Aktenbindung

Von Annette Riek

Badische Oberrandheftung: in der oberen linken Ecke gelocht odergestochen und auf der Rückseite zusammengebunden, (Quelle: Landesarchiv BW, StAF)
Badische Oberrandheftung: in der oberen linken Ecke gelocht oder gestochen und auf der Rückseite zusammengebunden, (Quelle: Landesarchiv BW, StAF)

Definition der Quellengattung

So wie es unterschiedliche Arten der inhaltlichen Aktenbildung gibt, entwickelten sich im Lauf der Zeit auch unterschiedliche Methoden, Akten zu binden. Im Folgenden geht es um diesen materiellen Aspekt der Aktenbildung, also wie die Schriftstücke einer Akte physisch zusammengehalten werden, ohne Betrachtung der inhaltlichen Aspekte, wie der sachlichen Ordnung nach Aktenplan oder der Reihung der einzelnen Schriftstücke innerhalb einer Akte. Im deutschen Südwesten entwickelten sich für diesen Zweck regional verschiedene Methoden mit Vor- und Nachteilen, die im 20. Jahrhundert zum größten Teil von modernen Registraturhilfsmitteln abgelöst wurden.

Historische Entwicklung

Stolzenberg-Hängeregistratur für Gemeinden, (Quelle: Landesarchiv BW, StAF)
Stolzenberg-Hängeregistratur für Gemeinden, (Quelle: Landesarchiv BW, StAF)

Erste Formen und Vorstufen von Akten entstanden bereits im Mittelalter, jedoch wird im Allgemeinen erst ab der Neuzeit vom „Aktenzeitalter“ gesprochen, da ab dem 16. Jahrhundert die Akten in Umfang und Qualität allmählich wichtigere Quellen wurden als die aus dem Mittelalter hauptsächlich überlieferten Urkunden.[1] Der Zusammenhalt bzw. die Formierung der Akten wurde lange Zeit vor allem über die Unterbringung in Regalfächern, Kästen oder Spankörben gelöst, erst ab dem 18. Jahrhundert entwickelten sich die verschiedenen Formen der Aktenbindung. Die genauen Umstände der Entwicklung der einzelnen Bindungsarten in den verschiedenen Ländern sind allerdings nur schwer nachvollziehbar. Die im Folgenden beschriebenen Aktenbindungen waren ab dem Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts im Einsatz, in Einzelfällen auch bis zum 21. Jahrhundert. Eine entscheidende Zäsur stellt die Büroreform der 1920er Jahre dar, die neben der Einführung von Aktenplänen und Sachbearbeiterablagen auch in der äußeren Form von Akten mit dem Einsatz von Aktenordnern und Hängeregistern Neuerungen brachte.

Aufbau und Inhalt[2]

Frühe Formen der Aktenbindung

Württembergisches Büschel, Preußische Fadenheftung und BadischeOberrandheftung, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS)
Württembergisches Büschel, Preußische Fadenheftung und Badische Oberrandheftung, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS)

Erste Formierungen von Akten erfolgten über die Aufbewahrung der Schriftstücke. Hierzu zählt die Aufbewahrung in Regal- oder Schrankfächern, in Schubladen, Truhen, Körben oder sogar Säcken. Auch die Bündelung gefalteter oder gerollter Schriftstücke stellt eine Frühform der Aktenbindung dar. Bereits im Mittelalter begann man damit, Schriftstücke aufzuspießen und aufzuschnüren, um sie zusammenzuhalten: Hierzu konnte ein Nagel in der Wand oder auf dem Schreibtisch dienen, ein mobiler Spieß oder eine Schnur, auf die man die Papiere durch ein Loch in der Mitte auffädelte. Diese Art der Aufschnürung wurde entscheidend weiterentwickelt, als man die Schriftstücke nicht mehr in der Mitte lochte und auffädelte, sondern am Rand. Dies ermöglichte, die Unterlagen auch bei Verwendung einer kürzeren Schnur weiterhin lesbar zu halten.

