Georges Cuviers Wanderung über die Schwäbische Alb - Tag 3

Von Kirchheim nach Münsingen

von Eva Rincke

Zum Abschluss seiner Schulzeit auf der Hohen Carlsschule wanderte Georges Cuvier, der später in Paris Karriere als Naturforscher machte, mit zwei Mitschülern eine Woche lang über die Schwäbische Alb. Lesen Sie hier wie es ihnen ergangen ist.

Besteigung der Teck, Aquarelle von Georges Cuvier vom 16. Mai 1788
Gasthaus in Münsingen, Zeichnung von Georges Cuvier, 1788 [Quelle: Bibliothèque de l’Institut de France, Ms 3312: Papiers et correspondance du baron Georges Cuvier. Planches relatives à un voyage à pied fait dans les Alpes würtembergeoises du 20 au 28 avril 1788 par Cuvier, Copyright: ©Bibliothèque de l’Institut de France]

Am dritten Tag der Wanderung wurden Georges Cuvier und seine Freunde morgens um sechs Uhr von ihrem Gastgeber Christian Ludwig Glöckler geweckt. Er konnte es nicht abwarten, ihnen seine Torfgrube in der Nähe von Schopfloch zu zeigen. Sie wanderten von Kirchheim über Nabern, Bissingen und Ochsenwang Richtung Schopfloch, über den Cuviers Worten zufolge „rauhesten Theil der Alb“. [1]

„Zu Byssingen wurde gefrühstückt, die Wecken dieses Ortes sind besonders gut. Sie werden in Schüsseln gemacht und auf eine eigene Art benetzt“, [2] schrieb Cuvier. Gestärkt stiegen sie dann am Breitenstein hoch auf die Alb. Cuvier notierte die Namen der Pflanzen, die am Wegrand wuchsen, und wies auf die vielen Versteinerungen hin, die im Fels zu erkennen waren. Er sammelte einige Ammoniten, mit denen er später Experimente durchführte.

Die klimatische Veränderung, als sie oben auf der Hochebene ankamen, beschäftigte Cuvier so sehr, dass sie quasi zum Leitmotiv des Berichts wurde: „Das war nun die Alb und zwar die aechte. Das Clima scheint ganz verändert, wenigstens als wäre man in Schweden. Die Bäume, welche im Neckerthal schon zum Theil zu blühen anfiengen, hatten hier kaum ihre Knospen geöffnet […] die kalte Wind zwang uns unsere Ohren davor zu schützen.“ [3]

Kurz nachdem sie Ochsenwang passiert hatten, öffnete sich die Aussicht auf ein tiefes Tal und einen Berg mit „Conischer Gestalt“, [4] vermutlich die Limburg. Die jungen Männer vermuteten darin einen Vulkan, ließen sich aber später in Tübingen von Gottlieb Konrad Christian Storr, einem Professor der Botanik und Chemie, von dieser Ansicht abbringen. Erst Jahre später wurde die vulkanische Herkunft der Limburg und des Randecker Maars nachgewiesen.

Eine Viertelstunde hinter Ochsenwang erreichten die Wanderer schließlich Glöcklers Torfgrube und erhielten eine ausführliche Einführung. Die Torfgrube enthielt 3 Lagen Torf. Verkohlt wurde nur der Torf aus der mittleren Lage, der schwerer und schwärzer war, als der Torf in den beiden anderen Lagen. Glöckler hatte selbst eine Methode entwickelt, den Torf in Meilern zu verkohlen, wie das auch bei Holz gemacht wurde. Das war billiger als die gewöhnliche Methode, Torf in Öfen zu verkohlen. Cuvier notierte alles ganz genau. Auch dass Glöckler bis zu zwanzig Arbeiter beschäftigte und dass der Torf vor Ort etwas günstiger verkauft wurde als in Kirchheim, ließ er nicht unerwähnt.

