Versicherungsunterlagen (v.a. Gebäudebrandversicherung)

Von Claudia Wieland

Lageplan der Betriebsgebäude der ehemaligen Brauerei Klotzbücher in Bad Mergentheim im Schätzungsprotokoll zur Gebäudeneuschätzung, 1927, (Quelle: Landesarchiv BW, StAWt-K V 4 Nr. 68)
Lageplan der Betriebsgebäude der ehemaligen Brauerei Klotzbücher in Bad Mergentheim im Schätzungsprotokoll zur Gebäudeneuschätzung, 1927, (Quelle: Landesarchiv BW, StAWt-K V 4 Nr. 68)

Definition der Quellengattung

Versicherungsunterlagen sind Schriftquellen, die aus der vorsorglichen finanziellen Absicherung von Lebensrisiken von Privatpersonen und Institutionen entstanden sind. Dies kann sowohl bei den Anbietern von Versicherungsleistungen als auch bei den Kunden entstandene Dokumente umfassen. Es gibt heute eine sehr große Bandbreite an Versicherungsangeboten, in der kommunalen und staatlichen Überlieferung findet sich überwiegend Schriftgut aus dem Bereich der Feuerversicherung und den Sparten der Sozialversicherung.

Historische Entwicklung

Die freiwillige oder verpflichtende Absicherung von individuellen Lebensrisiken durch eine Versicherung hat ihre Wurzeln in den Genossen- und Sterbekassen der Zünfte und Bruderschaften.[1] In eine Gemeinschaftskasse geleistete Beiträge kamen im Bedarfsfall dem Zunftmitglied bzw. seiner Familie zugute. Diese als Verein auf Gegenseitigkeit nicht erwerbsorientiert organisierten Gemeinschaftskassen öffneten sich später auch Nichtmitgliedern. Das aus landesherrlicher Sicht – abgesehen von Kriegsereignissen – größte Risiko, welches im Schadensfall die Landesökonomie, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einzelner Teile der Bevölkerung, ja ganzer Kommunen massiv beeinträchtigen konnte, war das Brandrisiko. Seit Ende des 17. Jahrhunderts (1676: Hamburger Feuerkasse) entstanden daher, oft als Folge verheerender Brandereignisse, auf staatliche Initiative und unter Staatsaufsicht in vielen Ländern des Deutschen Reichs Feuerkassen und Brandassekurationen, die den Immobilienbestand (nicht jedoch das darin befindliche Mobiliar) gegen Brand absicherten.[2] Die Monopolstellung dieser Anstalten, verbunden mit einem Beitrittszwang für Gebäudeeigentümer, hatte noch bis Ende des 20. Jahrhunderts Bestand. Neben diesen öffentlich-rechtlichen Anstalten entstanden seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts private Versicherungsgesellschaften, die v.a. Transportrisiken im See- und Fernhandel, das Feuerrisiko für Privateigentum an Mobilien sowie weitere Lebensrisiken absicherten.[3] Die Sozialpolitik Bismarcks schuf ab 1883 mit der Kranken-, Unfall- und Altersversicherung Pflichtversicherungen, die einen großen Teil der abhängig beschäftigten Bevölkerung erfassten. Das landwirtschaftliche Versicherungswesen umfasst die in der Landwirtschaft Tätigen, aber auch deren wirtschaftliche Grundlage (z.B. Viehversicherungen). Technischer Fortschritt und gesellschaftliche Entwicklungen führten sowohl bei den privatwirtschaftlichen wie auch bei den öffentlich-rechtlichen Versicherungen zur Ausbildung neuer Versicherungszweige, so z.B. einer Automobilhaftpflichtversicherung 1902 oder der Pflegeversicherung 1994.

Aufbau und Inhalt

Aus der großen Bandbreite an Versicherungsunterlagen sollen im Folgenden nur die in Kommunal- und Staatsarchiven am häufigsten vertretenen und nachgefragten Archivaliengattungen beschrieben werden.