Württembergisches Büschel

Hierbei werden die ein- und ausgehenden Schreiben einfach aufeinander gelegt, in chronologischer Reihenfolge von unten nach oben, so dass das jüngste Stück oben liegt. Mitunter wurden die Schriftstücke foliiert oder quadranguliert, also eine Blattzählung angebracht. Vorder- und Rückseite des Büschels werden von festen Pappen gebildet und die Akte wird zu einem Paket geschnürt. Diese Akten können hochkant stehend oder liegend gelagert werden und sind durch die feste Schnürung sehr stabil. Von Vorteil bei der Aktenführung ist hierbei, dass Schriftstücke ohne Aufwand an der richtigen Stelle eingefügt oder gerade benötigte Schriftstücke entnommen werden können. Gleichzeitig ist das auch der entscheidende Nachteil, denn so können wichtige Schriftstücke aus einer Akte verschwinden, noch in der Behörde oder auch bei der Benutzung im Archiv. Zur Überprüfung der Vollständigkeit kann die Blattzählung dienen.

Preußische Fadenheftung

In preußischen Gebieten wurden Schriftstücke an der linken Seite mit Fäden zusammengenäht bzw. geheftet. Hierfür werden die Blätter vorher gefalzt, sofern es sich nicht um bereits gefaltete Bögen handelt. Als Träger der Heftung dient ein Aktenumschlag, in früher Zeit aus Pergament, später aus festerem Papier oder Pappe. Der Umschlag ist gleichzeitig ein sicherer Schutz für die Akte. Dieses sehr arbeitsaufwendige Verfahren gewährleistete die Vollständigkeit der Akte, führte aber auch dazu, dass immer der komplette Aktenband zur Hand genommen werden musste, auch wenn nur ein einzelner Vorgang benötigt wurde. Wenn mehrere Bögen zusammen eingenäht wurden, waren diese mitunter ineinander gelegt, mit der Folge, dass die Fortsetzung eines Schriftstückes erst einige Seiten später zu finden ist. Zudem kann es bei dieser Art der Heftung auch vorkommen, dass Textteile am Rand beim Nähen miterfasst werden und so nicht mehr lesbar sind.

Badische Oberrandheftung

Hilfsmittel für die Badische Oberrandheftung, (Quelle: Landesarchiv BW, StAF)
Hilfsmittel für die Badische Oberrandheftung, (Quelle: Landesarchiv BW, StAF)

Diese Art der Heftung entwickelte sich in Baden. Sie stellt eine entscheidende Weiterentwicklung der Aufschnürung von Schriftstücken dar: durch das Anbringen mehrerer Löcher wird die Gefahr des Ausreißens der Löcher verringert. Die Blätter werden in der oberen linken Ecke gelocht bzw. gestochen, auf eine Schnur gefädelt und auf der Rückseite mit dem badischen Aktenknoten zusammengebunden; als Hilfsmittel zum Auffädeln der Blätter dient hierbei ein sogenannter Aktenstecher. Wenn die Akte Zuwachs erhält, wird der Knoten geöffnet und das Stück angefügt. Die Schnürung kann einfach gelockert und zu einem Leseknoten gebunden werden, so dass in der Akte gut geblättert werden kann. Auch die Entnahme von Dokumenten oder Aktenteilen ist relativ einfach möglich, wobei der Zusammenhalt der Akte trotzdem gewährleistet bleibt. Wann genau die Badische Oberrandheftung entstand, ist nicht nachzuvollziehen, allerdings enthält die Badische Archivordnung von 1801 auch Anweisungen zum Stechen und Schnüren der Akten. Bei der Einführung dieser Archivordnung wurden Musterschablonen aus Blech für das korrekte Anbringen der Löcher an das Archiv und die Registraturen versandt. Die Badische Oberrandheftung überlebte als einzige der genannten Aktenbindungen auch die Büroreform: So wird sie bis heute vor allem in badischen Justizbehörden verwendet. Der Evangelische Oberkirchenrat Karlsruhe hat dagegen die Verwendung der Badischen Oberrandheftung zum 1. Januar 2016 aufgegeben.[3]

