Eichstetten mit Endingen und Riegel

Die Synagoge in Eichstetten, vor 1938. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 366]
Die Synagoge in Eichstetten, vor 1938. Das Gebäude wurde während der Pogrome im November 1938 durch Inbrandsetzung zerstört. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 366]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

1415 erwarb Markgraf Bernhard I. von Baden mit den Besitzungen der Herrschaft Hachberg auch das Dorf Eichstetten.

Nach 1716 ließen sich aus der Schweiz und dem Elsass vertriebene Juden in Eichstetten nieder. Sie waren fast alle Knechte oder Verwandte des Josef Günzburger in Breisach, der mit der markgräflichen Regierung ihre Aufnahme „verakkordierte" und für den Eingang des Schutzgeldes verantwortlich war. 1721 waren 6, 1730 10 und 1738 11 jüdische Familien in Eichstetten ansässig. 1743 wanderten einige Familien aus Stühlingen zu, die dort von der fürstenbergischen Regierung „ausgeschafft" worden waren. 1766 wünschte die Gemeinde Eichstetten eine Verringerung der Judenfamilien von 15 auf 12; außerdem beschwerte sie sich über das den Juden erteilte Recht, Felder und Weinberge zu kaufen. Die Regierung antwortete daraufhin, dass eine Herabsetzung der Familienzahl ohne Unbilligkeit nur durch Aussterben einiger Judenhaushaltungen möglich sei oder dadurch, dass sie sich des Schutzes selbst verlustig machten.

1777 wohnten in Eichstetten 92, 1801 142, 1825 227, 1867 427, 1875 359 (13,9 Prozent von 2.590 Einwohnern), 1900 253, 1925 129 und 1933 91 Juden. Auf dem Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges stehen die Namen von fünf Mitgliedern der jüdischen Gemeinde.

Ihren Gottesdienst hielten die Israeliten zunächst im oberen Stockwerk des Hauses des Gemeindevorstandes Veit Levi Epstein, dessen Großvater den damaligen wenigen Juden den Raum überlassen hatte, ab. 1829/30 wurde im Unterdorf eine Synagoge und 1840 an der Stelle der ehemaligen Zehnttrotte ein jüdisches Schulhaus erbaut. In der Synagoge befand sich das Frauenbad. 1809 legte die israelitische Gemeinde Eichstetten einen später mehrfach vergrößerten Friedhof an. Bis dahin hatte sie ihre Toten auf dem Friedhof in Emmendingen bestattet. Der Sitz des zuständigen Bezirksrabbiners befand sich seit 1827 in Breisach, seit 1885 in Freiburg.

Der Wohlfahrtspflege dienten ein Frauenverein, ein Mädchenausstattungsverein und ein Männer-Krankenverein. Zur Pflege des kulturellen Lebens wurde 1886 der Verein Eintracht und 1893 der Gesangverein Concordia gegründet.

Die meisten Eichstettener Juden lebten vom Viehhandel. 1933 zählte man nicht weniger als 14 Viehhändler, ferner einen Metzger, einen Weinhändler, einen Mehlhändler und ein jüdisches Textilgeschäft. Eine Firma handelte bis 1936 mit Getreide, Mehl, Futtermitteln und Sämereien. Ein Teil der Juden war in der Papierwarenfabrik im Unterdorf beschäftigt, die 1876 von Heinrich Epstein gegründet und bis zur Arisierung im Jahre 1938 von seinen Söhnen betrieben wurde. Unter dem nationalsozialistischen Boykott hatte sie nicht zu leiden. Einer der Inhaber, Heinrich Epstein, war vor 1933 Gemeinderatsmitglied und bis zu seiner Auswanderung Vorsteher der jüdischen Gemeinde.

In der Kristallnacht im November 1938 wurde von auswärtigen SA-Leuten die Synagoge in Brand gesteckt. 18 Männer wurden durch das Dorf geführt und dann nach Dachau transportiert, wo Siegfried Bloch den Misshandlungen erlag. An den Aufräumungsarbeiten der zerstörten Synagoge mussten sich die Juden beteiligen und außerdem der politischen Gemeinde 900 Mark Unkosten ersetzen. Von den 91 Juden, die 1933 in Eichstetten wohnten, sind bis 1940 50 weggezogen oder ausgewandert, und zwar vornehmlich nach den USA, Argentinien und Brasilien. 11 Juden sind noch in der Heimat gestorben. Die letzten 30 Juden wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. In den Lagern Gurs und Recebedou starben 9 Personen, mindestens 8 wurden wahrscheinlich in Auschwitz vergast.

Heute leben in Eichstetten keine Juden mehr. Der Platz, auf dem die Synagoge stand, ist in Privatbesitz.

