Weinheim

Der Büdinger Hof in der bis heute so genannten Judengasse in Weinheim, um 1910. In diesem Bereich wird die mittelalterliche Synagoge von Weinheim vermutet. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 498-1 Nr. 2636]
Der Büdinger Hof in der bis heute so genannten Judengasse in Weinheim, um 1910. In diesem Bereich wird die mittelalterliche Synagoge von Weinheim vermutet. [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 498-1 Nr. 2636]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Die Stadt Weinheim gehörte bis 1803 zur Kurpfalz und fiel dann an Baden. Schon im 13. Jahrhundert bestand in Weinheim eine Judengemeinde, die in den Verfolgungen von 1298 und 1348/49 aufgerieben wurde. Kurfürst Ruprecht I. (1353-1390) nahm sich der bedrängten Juden an und gewährte den hauptsächlich aus Speyer und Worms geflüchteten gegen ein jährliches Schutzgeld Aufnahme in seinem Land. Unter seiner Regierung befanden sich in Weinheim die Juden Lebelang, der als Hohemeister der Juden bezeichnet wird, Garfan, Koppin, Liebbirmann, Walhen - ein Arzt, der der im Rheinland damals stark verzweigten Ärztefamilie Walch oder Wallach entstammte -, Salmann, Fyfant, Süßkind und Elias. Liebbirmann soll jährlich 50 Gulden Schutzgeld gezahlt haben. Laut Urkunde vom 8. Januar 1375 schuldete Ruprecht I. seinem Juden Fyfant und der Witwe des Hohemeisters Lebelang sowie einem Gumprecht in Heidelberg 400 Gulden, für die er je sechs Ratsleute aus Weinheim und Schriesheim als Bürgen stellte. Es handelte sich demnach um vermögende Juden, die damals in Weinheim ansässig waren. Wahrscheinlich wurden sie auch zur Deckung der Kosten für die Stadtbefestigung herangezogen. Der urkundlich 1434 belegte ehemalige Judenturm, der nordöstliche Eckturm der Stadt, deutet darauf hin. Die Juden wohnten in der Judengasse. Dort scheint auch die erste 1391 erwähnte Synagoge gestanden zu haben. Um 1875 wurde bei einem Brand ein steinerner Torbogen mit einer hebräischen Inschrift freigelegt, aus der zu entnehmen war, dass dieser Eingang zu einem Lehr- und Bethaus führte. Die Fundstelle an der Stadtmauer wurde leider wieder vermauert. Die Fundamente des Judenturms befinden sich im Hof des Anwesens Judengasse 9.

Mit Ruprecht I. waren auch die guten Jahre für die Juden vorbei. Ruprecht II. (1390-1398) vertrieb alle Juden aus der Pfalz und zog ihre Güter ein. Von den Weinheimer Judenbesitzungen verkaufte er eine Hofreite, eine Scheuer und einen Garten an der Judenschule sowie das Haus des Juden Süßkind an Weinheimer Bürger. Haus und Hof des Juden Elias schenkte Ruprecht III. 1403 seinem Protonotar Johannes von Weinheim. Die Kurfürsten behielten das Recht, in dem Haus bei Aufenthalten in Weinheim ihre Herberge zu nehmen und Frucht und Wein darin aufzubewahren. Es muss ein ansehnliches Haus gewesen sein, da es als Absteigequartier des Landesherrn vorgesehen war. Elias selbst wurde 1403 zum Einnehmer des Königs für die Judensteuern des Reiches bestellt. Zu dieser Zeit war er Mainzer Schutzjude geworden.

Erst wieder 1512 erhielt ein Jude, Schal aus Kronberg, mit seiner Familie gegen jährlich 15 Gulden den Schutz in Weinheim. Er lebte bis etwa 1550 anscheinend als einziger Jude in der Stadt, die anschließend wiederum nahezu ein Jahrhundert lang ohne jüdische Einwohner war, obwohl die damals regierenden Kurfürsten aus finanziellen Gründen den Juden gegenüber sehr tolerant waren. Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges ließ sich erneut ein Jude in Weinheim nieder. Einem zweiten wurde 1627 das Aufnahmegesuch abgelehnt „... sintemal gedachter zweiter Jude zum Schaden der Bürgerschaft geraten möchte". Auch der einzige Jude verließ während des großen Krieges die Stadt.