Moderne Hilfsmittel

Entwicklungen des 19. Jahrhunderts: Stehordner und Locher, (Quelle: Landesarchiv BW, StAF)
Entwicklungen des 19. Jahrhunderts: Stehordner und Locher, (Quelle: Landesarchiv BW, StAF)

Im 20. Jahrhundert hielten moderne Hilfsmittel für die Büroorganisation Einzug in die Registraturen. Insbesondere mit der Büroreform der 1920er Jahre änderte sich nicht nur die inhaltliche, sondern oft auch die physische Aktenbildung und die modernen Hilfsmittel verbreiteten sich. Friedrich Soennecken brachte 1886 den Aktenordner auf den Markt und ließ sich im selben Jahr den dazu gehörigen Papierlocher patentieren. Bereits ab 1871 entwickelte auch der Stuttgarter Louis Leitz einen Stehordner, den er bis 1893 stetig weiterverbesserte. Durch die Hebelmechanik des Leitzordners ist es möglich, Schriftstücke an jeder beliebigen Stelle einzuheften oder zu entnehmen, ohne die Ordnung der übrigen Papiere zu stören. Für weniger umfangreiche Akten und Vorgänge konnten Schnellhefter eingesetzt werden, die Ende des 19. Jahrhunderts von Carl Gladitz erfunden wurden. Ebenfalls zu dieser Zeit wurde die Hängeregistratur erfunden. Darin können in Hängemappen, -heftern oder -ordnern Akten platzsparend und übersichtlich aufbewahrt und einfach wieder entnommen werden. Auch innerhalb von Akten wurden und werden moderne Hilfsmittel zur Strukturierung eingesetzt: So wurden ebenfalls im 19. Jahrhundert die Büroklammer und die Heftklammer (samt Heftgerät) erfunden.

Archivische Bearbeitungsschritte

Die Benutzung von Akten in der Behörde und im Archiv bringt immer auch eine Abnutzung mit sich. So kann es im Rahmen der Bestandserhaltung notwendig sein, Bindungen zu erneuern und zum Beispiel Schnüre bei der badischen Heftung zu ersetzen, preußische Akten neu zu nähen oder zusätzliche Aktendeckel anzubringen, um die vorderen und hinteren Seiten einer Akte zu schonen. Besonders problematisch sind die modernen Bürohilfsmittel. Diese bestehen meist aus Metall und können das Papier durch mechanische Einwirkungen beschädigen und sind außerdem noch anfällig für Rost. Zur archivgerechten Verpackung von Archivgut gehört aus diesem Grund auch das Entmetallisieren (oder Entgräten), also die Entfernung sämtlicher Metallteile aus den Papierunterlagen sowie das Umbetten von Unterlagen aus Aktenordnern in andere archivgerechte Behältnisse.

Quellenkritik und Auswertungsmöglichkeiten

Die bei der Beschreibung der einzelnen Bindungsarten genannten Vor- und Nachteile lassen sicher auch auf den in den jeweiligen Verwaltungen vorherrschenden Fokus schließen. Strebte man mit der Art der Bindung vor allem eine einfache Nutzung der Unterlagen an (wie beim Büschel) oder war der Zweck eher eine sichere Archivierung selbst des einzelnen Blattes (wie bei der preußischen Fadenheftung)? Auch auf die in den Behörden eingesetzten Ressourcen lassen sich Rückschlüsse ziehen: Die preußische Fadenheftung war extrem arbeitsintensiv, da jedes einzelne Blatt nicht nur eingenäht, sondern auch auf das Einnähen durch das Anbringen von Falzen vorbereitet werden musste. Schwäbische Sparsamkeit zeigt sich dagegen beim Württembergischen Büschel, das durch seine Einfachheit sowohl Arbeitszeit als auch Material spart. Die badische Oberrandheftung steht hier sozusagen zwischen den Extremen, sie ermöglicht sowohl einfache Nutzung als auch Sicherheit und ist weder extrem aufwendig noch übertrieben sparsam.