Als die Wanderer schließlich weiterziehen wollten, verabschiedete Glöckler sie mit einem freundlichen „Nun wie sie wöllet, wie sie möget“ [5] und schickte einen seiner Arbeiter, um sie nach Böhringen zu begleiten. Den Weg über die Hochebene beschreibt Cuvier in düsteren Tönen: „Alles sah aus wie im traurigsten Winter, Wälder ohne allem Laub. Auf der Alb sind wegen Mangel an Sand sehr wenige Nadelhölzer, Aecker voll von Steinen und hie und da noch kleine Haufen von Schnee. Da oben ist nicht ein einziger Obstbaum. Den Dörfern sieht man aber auch tiefe Armuth an, ueberall Strohdächer, häßliche, meist mit Lumpen gekleidete Einwohner, alles trägt dazu bey, diese Gegend als die elendste im Herzogthum vorzustellen.“ [6]

Das Tal der Weißen Lauter bei Gutenberg mit frischen grünen Wiesen und blühenden Bäumen erschien Cuvier gleich darauf als „ueberraschendste[r] Contrast“. [7] Jedoch: „So angenehm das Thal ist, so fürchterlich sind die steile Felsenwände von welchen es umgeben wird; Sie sind ganz nackt, und von erstaunlicher Höhe.“ [8]

An dieser Stelle bricht der Bericht leider ab: In dem Exemplar, das in der Bibliothek des Institut de France überliefert ist, fehlt vermutlich ein Blatt, sodass wir nicht wissen, auf welcher Route die Wanderer nach Münsingen kamen, von wo aus sie am vierten Tag ihre Wanderung fortsetzten.

Wie es weiterging, erfahren Sie bald im nächsten Beitrag Georges Cuviers Wanderung über die Schwäbische Alb – Tag 4.

Ziele zum Nachwandern:

Anmerkungen

[1] Reise, S. 320. Alle Zitate wurden ohne redaktionelle Eingriffe aus der Transkription von Cuviers Reisebericht im Artikel Georges Cuviers „Reise auf die Württembergische Alb“ – ein zeit- und wissenschaftsgeschichtliches Dokument übernommen.
[2] Reise, S. 320
[3] Reise, S. 321
[4] Reise, S. 321
[5] Reise, S. 322
[6] Reise, S.322
[7] Reise, S. 322
[8] Reise, S.322

Hinweis zum lateinischen Zitat auf der Zeichnung: Es handelt sich um ein Zitat von Horaz, Epode V, Vers 47-49: „Hic irresectum saeva dente livido, Canidia rodens policem, Quid dixit? Aut quid tacuit?“ Die Epoden sind Spottgedichte, die zum Frühwerk des römischen Dichters Horaz gehören. In Epode V ist wird die Zauberin Canidia verspottet, die einen jungen Mann ermorden will, um aus seinen Organen einen Liebestrank zu brauen. Da die vier jungen Wanderer unbeschadet nach Stuttgart zurückgekehrt sind, bleibt glücklicherweise unklar, worauf Cuvier mit der Auswahl dieses Zitats anspielt. So lesen sich die zitierten Verse in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß von 1822: „Canidia jetzt, den unbeschnittnen Daum erbost / Annagend mit brandgelbem Zahn / Was sprach sie? Was verschwieg sie?“

Literatur

  • Taquet, Philippe, Les premiers pas d'un naturaliste sur les sentiers du Wurtemberg: récit inédit d'un jeune étudiant nommé Georges Cuvier, in: Geodiversitas 20 (2), S. 285-318.
  • Wörz, Arno/Oettler, Gitta/Engelhardt, Martin, Georges Cuviers „Reise auf die Württembergische Alb“ – ein zeit- und wissenschaftsgeschichtliches Dokument, in: Jahreshefte der Gesellschaft für Naturkunde in Württemberg 165/1 (2009), S. 301-336.

 

Zitierhinweis: Eva Rincke, Georges Cuviers Wanderung über die Schwäbische Alb – Tag 3, in: Reisebeschreibungen, URL: […], Stand: 30.04.2024