Um 1650 wurde ein gewisser Seligmann aus Wimpfen gegen fünf Reichstaler Schutzgeld in den pfälzischen Schutz nach Weinheim aufgenommen. Ihm folgten bald noch drei andere Familien. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts lebten 15 Judenfamilien in der Stadt. Sie besaßen Weinberge, die sie mit ihrem Gesinde bestellten. Der Schutzbrief von 1698 gestattete ihnen jeden „ehrbaren" Handel. Für die anwachsende jüdische Gemeinde errichtete ihr Vorsteher Mayer Oppenheimer und sein Sohn und Nachfolger Mordehe aus eigenen Mitteln um 1690 eine Synagoge in der Hauptstraße, die bis 1810 benutzt wurde.

Als im Jahr 1666 ein Kind des Juden Mayer an der Pest starb, wurde den Juden ein Platz am Wüstberg zur Anlage einer Begräbnisstätte bewilligt unter den Bedingungen, dass für jeden Toten ein Dukaten an die Stadt gezahlt wurde und dass Auswärtige nicht beigesetzt wurden. Entweder verzichteten die Juden von vornherein auf dieses Angebot oder die Begräbnisstätte wurde bald wieder aufgegeben. Der Ort behielt den Namen Judenbuckel. Die Toten wurden seitdem für einige Zeit gegen eine Taxe auf dem Friedhof der Stadt, der den Reformierten gehörte, bestattet. In neuerer Zeit wurden die Weinheimer Juden auf dem alten Verbandsfriedhof in Hemsbach beigesetzt.

Im 18. Jahrhundert ging die Zahl der Juden zurück. 1722 lebten 10, 1743 12 und zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur 8 Judenfamilien in Weinheim. Mit der beginnenden Emanzipation stieg ihre Zahl wieder an. 1825 zählte die Stadt 54, 1875 129, 1900 155, 1925 157 und 1933 168 Glaubensjuden. Im Ersten Weltkrieg fielen Karl David, Bernhard und Max Lehmann, Moritz und Sigmund Rothschild für das Vaterland.

1812 musste die alte baufällige Synagoge polizeilich geschlossen werden. Da die Gemeinde nicht einmal den bescheidenen Betrag von 1.420 Gulden für einen Neubau aufbringen konnte, wurde der Gottesdienst in einem Behelfsraum in der Hauptstraße abgehalten. Die günstigeren Verhältnisse um die Jahrhundertmitte erlaubten zunächst eine Wiederherstellung und Vergrößerung des alten Synagogengebäudes in der Judengasse. Aber erst die großzügige Förderung durch den Lederfabrikanten Hirsch ermöglichte 1905 den Neubau einer Synagoge in der Bürgermeister-Ehret-Straße. Der stattliche Bau wurde am 2. August 1906 eingeweiht. Seit 1827 gehörte die Gemeinde zum Rabbinatsbezirk Heidelberg.

Im 18. und 19. Jahrhundert ernährten sich die Weinheimer Juden hauptsächlich vom Kram- und Viehhandel oder waren als Metzger tätig. Fast alle besaßen eigene Häuser. Unter den Schikanen ihrer christlichen Konkurrenten hatten sie viel zu erdulden. So musste etwa 1686 verboten werden, die Juden mit „steinwerffen, ungleichen nachruffen, klopfen und sonsten allerhand Trangsalen zu belästigen". Ein Handelsverbot für Juden konnten die Weinheimer Geschäftsleute aber nicht erzwungen.