Schon die Bezeichnung der verschiedenen Bindungen und ihre rudimentäre Kenntnis ermöglicht eine rasche territoriale Zuordnung einer Akte zu einem Gebiet (weitere Auskunft gibt natürlich auch der Aktendeckel, der üblicherweise die Bezeichnung der Behörde enthält). Innerhalb von Beständen kann die Aktenbindung auch als Spiegel wechselnder territorialer Zuordnungen dienen, wenn beispielsweise die Zugehörigkeit eines Bezirksamtes von Württemberg auf Baden überging und sich somit auch die Bindung der Akten änderte. Die historischen Hilfswissenschaften beschäftigen sich unter anderem mit den verschiedensten Erscheinungsformen von Archivgut, von Urkunden über Amtsbücher bis hin zu Akten, sie erforschen dabei teilweise kleinste Details von Archivalienbestandteilen, wie die Feinheiten der Siegel. Auch die Aktenbindungen finden in der bisherigen Forschung ihre Erwähnung, die genaue Entstehung und Zielsetzungen der einzelnen Bindungsarten bietet aber weiterhin ein Feld für die hilfswissenschaftliche Erforschung.

Hinweise zur Benutzung

Um Beschädigungen zu vermeiden, muss bei der Nutzung sämtlicher Archivalien vorsichtig vorgegangen werden, dies gilt auch und besonders für das Blättern in Akten. Der Umgang mit Archivgut im Lesesaal wird in den Benutzungsordnungen und Lesesaalordnungen der Archive geregelt.

Anmerkungen

[1] Von Brandt, Werkzeug, S. 107.
[2] Sämtliche Details zu allen Formen der Aktenbindung finden sich bei: Papritz, Archivwissenschaft, Bd. 2, S. 1–73.
[3] Mitteilung vom 15.03.2016 auf http://www.ekiba.de/html/content/landeskirchliches_archiv_karlsruhe.html (01.08.2017).

Literatur

  • Brandt, Ahasver von, Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, 12. Auflage, Stuttgart 1989.
  • Franz, Eckhart G., Einführung in die Archivkunde, 5. Auflage, Darmstadt 1999.
  • Hoffmann, Heinz, Behördliche Schriftgutverwaltung. Ein Handbuch für das Ordnen, Registrieren, Aussondern und Archivieren von Akten der Behörden (Schriften des Bundesarchivs 43), Boppard 1993.
  • John, Herwig, Die Reform des badischen Archivwesens zwischen 1771 und 1803, in: Umbruch und Aufbruch. Das Archivwesen nach 1800 in Süddeutschland und im Rheinland, hg. von Volker Rödel (Werkhefte der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg A 20), Stuttgart 2005, S. 299–331, https://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/45487/glak_tagung_John.pdf (01.08.2017).
  • Meisner, Heinrich Otto, Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918, Göttingen 1969.
  • Meisner, Heinrich Otto, Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit, 2. Auflage, Leipzig 1952.
  • Papritz, Johannes, Archivwissenschaft, Bd. 2: Tl. 2.2. Organisationsformen des Schriftgutes in Kanzlei und Registratur, Marburg 1976.
  • Schatz, Rudolf, Behördenschriftgut. Aktenbildung, Aktenverwaltung, Archivierung (Schriften des Bundesarchivs 8), Boppard 1961.
  • Wall, Hans-Joachim de, Leitz, Louis, in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 175f., https://www.deutsche-biographie.de/gnd136617735.html#ndbcontent (21.06.2017).

Zitierhinweis: Annette Riek, Aktenbindung, in: Südwestdeutsche Archivalienkunde, URL: […], Stand: 30.06.2017.

 

 

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