Zwischenfazit. Jugendliche mit Behinderungen in den Gesetzen

von Christoph Beckmann

Ausschnitt aus dem Jugendwohlfahrtsgesetz von 1961 [Quelle: Bundesgesetzblatt online s. Bildnachweis]. Zum Vergrößern bitte klicken.
Ausschnitt aus dem Jugendwohlfahrtsgesetz von 1961 [Quelle: Bundesgesetzblatt online s. Bildnachweis]. Zum Vergrößern bitte klicken.

Der Gedanke der Fürsorge, ausgedrückt in der Möglichkeit staatlichen Eingreifens aufgrund drohender Verwahrlosung, wie er für das baden-württembergische Psychiatriegesetz herausgestellt wurde, findet sich schon in der ersten Fassung des Jugendwohlfahrtsgesetzes von 1922. Es begründet hier die Möglichkeit der Fürsorgeerziehung, die ebenso eine zwangsweise Unterbringung gegen den Willen, in diesem Fall jedoch nicht der Person selber, wie im Psychiatriegesetz, sondern der Erziehungsberechtigen, ermöglicht.

Das baden-württembergische Psychiatriegesetz und der nachfolgende Erlass von Psychiatriegesetzen mit ähnlichen Bestimmungen in anderen Bundesländern führte also nicht nur zu einer deutlichen Erweiterung der staatlichen bzw. gerichtlichen Eingriffsmöglichkeiten in diesem Bereich, sondern auch zu einer bedeutenden Annäherung von Psychiatrie- und Jugendgesetzgebung: In beiden konnten fortan Zwangsunterbringungen mit der Gefahr der Verwahrlosung begründet werden.[1]

Auffällig ist die Ähnlichkeit zwischen den Verfahren der Zwangsunterbringung in den Gesetzen der Jugendwohlfahrt und dem Psychiatriegesetz. In beiden Fällen wird von der zuständigen Behörde oder engen Verwandten ein Antrag auf Unterbringung einer Person in einer Einrichtung gestellt. In beiden Fällen entscheiden Gerichte auf Basis u.a. von ärztlichen Gutachten. Verwundern sollten diese vor allem formalen Gemeinsamkeiten nicht. Natürlich bedarf ein so massiver Eingriff wie die Unterbringung einer Person gegen ihren Willen bzw. den Willen der Erziehungsberechtigten einer richterlichen Entscheidung und eines entsprechenden Verfahrens. Bedeutender sind die beschriebenen Gemeinsamkeiten zwischen den möglichen Gründen für diesen staatlichen Eingriff.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass Jugendliche mit Behinderungen oder geistigen Krankheiten als besondere Gruppe sowohl in den Gesetzen der Jugendhilfe wie der Behindertenhilfe im betrachteten Zeitraum kaum vorkommen. Zwar betreffen viele der Bestimmungen der Gesetze sie offenbar mit, jedoch entweder nur als Minderjährige oder nur als Menschen mit Behinderungen oder geistigen Krankheiten; auf sie als besondere Gruppe, auf die eben beide Eigenschaften zutreffen, wird kaum eingegangen.

Die wenigen Bestimmungen, die sie als besondere Gruppe betreffen, sind über die jeweiligen Gesetze verstreut. Nicht nur gibt es für sie kein eigenes Gesetz, nicht mal ein geschlossener Abschnitt geht auf ihre besondere Situation ein.

Die größere Zahl von derartigen Bemerkungen in den Gesetzen der Behindertenhilfe lässt jedoch den Schluss zu, dass Jugendliche mit Behinderungen und geistigen Krankheiten und ihre besondere Situation beim Verfassen der Gesetze stärker berücksichtigt und beachtet wurden als bei den Gesetzen der Jugendhilfe. Es liegt nahe, dass diese Personengruppe eher der Behindertenhilfe als der Jugendhilfe zugeordnet wurde.

Es ist daher von besonderem Interesse, inwiefern die Institutionen der Jugendhilfe, insbesondere die Landesjugendämter, gegenüber den Institutionen der Behindertenhilfe, in denen auch Minderjährige untergebracht waren, ihren Aufsichtspflichten nachkamen oder ob diese in den Quellen wenn überhaupt nur formal als Gegenstand ihrer Aufsicht erscheinen.

Anmerkungen

[1] Zum Begriff der Verwahrlosung und seiner Problematik siehe auch Abschnitt: Die rechtliche Situation: Jugendliche mit Behinderungen in den Jugendwohlfahrtsgesetzen.

 

Bildnachweis

Zitierhinweis: Christoph Beckmann, Zwischenfazit. Jugendliche mit Behinderungen in den Gesetzen, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 21.02.2022.