Zu Beginn des Dritten Reiches gab es unter den Weinheimer Juden etwa 35 selbständige Kaufleute. Besonders zu erwähnen sind das Textilhaus Rothschild, das Modehaus Bergen und das Warenhaus der Geschwister Mayer. Dr. Friedrich Reiss war Arzt, Dr. Ernst Levy Chemiker und Paula Rothschild eine talentierte Pianistin. Eine stadtbekannte Persönlichkeit war auch der 1936 in Frankfurt verstorbene Rechtsanwalt und langjährige stellvertretende Vorsitzende des Oberrats der Israeliten in Baden Dr. Moritz Pfälzer. Eine führende Rolle in der Geschichte der jüdischen Gemeinde wie der Stadt Weinheim überhaupt spielte die Lederfabrik Hirsch. Sie wurde 1867 von dem aus Mecklenburg stammenden Gerber Sigmund Hirsch (1845-1908) im „Diebsloch" gegründet. Bei seinem Tode beschäftigte die Firma rund 150 Personen, nach 1933 waren es 350 bis 400 Beschäftigte. Das Unternehmen hatte sich zur bedeutendsten Roßlederfabrik Deutschlands entwickelt. Ihre Hauptabsatzmärkte waren Holland und Belgien, aber auch auf dem übrigen Weltmarkt hatten sich die Hirsch'schen Roßleder einen Namen erworben. Unter dem nationalsozialistischen Druck musste die Firma 1938 liquidiert werden. Vergessen war das segensreiche öffentliche Wirken der Firmeninhaber, insbesondere die großzügige Unterstützung der Kriegsteilnehmer. Die Söhne des Gründers, Max und Julius Hirsch, wanderten 1939 nach den USA aus, wo sie 1950 bzw. 1955 starben. Sigmund und Max Hirsch dienten ihrer Stadt auch als Gemeinderäte. Die dritte Generation, die bereits in Weinheim im Familienunternehmen mitgearbeitet hatte, ist auch in der neuen Heimat erfolgreich tätig. Arthur Hirsch ist in den USA Chemiker. Von den Söhnen des Julius Hirsch war Kurt bis zu seinem Tode Lederkaufmann und Fritz selbständiger Lederfabrikant in den USA, während Franz Mitinhaber einer der bedeutendsten Häutehandlungen in Buenos Aires ist.

1918 gründete der Kantor und Hauptlehrer an der Pestalozzischule, Marx Meier, der bereits 1904 den Synagogenchor ins Leben gerufen hatte, den Kammermusikverein Weinheim. Zu seinen Förderern gehörten die alteingesessenen Geschlechter Hildebrandt, Freudenberg und Hirsch, die den Ehrgeiz hatten, einem größeren Kreis von Musikfreunden Konzerte zu bieten, die sonst nur in Großstädten veranstaltet werden konnten. Berühmte Quartette wie z. B. das Amar -, Wendling-, Rose-, Gewandhaus- und Buschquartett spielten in Weinheim. Wenn aber die Vereinskasse wieder einmal durch hohe Gagen erschöpft war, dann hat der „Hersch wieder gegewwe".

Außer dem Synagogenchorverein bestand als rein jüdischer Verein noch der 1868 gegründete Israelitische Krankenunterstützungs- und Sterbekassenverein Bikkur Cholim und ein Frauenverein. Die „Stiftung der Maier Traut Ehefrau Daitge geb. Ullmann" diente der Unterstützung armer Israeliten.