Die ältesten Brandversicherungskataster (auch: Brandversicherungstabelle, Feuerversicherungsbuch) enthalten in meist vorgedruckten Formularen nur Angaben zur Gebäudenummer, zum Eigentümer, zum Gebäudebestand und zum Versicherungswert. Mit der Einführung einer Feuerversicherung war erstmals eine Nummerierung des Gebäudebestands notwendig geworden. Feuergefährliche Anlagen wie z.B. Ziegelhütten und Pulvermühlen konnten anfangs nicht versichert werden.

Feuerversicherungsbücher des Großherzogtums Baden enthalten in formalisiertem Aufbau in der Regel folgende Angaben: Nummer des Gebäudes bzw. Grundstücks, Eigentümer, knappe Bezeichnung des versicherten Gegenstands (Wohnhaus, Scheuer, Remise, Schweinstall), Bauart (Stein, Steinriegel, Holz) und Dachbedeckung (feuersichere, Holz (Schindel), Stroh), Angaben zu Kosten des Baus, Versicherungswert, ggf. Versicherungsgesellschaft und Vertragslaufzeit. Die Einträge erfolgten in Reihenfolge der Gebäudenummern bzw. nach Straßennamen geordnet. Änderungen in den über einen längeren Zeitraum geführten Versicherungsbüchern, z.B. Eigentümerwechsel und Zu- und Abgänge am versicherten Gebäudebestand, wurden nachgetragen.

Die württembergischen Feuerversicherungsbücher sind in vergleichbarer Weise aufgebaut und enthalten zusätzlich noch die von der Versicherung ausgenommenen feuerfesten Gebäudeteile (z.B. Fundament, Sockelmauern, Keller) sowie Verweise auf das Schätzungsprotokoll.

In regelmäßigen Abständen wurde eine Gesamtneueinschätzung des Gebäudebestands vorgenommen und ein aktualisiertes neues Versicherungsbuch angelegt.

Badische Einschätzungsverzeichnisse sind als Einzelfallakte für jedes unter einer Adresse versicherte Gebäude angelegt. Die darin enthaltenen Schätzungen enthalten neben einem Lageplan und den Angaben zu Hausbesitzer und Adresse Angaben zum Gebäude (Bezeichnung, Benutzungsart, Zahl der Geschosse), zur Bauart bzw. den Baustoffen (Stein, Ziegel, Holzfachwerk, Steinriegel, etc.), zur Feuergefährdung, zum Versicherungswert der versicherten Gebäudebestandteile und des Zubehörs, zu den von der Versicherung ausgeschlossenen Bestandteilen, ggf. zu Abmessungen des Gebäudes, zu Neubaukosten, Alter und Zustand des Gebäudes sowie zur Versicherungssumme. Aktualisiert wurden die Unterlagen bei allgemeinen Nachprüfungen oder baulichen Veränderungen.

Württembergische Schätzungsprotokolle sind dagegen chronologisch geführte Sammelbände und enthalten im Vergleich zu den Angaben des Feuerversicherungsbuchs neben Gebäudenummer, Eigentümer und Versicherungswert bei den Zubehörschätzungen vor allem detaillierte Angaben zur mit dem versicherten Gebäude verbundenen Innenausstattung. Auch Lagepläne finden sich darin. Die in Aktenform und pro versichertem Gebäudekomplex bzw. Adresse angelegten jüngeren Einschätzungsunterlagen sind dagegen weniger ausführlich und verweisen auf das jeweilige Schätzungsprotokoll bzw. Feuerversicherungsbuch.

Bei privaten Versicherungsgesellschaften konnte auch Mobiliar, vom einfachen Hausrat über Luxusgegenstände bis zur Gewerbebetriebseinrichtung, versichert werden. In chronologisch geführten Fahrnisversicherungsbüchern sind diese versicherten Vermögenswerte von Privatpersonen und Institutionen verzeichnet. Es werden Name und Stand bzw. Beruf des Versicherten, die Versicherungsgesellschaft, versicherter Gegenstand und dessen Wert, Beginn und Ende des Versicherungszeitraums, Standort bzw. Adresse des versicherten Gegenstands sowie Hinweise auf bereits bestehende Versicherungen angegeben. Daneben gibt es auch alphabetisch angelegte Fahrnisversicherungsbücher, die nur den Versicherungswert, jedoch keine näheren Angaben zum Versicherungsgegenstand enthalten.

