Das Kindererholungsheim Holderrain in Baiersbronn

von Sina Fritsche

Im November 1952 beantragte Ilse Holzwarth, wohnhaft in Stuttgart Süd, bei dem Bürgermeisteramt der Stadt Baiersbronn die Konzession für ein Kinderheim. Nach Zustimmung des Kurvereins Baiersbronn und der Gemeindewohnungsbehörde gab der Gemeinderat dem Gesuch statt und erteilte die Konzession. Als Privatperson war es in den Nachkriegsjahrzehnten verhältnismäßig einfach, ein Kinderheim führen zu dürfen. Seitens der Behörden gab es zwar Bedingungen und es wurden Kontrollen durchgeführt, die Anforderungen an die räumlichen und personellen Gegebenheiten waren aber in den meisten Fällen problemlos und ohne viel Aufwand realisierbar. Einige der privat geführten Kinderkurheime – so auch das Kindererholungsheim Holderrain – waren Mitglieder des 1953 gegründeten „Verbandes privater Kinderheime e.V. (VPK). Dieser gründete sich auf Initiative von 30 Kinderkureinrichtungen, existiert bis heute und versteht sich als Gegengewicht zu den Wohlfahrtsverbänden.

Die Eröffnung des Kinderheims Holderrain erfolgte im April 1953 im Stadtteil Mitteltal in Baiersbronn im Kreis Freudenstadt. Das Grundstück, das Frau Holzwarth zunächst pachtete, erwarb sie schließlich 1971.

Ilse Holzwarth war nach eigenen Angaben in der Säuglings-, Kinder- und Krankenpflege tätig, studierte drei Semester Medizin und war staatlich geprüfte Kindergärtnerin und Hortnerin – eine Prüfung, die sie nach einjährigem Besuch des Kindergärtnerinnenseminars des Schwäbischen Frauenvereins in Stuttgart mit dem Gesamtergebnis „gut bestanden“ ablegte. Nach ihrer Heirat mit Ernst Finkbeiner führte Ilse Finkbeiner das Heim gemeinsam mit ihrem Mann.

Das Kindererholungsheim Holderrain konnte mit einer festen Anzahl an Kindern, die zur Erholung in den Schwarzwald geschickt wurden, rechnen. Es bestanden Verträge mit der Mannesmann-Hüttenwerke AG in Duisburg sowie mit dem Evangelischen Landesverband für Kinderpflege in Hannover, die regelmäßig Kinder im Rahmen der vorbeugenden Gesundheitsmaßnahme in das Haus Holderrain schickten. Belegungsverträge waren bei der Kinderverschickung nichts Ungewöhnliches. Viele Entsendestellen, wie Institutionen, Verbände und Firmen hatten feste Vertragsheime, in denen sie die von ihnen verschickten Kinder dank reservierter Plätze immer garantiert unterbringen konnten.

Im Kindererholungsheim Holderrain waren anfangs durchschnittlich 30 bis 35 „gesunde erholungsbedürftige Kinder im Alter von 3 bis 14 Jahren“ untergebracht. Mit Frau Holzwarth gemeinsam waren Anfang der 50er-Jahre zunächst zwei staatlich geprüfte Kindergärtnerinnen, eine Wirtschaftsleiterin sowie zwei Haus- und Küchenmitarbeitende angestellt. In einem Flyer wirbt Ilse Holzwarth Anfang der 50er-Jahre mit einer guten Erholung der Kinder, die im Haus Holderrain „eine mütterliche und liebevolle Pflege durch bewährte Fachkräfte genießen“ und „reichliche, gut zubereitete Verpflegung (4-5 Mahlzeiten am Tage)“ erfahren würden. Der Tagessatz, der an das Kindererholungsheim gezahlt werden musste – abhängig davon, wer den Erholungsaufenthalt finanzierte – betrug 1953 6 DM, in der Sommersaison 6,50 DM. Der mit Beantragung der Konzession eingereichte Rentabilitäts-Berechnungsplan des Heimes sah für 1953 einen Gewinn von etwa 4.400 DM vor.

Im Laufe der Jahre wuchsen sowohl die Zahl der im Erholungsheim untergebrachten Kinder als auch die Zahl der Mitarbeitenden und die berechneten Verpflegungssätze. 1976 beispielsweise waren 55 Kinder zur Erholung untergebracht, um die sich vier Kindergärtnerinnen und drei Kinderpflegerinnen kümmerten, unterstützt von fünf in Verwaltung, Hauswirtschaft und Küche tätigen Personen. Der Verpflegungssatz betrug in diesem Jahr 22,50 DM.

Bis 1953 war das Regierungspräsidium Südwürttemberg-Hohenzollern in Tübingen als ehemaliges Landesjugendamt für die Aufsicht des Heimes zuständig. Danach war bis zur Kreisreform 1973 das Landesjugendamt des Landeswohlfahrtsverbandes Württemberg-Hohenzollern zuständig; ab 1973 das Landesjugendamt Baden. Das Landesjugendamt hat – wie damals üblich – das Kreisjugendamt des Landkreises Freudenstadt um Mitwirkung bei der Heimaufsicht gebeten. Daneben war auch das Staatl. Gesundheitsamt Freudenstadt in den Aufsichtsprozess involviert.

Aus den Akten geht hervor, dass die Besichtigungen, die Auskunft über die Lage im Heim geben sollten, eher sporadisch als regelmäßig durchgeführt wurden. So wird beispielsweise ersichtlich, dass das Landesjugendamt Württemberg-Hohenzollern das Erholungsheim am 25. Oktober 1967 besichtigt hat – zu diesem Zeitpunkt waren laut der Akten über sechs Jahre seit der letzten Besichtigung durch das Landesjugendamt vergangen. In dem Bericht finden sich keinerlei Beanstandungen, es heißt, dass „der Eindruck gewonnen wurde, dass Frau Finkbeiner Verständnis für die Belange der erholungsbedürftigen Kinder hat und dementsprechend auch das Heim leitet.“ Die Besuche fanden stellenweise unangekündigt statt, ansonsten erfolgten die Kontrollbesuche nach „vorheriger telefonischer Anmeldung“. Betroffene, die als Kinder in das Haus Holderrain verschickt worden waren, berichten von einer äußerst autoritären, teilweise brutalen und von Zwängen und Verboten bestimmten Atmosphäre.

Unter den Nachfolgern des Ehepaars Finkbeiner kam es 2006 zur Schließung des Heimes Holderrain. Ihnen wurde die Betriebserlaubnis entzogen, nachdem sie vom Gericht der vorsätzlichen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Misshandlung von Schutzbefohlenen für schuldig gesprochen und zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt wurden.

Literatur

Quellen

  • Gemeindearchiv Baiersbronn
  • GLAK 499-1 Nr. 429
  • Verzeichnis der Kinderkurheime in Baden-Württemberg (1949 – ca. 1980), zweite Fassung

Zitierhinweis: Sina Fritsche, Das Kindererholungsheim Holderrain in Baiersbronn, in: Heimkindheiten, URL: […], Stand: 21.02.2024.