Rust 

 

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das Dorf Rust gehörte zum Ritterkanton Ortenau und war seit 1442 eine Besitzung der Familie von Böcklin. 1806 kam es an Baden.

Juden ließen sich erst während des Dreißigjährigen Krieges in Rust nieder, während sie in den Nachbardörfern schon um 1600 erwähnt werden. Ein Dorfrecht aus jener Zeit verbot den Bewohnern Rusts, bei den Juden etwas zu entlehnen oder sich mit ihnen in Geschäfte einzulassen. Um 1770 wird über das eigenmächtige Vorgehen des Klosters Ettenheimmünster gegen einen Juden aus Rust berichtet. Dieser, sonst ein ehrlicher Mann, hatte im Gebiet des Klosters Schulden gemacht und nicht bezahlt. Dafür sperrte man ihn vier Wochen in den Turm, nachher in einen Schweinestall, stellte ihn an den Pranger und führte ihn schließlich an die Gemarkungsgrenze.

Im 19. Jahrhundert bildete sich in Rust für mehrere Jahrzehnte eine große jüdische Gemeinde. 1809 lebten fünf Judenfamilien im Dorf. 1825 zählte die Gemeinde 150, 1842 211, 1875 173 (10,0 Prozent von 1733 Einwohnern), 1900 66, 1925 38 und 1933 26 Juden.

Rust gehörte seit 1827 zum Rabbinatsbezirk Schmieheim, dessen Amtssitz 1893 nach Offenburg verlegt wurde. Als die alte Synagoge zu klein geworden war, baute man sie zu einem Wohnhaus um und errichtete 1895 einen repräsentativen Neubau. Eine eigene Volksschule für die jüdischen Kinder bestand schon 1835. Die Toten bestattete man seit jeher auf dem jüdischen Friedhof in Schmieheim. 1933 hatten die Ruster Juden keine große wirtschaftliche Bedeutung mehr. Bernhard Johl war Inhaber des Gasthauses zur „Blume". Außerdem betrieb er mit seinem Sohn Gustav eine koschere Metzgerei. Leopold Grumbacher führte eine kleine Wein- und Spirituosenhandlung. Max Moch lebte vom Viehhandel. Ein bescheidenes Auskommen durch Altmaterialhandel fanden Julius Heilbronn und David Klein.


Die Ruster haben mit ihren jüdischen Mitbürgern viele Generationen in bestem Einvernehmen gelebt. Das gute Verhältnis änderte sich auch nach 1933 nicht sogleich. Erst nach der Kristallnacht 1938 wurden die Fenster der Synagoge und einzelner jüdischer Häuser eingeworfen. Auch die Inneneinrichtung der Synagoge wurde beschädigt. Drei Juden wurden für einige Wochen im KZ Dachau interniert.

Der größere Teil der Juden war schon bis 1938 nach Frankreich und Amerika ausgewandert. Die Zurückgebliebenen wurden nach 1938 teilweise zu Gemeindearbeiten herangezogen. 8 Juden wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Von ihnen konnten 6 aus dem Lager befreit werden und auswandern, darunter der Gastwirt Bernhard Johl und seine Ehefrau. Bernhard Johl starb vor der Überfahrt nach USA 1941 in Lissabon, wo er begraben liegt. Der Viehhändler Max Moch und seine Ehefrau Cora fanden in Auschwitz den Tod. Auch der Altmaterialhändler David Klein, der bereits 1933 mit seinen vier Kindern nach Frankreich ausgewandert war, wurde im März 1944 bei einer Razzia der Gestapo verhaftet und vom Sammellager Drancy zur Vernichtung nach Auschwitz abtransportiert.

Die in der Kristallnacht fast unversehrt gebliebene Synagoge wurde im Frühjahr 1940 durch französischen Artilleriebeschuss schwer beschädigt. Die aus der Kampfzone evakuierten Juden boten das beschädigte Gotteshaus zum Verkauf an. Im Frühjahr 1941 erwarb die Gemeinde das Grundstück. Heute gehört es der Raiffeisenkasse, die das schadhafte Gebäude 1965 - nach langen Diskussionen über den künstlerischen Wert in denkmalpflegerischer Sicht - abbrechen und an ihrer Stelle ein Lagerhaus errichten ließ. Eine Gedenktafel erinnert an die ehemalige Synagoge. Auf Vorschlag des Oberrats der Israeliten in Karlsruhe haben die Steine der „Heiligen Lade" als Gedenkstätte auf dem jüdischen Friedhof in Schmieheim eine würdige Aufstellung gefunden.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Schwarz, Benedikt, Ein Dorfrecht vor 300 Jahren, in: Breisgauer Erzähler, 1902. 
  • Keller, Hans, Spätes Ende einer Synagoge, in: Stuttgarter Zeitung Nr. 185 vom 13.8.1964.

Ergänzung 2023:

1998 wurde die Portalinschrift an ihren ursprünglichen Standort zurück gebracht und dort wieder aufgebaut. 

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Rust, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger.
  • Kähni, Otto, Geschichte der Offenburger Judengemeinde, in: Die Ortenau 49 (1969), S. 87.
  • Köbele, Albert, Ortssippenbuch Rust. Geschichte des Dorfes und seiner Familie. Grafenhausen bei Lahr 1969 (Deutsche Ortsippenbücher Reihe A Bd. 45, zugleich Bd. 21 der Badischen Ortssippenbücher).
  • Künzel, Peter, Sainte Radegonde. Traum und Tragik der jüdischen Familie Abraham aus Baden, Rust – Freiburg – Saumur – Auschwitz 1900 – 1950, Konstanz.
  • Meier, Maurice, Briefe an meinen Sohn. Aus Gurs 1940-1942, 2000.
  • Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim, Altdorf, Kippenheim, Schmieheim, Rust, Orschweier. Ein Gedenkbuch, hg. vom Historischen Verein für Mittelbaden e.V. - Mitgliedergruppe Ettenheim, 1988.
  • Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Speck, Anton Andreas, Der Fall Rothschild. NS-Judenpolitik, Opferschutz und „Wiedergutmachung“ in der Schweiz 1942-1962, (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz. Hg. vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, Bd. 9) Zürich 2003.
  • Twiehaus, Christiane, Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien, (Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg), Heidelberg 2012, S. 29-31.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 494-495.
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