Überlieferungslage und ggf. vorarchivische/archivische Bearbeitungsschritte

In den Staatsarchiven werden einerseits Akten der Versicherungsaufsicht, andererseits der Versicherungstätigkeit verwahrt. Die Überlieferung der staatlichen Gebäudebrandversicherungsanstalten findet sich hier genauso wie das nichtstaatliche Archivgut verschiedener öffentlich-rechtlicher Versicherungen (z.B. Badischer Viehversicherungsverband, Kommunaler Versorgungsverband Baden-Württemberg, Landesversicherungsanstalt Württemberg bzw. Baden/Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg, Allgemeine Ortskrankenkassen, etc.). In Kommunalarchiven findet man dagegen Unterlagen, die aus der mitwirkenden Funktion der Städte und Gemeinden bei der Verwaltung der Feuer-, Sozial- und landwirtschaftlichen Versicherungen entstanden sind. Aber auch die Kundenseite in Form von Versicherungsinventaren und policen ist dort dokumentiert, da sich die Kommunen ja selbst gegen verschiedene Risiken abgesichert haben. Schriftgut privatwirtschaftlicher Versicherungsunternehmen ist in den Kommunal- und Staatsarchiven in der Regel nicht überliefert, ggf. unterhalten die Versicherungen eigene Archive. In den Beständen des Landesarchivs Baden-Württemberg findet sich beispielsweise die regionale Überlieferung zur Gebäudebrandversicherung, Sign. StAWt-K V4, der Badischen Gebäudeversicherungsanstalt, Sign. GLAK 431, der Württembergischen Gebäudebrandversicherungsanstalt, Sign. StAL E 226/140 und StAL EL 550 I oder des oben erwähnten Badischen Viehversicherungsverbands, Sign. GLAK 69 Bad. Viehvers.

Quellenkritik und Auswertungsmöglichkeiten

Die Unterlagen aus dem Komplex Feuerversicherung werden in erster Linie für Fragestellungen der Gebäude- und Bauforschung bis hin zu aktuellen Wertermittlungen durch die Gutachterausschüsse herangezogen. Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass die ersten Feuerversicherungen noch keinen Anschlusszwang kannten bzw. dass es Ausnahmen von der Versicherungspflicht gab, weswegen nicht jedes ehemals bestehende Gebäude dokumentiert ist.

Gerade die Bauforschung nutzt die Einschätzungsverzeichnisse mit ihren Gebäudealtersangaben gerne als Ausgangsbasis. Jedoch ist nicht gesichert, auf welcher Grundlage diese Angaben erfolgten. Die Dienstweisung für die Bauschätzer der [Badischen] Gebäudeversicherungsanstalt von 1928[4] bestimmte in § 20, Abs. 1 dazu: Die Bauschätzer haben sodann zu erheben, wann das einzuschätzende Gebäude errichtet worden ist; ist über die Zeit der Errichtung keine sichere Nachweisung zu erhalten, so haben die Bauschätzer das Alter möglichst genau zu schätzen.

Die Schätzungsprotokolle bzw. Einschätzungsverzeichnisse der Feuerversicherung sowie die Fahrnisversicherungsbücher können auch für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte mit Gewinn genutzt werden. Aus den Schätzungen gehen z.B. die mit dem Gebäude verbundene technische Ausstattung von Gewerbe- und Industriebetrieben sowie die genaue Lage der einzelnen Betriebsgebäude hervor. Die soziale Schichtung einer Gesellschaft lässt sich u.a. am Besitz von Silberzeug/Silbergeschirr, Gold, Schmuck und Preziosen ablesen, einen Hinweis auf Bildung und Kultur geben versicherte Bücher, Gemälde, Kupferstiche und Musikalien. Woher sonst könnte man erfahren, dass um 1900 in Wertheimer Haushalten neben zahlreichen nicht näher spezifizierten Musikinstrumenten auch 12 Pianinos und Klaviere standen, wenn diese nicht versichert worden wären?