Im benachbarten Riegel wohnten seit 1875 Juden. Ihre Zahl war so klein, dass am Ort keine Gemeinde gebildet wurde. Seit 1895 ist Riegel Filiale der Gemeinde Eichstetten gewesen. Die einzige 1933 am Ort befindliche jüdische Familie zog 1939 nach Lahr und wanderte von dort nach Argentinien aus.

Auch Endingen war seit 1895 Filialgemeinde von Eichstetten. Schon im 14. Jahrhundert waren Juden dort ansässig, die aber in der großen Verfolgung während der Pest von 1348/49 vertrieben oder getötet wurden. Im Jahre 1462 verschwand eine fremde Bettlerfamilie spurlos, die in der Scheune eines Juden übernachtet hatte. Als man acht Jahre später beim Abbruch des Beinhauses die kopflosen Skelette zweier Erwachsener und zweier Kinder fand, beschuldigte man die Juden des Ritualmordes. Drei Juden wurden in einem großen Prozess zum Tode verurteilt und auf dem „Judenbuck" verbrannt, alle anderen vertrieben. 1517 erhielten die Endinger von Kaiser Maximilian I. ein Privileg, dass sie niemals Juden aufzunehmen brauchten. Ein oft aufgeführtes Volksschauspiel behandelte die Begebenheiten von 1462-70. Am Judenhaus, in dem das Verbrechen begangen worden sein sollte, erinnerte noch bis 1834 eine bebilderte Tafel an das grausige Ereignis. Die Gebeine der angeblichen Opfer werden in der Peterskirche aufbewahrt; sie wurden früher bei Prozessionen mitgeführt und erst in jüngster Zeit aus ihrem Glasschrein entfernt. Auf Grund ihres Privilegs, das erst 1785 von Josef II. aufgehoben wurde, hielt Endingen sich die Juden fern. Erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts ließen sich die ersten Juden seit der Vertreibung dort nieder. 1875 waren es 14, 1895 43; doch damit war der Höhepunkt überschritten.

1900 lebten noch 32 Juden in Endingen, 1910 16, 1925 10 und 1933 nur noch 7. Von diesen konnten 4 auswandern. Das Ehepaar Lina und Siegfried Hauser wurde von Freiburg nach Gurs deportiert und von dort 1942 über das Sammellager Drancy nach Auschwitz in den Tod geschickt. Die Inhaberin des einzigen jüdischen Geschäftes starb vor Beginn der Deportationen.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Amira, Karl v., Das Endinger Judenspiel, 1883.
  • Gänshirt, Adolf, 900 Jahre Heimatgeschichte des Weindorfes und Marktfleckens Eichstetten am Kaiserstuhl, 1952.
  • Issel, Ernst, Eichstetten am Kaiserstuhl einst und jetzt, 1906.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Eichstetten, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Eichstetten

  • Die Architektur der Synagoge, hg. von Hans-Peter Schwarz, Frankfurt 1988, S. 161.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Schmidt, Karl, Hebräisch-jiddische und rotwelsche Ausdrücke im Eichstetterischen, URL: https://www.eichstetten.de/fileadmin/Dateien/Website/Dateien/Mundart/hebr_jidd_rotwelsch.pdf (aufgerufen am: 16.12.2022).
  • Steffens, Thomas, Die ersten acht Jahrzehnte der jüdischen Gemeinde, in: Eichstetten. Die Geschichte des Dorfes, Bd. 1, hg. von Thomas Steffens, 1996, S. 231-234.
  • Weiblen, Christina, Die geschichtliche Entwicklung der jüdischen Gemeinde Eichstetten a. K. im 18. und 19. Jh., Freiburg 1995.
  • Weiblen, Christina/Baumann, Ulrich, Die jüdische Gemeinde Eichstetten im 19. und 20. Jahrhundert, in: Eichstetten. Die Geschichte des Dorfes, Bd. 2, 2000, S. 109-161.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 238-239.

Endingen

  • Germania Judaica, Bd. 2, 1. Halbband, hg. von Zvi Avneri, Tübingen 1968, S. 209-210.
  • Germania Judaica, Bd. 3, 1. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1987, S. 300-302.
  • Kurrus, Karl, Die unschuldigen Kinder von Endingen. Sog. Christenmord 1462 und Judenverbrennung 1470, in: Schau-ins-Land 83 (1965), S. 3-16.
  • Longerich, Michael, Judenverfolgungen in Baden im 14. Jh. Am Beispiel von Breisach, Endingen, Freiburg und Waldkirch, in: „s’Eige zeige“. Jahrbuch des Landeskreises Emmendingen, Bd. 4 (1990) S. 33-46.
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