Der aufkommende Antisemitismus wurde 1927 spürbar, als ein Gemeinderatsmitglied die Einführung des wahlfreien hebräischen Unterrichts im Realgymnasium ablehnte. Als zum Boykott der jüdischen Geschäfte aufgefordert wurde, kennzeichnete man diese vereinzelt durch gelbe Kreise - das vorgeschriebene Zeichen der mittelalterlichen Juden - an den Schaufenstern. Von den über 200 Juden die zwischen 1933 und 1945 in Weinheim polizeilich gemeldet waren, sind 24 dort gestorben, 102 - vornehmlich nach den USA - ausgewandert, 25 in andere Städte umgezogen und 47 - darunter 6 Patienten der Kreispflegeanstalt – am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert worden. Von den Deportierten sind 8 in französischen Lagern gestorben, und 15 sind in Auschwitz umgekommen. 8 konnten auswandern, 16 sind verschollen. Leopold Schloß kam im Januar 1945 von Auschwitz nach Buchenwald und ist dort am 7. Februar 1945 gestorben. Der Religionslehrer Artur Auerbacher, der mit Ehefrau und zwei Söhnen nach Berlin umgezogen war, wurde von dort aus mit seiner Familie 1942 nach Izbica deportiert. Sie sind seither verschollen. 10 weitere ehemalige Weinheimer wurden vor allem von Mannheim aus nach Gurs gebracht. Von ihnen starben 6 in Auschwitz, 3 gelangten in die USA, 1 ist verschollen. Karl Heinz Klausmann, der bei der Aktion Gurs in Weinheim zurückblieb, verschwand 1942. Sein Schicksal ist unbekannt. Elsa Sernatinger, Florence Siehl und Lina Zatter, die mit „arischen" Männern verheiratet waren, überlebten das Dritte Reich in Weinheim, waren aber mancherlei Schikanen ausgesetzt. Die zum eingetragenen Verein umgewandelte jüdische Gemeinde war 1941 in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland eingegliedert worden.

Die Synagoge wurde am 8. November 1938 mit 25 kg Donarit-Gelatine gesprengt, nachdem man die umliegenden Häuser geräumt hatte. Zuvor hatten SA-Leute die Inneneinrichtung mit Äxten und Pickeln demoliert. Mehrere jüdische Wohnungen und Geschäfte wurden verwüstet. Auf dem Synagogengrundstück, das in private Hand überging, wurde später ein Wohnhaus errichtet.

Die wenigen Juden, die heute wieder in Weinheim leben, gehören der jüdischen Gemeinde Mannheim an.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Fresin, Josef, Die Geschichte der Stadt Weinheim, 1962. 
  • Horsch, Daniel, Sie waren unsere Bürger, Die jüdische Gemeinde in Weinheim an der Bergstraße, Weinheimer Geschichtsblatt 26, 1964. 
  • Pflästerer, Philipp, Weinheim um 1721. 
  • Weiß, Johann Gustav, Geschichte der Stadt Weinheim, 1911. 
  • Zinkgräf, Karl, Bilder aus der Geschichte der Stadt Weinheim, 1911. 
  • Ders., Die Pest in Weinheim im Jahre 1666. 
  • Ders., Weinheimer Bürgerbuch I, Weinheimer Geschichtsblatt 18, 1936.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Weinheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Denkschrift zur Erinnerung an die Einweihung der neuen Synagoge in Weinheim an der Bergstrasse. Gewidmet seinen Gemeindemitgliedern und Gönnern vom Synagogenrat, Weinheim 1906.
  • Fischer, Claudia, Geduldet, vertrieben, ermordet - Die Juden in Weinheim bis 1933, in: Die Stadt Weinheim zwischen 1933 und 1945, (Weinheimer Geschichtsblatt 38), hg. von Stadt Weinheim, Weinheim 2000, S. 351-444.
  • Fresin, Josef, Die Geschichte der Stadt Weinheim. Nachdruck Weinheim 1982 der Ausgabe Weinheim 1962.
  • Germania Judaica, Bd.2, 2. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 870f.
  • Germania Judaica, Bd.3, 2. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1995, S. 1563-1565.
  • Horsch, Daniel, Sie waren unsere Bürger. Die jüdische Gemeinde in Weinheim an der Bergstraße, Weinheimer Geschichtsblatt 26 (1964).
  • Huth, Hans, Die Kunstdenkmäler des Landkreises Mannheim, in: Die Kunstdenkmäler Badens X,3 (1967), S. 348, S. 350, S. 431, S. 434 und S. 465.
  • Modig, Christina, Die jüdischen Bürger Weinheims 1933-1945, S. 445-567.
  • Stolpersteine in Weinheim - Ein Rundgang, hg. von der Stadt Weinheim, Stadtarchiv Weinheim 2018.
  • Twiehaus, Christiane, Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien, (Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg), Heidelberg 2012, S. 38-42.
  • Weiß, J. G., Geschichte der Stadt Weinheim, Weinheim 1911.
Suche