische Schutzjude Vehus (Vaiß) den Markgrafen Friedrich VI. von Baden-Durlach (1659-77) um Jahresgeleit für sein Land. Er begründete sein Gesuch damit, dass er während des Krieges badischen Amtleuten und Bürgermeistern, die ihre Kontribution nicht pünktlich abgeliefert hatten und deshalb von den Franzosen eingesperrt worden waren, durch Geld und Fürsprache Hilfe geleistet habe. Damals lebten die Juden der Stadt hauptsäd1lich vom Vieh und Kramhandel sowie vom Geldverleih.

Gegenüber dem 17. Jahrhundert ging im 18. Jahrhundert die Zahl der Juden wieder zurück; dies hing mit der Verlegung der Residenz nach Bruchsal zusammen. 1683 wohnten in Philippsburg fünf Judenfamilien, 1740 drei. 1755 ließ sich ein Jude taufen. Nach dem strengen Viehhandelsverbot von 1765 lebte 1784 nur noch eine Judenfamilie in Philippsburg. 1785 und 1809 waren es wieder zwei. 1810 betrug die Zahl der jüdischen Einwohner 12, 1825 24, 1831 15. Bis 1842 schnellte sie auf 94 hoch, sank aber infolge Auswanderung auf 67 im Jahre 1849 herab. 1875 zählte man 79 Juden. Eine neue Auswanderungswelle verminderte ihre Zahl bis 1895 auf 67. 1900 wohnten in Philippsburg 57 Juden, 1925 50 und 1933 45. Die häufigsten Namen waren Gutmann und Löb. Im Ersten Weltkrieg sind Moritz Faber, Hugo Löb und Hugo Neuburger gefallen.

Seit 1710 war Isaak Salomon Kahn aus Krakau Rabbiner in Philippsburg. 1713 wurde er zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Durlacher und Grötzinger Juden nach Durlach gerufen. Er wurde dann der erste Landrabbiner von Baden-Durlach. 1827 kam die Synagogengemeinde Philippsburg zum Rabbinatsbezirk Bruchsal. Der Gottesdienst wurde in einem Bethaus in der Weißetorstraße, allgemein Synagoge genannt, gehalten. Nachdem Unterhandlungen mit den Nachbargemeinden Graben und Liedolsheim über die Errichtung eines gemeinsamen Friedhofs ohne Ergebnis geblieben waren, wurde am 28. Mai 1889 im Gewann „im Sand auf dem Wall" zwischen Philippsburg und Huttenheim auf Huttenheimer Gemarkung ein eigener Friedhof eingeweiht und am 11. Mai 1890 erstmals belegt. Bis dahin fanden die Toten auf dem Verbandsfriedhof in Obergrombach ihre letzte Ruhestätte.

Mit den christlichen Stadtbewohnern lebten die Philippsburger Juden in freundlichem Verhältnis. Samuel Gutmann hatte während des Ersten Weltkrieges für die Lebensmittelversorgung der Stadt zu sorgen. Er saß im Aufsichtsrat der Bruhrainer Volksbank. Der Religionslehrer Moritz Neuburger war Sprecher der Demokratischen Partei und Mitglied des Gemeinderates.

Am wirtschaftlichen Leben waren die Juden ebenfalls beteiligt. Die Landesproduktengroßhandlung Samuel Gutmanns war im ganzen Landkreis bekannt. David Maier betrieb eine Zigarrenfabrik, Karl Löb II eine Druckerei. Mathilde Faber war Inhaberin der Eisen- und Manufakturwarenhandlung Fa. Gehr. Gutmann. Jenny Gutmann handelte mit Mehl und Landesprodukten. Die Eheleute Nathan und Karoline Löb hatten einen Textilhandel. Karl Löb I führte eine koschere Metzgerei, Heinrich Löb und Samuel Samuel trieben Viehhandel.

Die nationalsozialistische Judenhetze konnte die Philippsburger Juden zwar aus Handel und Ämtern vertreiben, aber nur wenig die wohlwollende Gesinnung der Bevölkerung gegen ihre jüdischen Mitbürger beeinträchtigen. In der Kristallnacht im November 1938 wurde von auswärtigen SA-Leuten die Synagoge angezündet und der Religionslehrer Moritz Neuburger in „Schutzhaft" nach Dachau verbracht. Die Philippsburger SA-Leute lehnten die Inszenierung einer Aktion gegen das Eigentum ihrer jüdischen Mitbürger ab und beteiligten sich an den Löscharbeiten. Nach 1933 starben noch 3 Juden zu Hause, 22 wanderten nach den USA, nach Luxemburg, England, Schweden und Italien aus. Da die jüdische Einwohnerschaft überaltert war und kaum unter Schikanen zu leiden hatte, befanden sich 1940 noch 21 Juden in Philippsburg, die am 22. Oktober nach Gurs deportiert wurden. 6 von ihnen wurden wieder befreit. 3 Deportierte starben im Lager Gurs, 1 im Lager Noe, und mindestens 6 wurden in Auschwitz ermordet.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches kehrte Moritz Neuburger aus Frankreich nach Heidelberg zurück. Als Mitglied des Israelitischen Oberrats besuchte er öfter seine Heimatstadt, auf deren jüdischem Friedhof er 1954 seine letzte Ruhe fand. Der Gottesacker wird von der Gemeinde und den Schulkindern gepflegt. Das restaurierte Synagogengebäude dient heute Wohnzwecken.

Als die jüdische Gemeinde Liedolsheim 1903 aufgelöst wurde, wies der Oberrat die letzten dortigen Juden der Philippsburger Judengemeinde zu, aber bereits 1910 gab es keine Juden mehr in Liedolsheim.

Die wenigen Juden im benachbarten Oberhausen (1875 2, 1900 3, 1925 7) gehörten seit 1895 zur jüdischen Gemeinde Philippsburg. Von den 1933 ortsanwesenden Juden wanderten zwei nach den USA und Argentinien aus. Ein in sogenannter Mischehe lebender getaufter Jude wurde 1945 nach Theresienstadt deportiert, von wo aus er nach der Befreiung zurückkehrte.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Futz, Karl Heinz, Der israelitische Friedhof Philippsburg, in: Philippsburger Heimatgrüße 27, 1964.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Philippsburg, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Germania Judaica, Bd.2, 2. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 655-656.
  • Odenwald, Konrad, Das Schicksal der jüdischen Synagogengemeinde Philippsburg, in: Heimatbuch Philippsburg, S. 194-204.
  • Stude, Jürgen, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1990.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 421-423.
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