Hinweise zur Benutzung

Schwierigkeiten macht die Zuordnung der in den Versicherungsbüchern unter einer Gebäude- bzw. Hausnummer aufgeführten Objekte zum heutigen Gebäudebestand. In den vergangenen Jahrzehnten wurden zum einen völlig neue Ordnungssysteme (Flurstücknummern, Straßennamen) eingeführt, zum anderen gab und gibt es Straßenumbenennungen und Neunummerierungen, zu denen es nicht immer erklärende Unterlagen bzw. Konkordanzen gibt. Die Gebäudebesitzer sind über die meist vorhandenen Inhaltsregister in den Feuerversicherungsbüchern recherchierbar. Eine gezielte Suche nach Objekten in den chronologisch geführten Schätzungsprotokollen ist über den Umweg der jüngeren nach Adresse geführten Schätzungsakten und den dort enthaltenen Verweisen möglich. Die Schätzungsprotokolle selbst enthalten meist keine Inhaltsregister.

Nicht personenbezogenes Archivgut steht der Nutzung uneingeschränkt zur Verfügung. Insbesondere der Bereich des Sozialversicherungswesens enthält jedoch Schriftgut, das noch den Sperr- und Schutzfristen des Landesarchivgesetzes unterliegt. Eine Besonderheit stellen die von zahlreichen Kreis- und Kommunalarchiven übernommenen Unterlagen der ehemaligen badischen Gebäudeversicherungsanstalt und der württembergischen Gebäudebrandversicherungsanstalt dar. Mit dem Verkauf der beiden Versicherungen an den badischen und württembergischen Sparkassen- und Giroverband und dem Ende des Versicherungsmonopols zum 30.06.1994 ging auch eine Aktenaussonderung einher. Von der Sparkassenversicherung nicht mehr benötigtes und weitergeführtes Schriftgut wurde in mehreren Ablieferungen dem Landesarchiv bzw. nach § 3 Abs. 3 LArchG den Kommunalarchiven übergeben. Diese Unterlagen, zumeist Einschätzungsverzeichnisse und Gebäudeversicherungsbücher, stehen erst ab dem 01.07.2024 der Öffentlichkeit für eine Nutzung zur Verfügung.

Anmerkungen

[1] Wandel, Banken und Versicherungen; Koch, Versicherungswirtschaft.
[2] Sauer, Gebäudebrandversicherungsanstalt; Kistner, Gebäudeversicherungsanstalt; Rudolph, Feuerlösch- und Feuerversicherungswesen.
[3] Arps, Feuerversicherung.
[4] Gebäudeversicherungsanstalt, Dienstweisung, S. 19.

Literatur

  • Arps, Ludwig, 125 Jahre Württembergische Feuerversicherung A.G. in Stuttgart. Ein Kapitel deutscher Versicherungsgeschichte. 1828–1953, Stuttgart 1953.
  • Badische Gebäudeversicherungsanstalt, Dienstweisung für die Bauschätzer der Gebäudeversicherungs-Anstalt, Karlsruhe 1928.
  • Kistner, Albert, 200 Jahre Badische Gebäudeversicherungsanstalt 1758–1958, Karlsruhe 1958.
  • Koch, Peter, Geschichte der Versicherungswirtschaft in Deutschland, Karlsruhe 2012.
  • Rudolph, Eduard, Zur Geschichte des Feuerlösch- und Feuerversicherungswesens in der Grafschaft Wertheim, in: Wertheimer Jahrbuch 1926, S. 58-79, und Wertheimer Jahrbuch 1927, S. 7-15.
  • Sauer, Paul, 200 Jahre Württembergische Gebäudebrandversicherungsanstalt 1773–1973, Stuttgart 1973.
  • Wandel, Eckhard, Banken und Versicherungen im 19. und 20. Jahrhundert (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 45), München 1998, S. 59–73.

Zitierhinweis: Claudia Wieland, Versicherungsunterlagen, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: [...], Stand: 07.08.2017.

 

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